Corona-Pandemie Epidemiologe: "Zweite Welle wird uns härter treffen"
Die Neuinfektionen übersteigen in Deutschland kritische Werte. Der Epidemiologe Klaus Stöhr wagt eine Vorhersage zum Corona-Herbst und macht der Regierung schwere Vorwürfe.
Deutschland steht vor einem heftigen Corona-Herbst. Das glaubt der Epidemiologe Klaus Stöhr. "Die zweite Welle wird uns wohl noch viel härter treffen als die erste", sagt Stöhr der "Zeit". Stöhr wirft der Bundesregierung vor, keine längerfristige Strategie zu haben: "Mir fehlte von Anfang an die langfristige Betrachtung." Der Experte kritisiert, dass die strikten Beschränkungen aus dem Frühjahr auch im Sommer aufrechterhalten worden seien. Damit habe Deutschland die Chance verpasst, eine höhere Immunität in der Bevölkerung aufzubauen.
Epidemiologe wirft Regierung falsches Management vor
Stöhr, bis 2007 Leiter des globalen Influenza-Programms der WHO und danach verantwortlich für die Impfstoffentwicklung des Pharmakonzerns Novartis, bemängelt, dass die Maßnahmen der Regierung nicht von vornherein auf das Management einer Pandemie ausgerichtet wurden. Als das Virus in China nicht zu eliminieren gewesen sei, hätte man sofort von einer bevorstehenden Pandemie ausgehen müssen. Man hätte "die Bekämpfungsmaßnahmen darauf ausrichten müssen, dass das Virus nicht zu eliminieren ist und man damit leben muss."
Stöhr glaubt auch nicht an eine Beendigung der Corona-Pandemie durch eine Impfung. Impfstoffe seien zwar mit höchster Priorität voranzutreiben, so der Experte, aber ihr Einfluss auf die Pandemie werde überschätzt. Bis zum Sommer 2021 werde man auch in Deutschland höchstens alte Menschen und einige Risikogruppen impfen können. Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung würden Impfstoffe zu spät verfügbar sein, prophezeit der Epidemiologe. Erst die natürliche Immunität durch die sich ausbreitende Infektion werde das Virus schließlich stoppen: "Diese Pandemie wird nicht durch Impfstoffe beendet, sondern durch das Virus selbst."
- Die Zeit: Ausgabe vom 14. Oktober 2020