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Corona-Krise: Große Hochzeiten sollten in der Pandemie nicht möglich sein


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Superspreader-Events?
Hochzeitsfeiern gefährden uns alle

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 01.10.2020Lesedauer: 6 Min.
Eine Braut wird vor einer türkischen Hochzeit abgeholt (Archivbild): Große Feiern sind in der Corona-Pandemie ein Ansteckungsrisiko.Vergrößern des Bildes
Eine Braut wird vor einer türkischen Hochzeit abgeholt (Archivbild): Große Feiern sind in der Corona-Pandemie ein Ansteckungsrisiko. (Quelle: Markus C. Hurek/dpa)

Die Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen, große Hochzeitsfeiern rücken in den Fokus. Die Bundesregierung muss für sie noch schärfere Regeln erlassen.

Anfang August im Kreis Herford. Anfang September in Hamm. Anfang der Woche im Kreis Neuwied. Drei wahllos herausgegriffene Ereignisse, die die Zahl der Corona-Infektionen in die Höhe getrieben haben. Drei sogenannte Superspreader-Events. Dreimal handelte es sich um Hochzeitsfeierlichkeiten nach "südländisch-orientalischer Art". Es ließen sich weitere solcher Fälle finden. In Deutschland. In Europa. Von Istanbul bis Dubai und darüber hinaus. Das wirft Fragen auf, die immer auch im Schatten grassierender Vorurteile verhandelt werden.

Hochzeiten spielen unter Menschen mit orientalisch-südländischen Prägungen eine zentrale Rolle. Für manche sind sie nichts Geringeres als das wichtigste gesellschaftliche Ereignis im Leben. Entsprechend fiebern künftige Bräute und Bräutigame gemeinsam mit Eltern, Geschwistern und Freunden darauf hin, dass dereinst Mr. Right oder Mrs. Right um die Ecke kommt.

Die Hochzeit ist ein gesellschaftliches Großereignis

Eine Ehe bedeutet für nicht wenige Frauen und Männer Selbstständigkeit. Man emanzipiert sich vom Elternhaus. Eltern gründen bisweilen ihren guten Ruf auf gelungene Hochzeiten ihrer Kinder. Das gilt für die kritische Auswahl der jeweiligen Ehepartnerin oder des Ehepartners ebenso wie für die spätere Gestaltung der Hochzeitsfeier.

Meine Freundin hatte vor Jahren in der Nähe von Hamm 1.500 Gäste auf ihrer Hochzeit. Noch heute spricht man davon. Es war ein gesellschaftliches Großereignis, auf das ihre Eltern und Schwiegereltern zeit ihres Lebens stolz sein werden. Die Feier war perfekt organisiert. Für Speisen und Getränke war ausreichend gesorgt. Alles andere wäre eine Schmach gewesen. Es wird immer – und bei Hochzeiten ganz besonders – viel aufgefahren, damit bloß niemand zu kurz kommt. Geiz ist hier alles andere als geil.

Echte Party mit Livemusik, Tanz und Gesang

Für manche Gäste bieten Hochzeiten zudem die einzige Möglichkeit zum Feiern, zum Hübschmachen, zum Tragen teuren Schmucks und besonderer Kleidung. Alternativen dazu haben sie eher selten. Geburtstage werden in der Regel kaum oder gar nicht gefeiert. Islamische Feste gibt es nur zwei größere an der Zahl und die werden wie die meisten religiösen Anlässe nicht ausgelassen mit Musik begangen. Öffentliche Partys und Diskotheken kommen oft ebenso wenig infrage – sei es, weil sie bei manchen verpönt sind oder weil eine rassistische Einlasspolitik die Teilnahme verhindert.

Orientalische Hochzeiten darf man sich somit nicht unbedingt als gediegenes Beisammensein an einer gedeckten Restauranttafel vorstellen, sondern in der Regel als echte Party mit Livemusik, Discokugeln, Tanz und Gesang. Nicht selten werden daraus Discoabende und mithin genau allem, was in Corona-Zeiten höchst problematisch ist: überfüllte Innenräume mit singenden, tanzenden, transpirierenden Menschen …

Eine Einladung geht hinaus an die ganze Familie

Abgesehen von Egoismus, Gleichgültigkeit, Relativierung des Virus, Corona-Überdruss oder was Menschen sonst im Allgemeinen zu leichtsinnigem Verhalten in der Pandemie verleitet: Das Hauptproblem hinter solchen Superspreader-Events ist ein organisatorisches. Einladungen zu türkischen, arabischen, aramäischen oder kurdischen Hochzeiten erfolgen selten personengebunden: Eine Einladung geht an eine Familie.

Wer sich zu dieser Familie zählt, darf sich als eingeladen betrachten: Großeltern, Eltern, Schwiegersöhne- und -töchter, Kinder und selbst deren beste Freundinnen und Freunde dürfen mitkommen. Nachbarn und Bekannte fühlen sich bisweilen automatisch eingeladen; erst recht, wenn jemand aus der Familie des Brautpaares schon mal bei einem selbst Hochzeitsgast war. Sogar wenn jemand völlig Unbekanntes um Einlass bittet, würde dieser vermutlich gewährt. So kommt es wie bei meiner Freundin zu Hochzeiten mit 1.500 Gästen und mehr, von denen viele Braut und Bräutigam nicht persönlich bekannt sind.

Ist die Feier erstmal aus dem Ruder gelaufen ...

Vor diesem Hintergrund kann die Vorabkalkulation der Gäste am Hochzeitstag rasch zur Makulatur werden. Die angemietete Hochzeitshalle ist zu klein, die Hochzeitsgesellschaft steht sich auf den Füßen. Ist eine Feier erst einmal so aus dem Ruder gelaufen, lässt sich daran nichts mehr ändern. Es wäre unvorstellbar, jemanden an der Tür wegen Überfüllung abzuweisen. Für die einladende Familie käme das – ob eingebildet oder echt – einer nicht wieder gut zu machenden Schande gleich. Der soziale Ruf wäre angekratzt. Die Familie des Bräutigams, die traditionell die Hochzeit ausrichtet, würde als geizig betrachtet, weil sie keine größere Halle gebucht hat.

Im Deutschland des 21. Jahrhunderts könnte man ausrufen: "Mensch, dann lasst die Leute reden!" Dieser Haltung jedoch steht die Diaspora-Situation entgegen, in der sich viele Menschen mit orientalischer Herkunft nach wie vor wähnen. Wer von außen angefeindet wird, ist besonders darauf bedacht, seinen sozialen Ruf nach innen zu wahren, und hat folglich größere Angst davor, es sich mit den "eigenen" Leuten zu verderben.

Komplett auf Hochzeitsfeiern verzichten?

Damit gibt es nur zwei Lösungen: Entweder auf Hochzeitsfeiern während der Corona-Pandemie komplett zu verzichten, was viele bereits tun, oder der Staat begrenzt offiziell die Zahl der erlaubten Partygäste.

In diese Richtung orientieren sich die Entscheidungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen am vergangenen Dienstag. Doch sie reichen nicht aus. Es geht um mehr als orientalische Hochzeiten. Laut Robert Koch-Institut gehen die jüngsten Anstiege der Corona-Neuinfektionen seit Wochen "insbesondere" auf private Feiern im Familien- und Freundeskreis zurück.

Mehr Mut der Bundesregierung

Man hätte sich daher mehr Mut von Merkel und Co. gewünscht, als nur dann die Personenzahl in öffentlichen oder angemieteten Räumen auf maximal 50 zu beschränken, wenn innerhalb von sieben Tagen in einem Landkreis mehr als 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen auftreten. Für private Räume konnten sie sich nicht mal auf Vorschriften einigen, sondern empfehlen bloß "dringlich", keine Feierlichkeiten mit mehr als 25 Personen durchzuführen.

Besser wäre eine allgemeine Beschränkung der Gästezahl gewesen. Man hätte sie zunächst zeitlich befristet etwa bis Mitte oder Ende Oktober erlassen und dann nach erneuter Prüfung entweder verlängern oder lockern können. Eine Bekannte meinte jüngst: "In der U-Bahn tragen so viele keine Maske, aber auf Hochzeiten sollen wir nicht gehen dürfen?" Ähnlich argumentieren Schüler: "Was soll das? In der Schule müssen wir eine Maske tragen, in der Freizeit treffen wir uns mit denselben Leuten ohne." Beides ist zu kurz gedacht und bedenkt die Konsequenzen nicht.

Es droht schnell ein Superspreader-Event

Wenn sich Schulfreunde treffen, steckt sich im Zweifelsfall eine Handvoll Leute an. Im Klassenraum ohne Maske wären gleich über 20 betroffen. In der U-Bahn steigen Menschen aus und ein und halten sich in einem Wagon deutlich kürzer auf als während eines langen, überfüllten Partyabends. In der U-Bahn tragen nur einige keine Masken, auf Privatpartys trägt sie niemand. Wenn viele Menschen längere Zeit an einem Ort ungeschützt zusammen sind, geht die Ausbeute des Virus ins Vielfache. Es droht ein Superspreader-Event wie einst beim Fleischfabrikanten Tönnies.

Das Schlimmste mögen – derzeit jedenfalls – nicht die gesundheitlichen Folgen sein. Wir werden nicht alle sterben. Das gravierendste Problem, das so ein rücksichtsloses Verhalten aktuell nach sich ziehen könnte, wäre ein lokaler Lockdown, der zahlreiche unbeteiligte Personen durch die Schließung von Schulen, Betrieben oder Sportvereinen treffen würde.

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Striktere Regeln sind im Sinne aller

Die meisten Menschen in Deutschland mögen vernünftig sein und die AHA-Regeln einhalten, aber eben nicht alle. Deshalb sind Vorschriften dort nötig, wo das Fehlverhalten einzelner ausreicht, um großen Schaden anzurichten. Die Fälle in Garmisch-Partenkirchen, in Bodenwöhr im Landkreis Schwandorf oder jetzt die Geburtstagsparty in Bielefeld hätten sich in ihren Ausmaßen wohl verhindern lassen, wenn es für private Veranstaltungen ohne Hygienekonzept feste Teilnahme-Obergrenzen gegeben hätte; immer zeitlich befristet gedacht. Letztlich sind striktere Regeln gleichsam im Sinne der einzelnen Bürger und Bürgerinnen.

Partyveranstaltern, die fahrlässig handeln und zu viele Menschen hereinlassen, drohen nicht nur hohe Bußgelder – 2.500 Euro und mehr –, sondern unter Umständen noch saftige Regressforderungen: In Bielefeld sind rund 1.000 Menschen wegen einer einzigen Geburtstagsfeier in Quarantäne. Zudem sind Schulen dicht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können nicht zur Arbeit gehen. Da können sich schnell gewaltige Summen auftürmen, die einen in den Ruin treiben. Und das ist nicht einmal das wichtigste gesellschaftliche Ereignis im Leben wert.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin für t-online die Themen Islam und Migration.

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