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Sexismus: Sind Friedrich Merz und Christian Lindner die besseren Südländer?


Meinung
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Merz und Lindner
Wir brauchen keine Männer von gestern

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 24.09.2020Lesedauer: 4 Min.
Friedrich Merz und Christian Lindner auf einem Festakt in Hamburg: Von Friedrich Merz kennt man das mit den Fettnäpfchen, er springt bekanntlich häufiger hinein, und Christian Lindner scheint ihm nachzueifern.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz und Christian Lindner auf einem Festakt in Hamburg: Von Friedrich Merz kennt man das mit den Fettnäpfchen, er springt bekanntlich häufiger hinein, und Christian Lindner scheint ihm nachzueifern. (Quelle: dpa)

Die politischen Gegner können sich entspannen: Nach dieser Woche dürfte Merz seine Ambitionen in Sachen Kanzlerkandidatur verspielt haben. Auch Christian Lindner droht Ungemach.

Sind Christian Lindner und Friedrich Merz womöglich die besseren Südländer? So fragte mich dieser Tage ein Kollege. Gemäß verbreiteter Vorurteile sind Machosprüche und Unbehagen beim Thema Homosexualität angeblich eher im Mittelmeerraum anzutreffen als am Skagerrak. Doch Christian Lindner und Friedrich Merz können da locker mitspielen.

Seit Jahren wird der Gesellschaft eingebläut, Zuwanderer müssen sich an unsere Kultur anpassen, die Mehrheitsgesellschaft solle die Einhaltung unserer "Hausordnung" von den Neuankömmlingen ruhig einfordern. Zu dieser "Hausordnung" gehören dann wie selbstverständlich der Respekt vor Frauen und Offenheit für gleichgeschlechtliche Liebe.

So schaffte es beispielsweise die Frage: "Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell … Wie reagieren Sie?", einst ebenso in einen Einbürgerungstest für Muslime in Baden-Württemberg wie: "Halten Sie es für einen Fortschritt, dass Männer und Frauen in Deutschland kraft Gesetzes gleichberechtigt sind?"

Mister Leitkultur sollte mit gutem Beispiel vorangehen

Mister Leitkultur, Friedrich Merz, argumentierte schon vor 20 Jahren in diese Richtung: "Zuwanderer, die auf Dauer hier leben wollen, müssen sich einer gewachsenen, freiheitlichen deutschen Leitkultur anpassen", und auch Christian Lindner stellte via "Bild" klar: "Wir dürfen von Muslimen erwarten, dass sie ihren Glauben so modernisieren, dass er zu den Werten des Grundgesetzes passt."

Nicht, dass wir uns falsch verstehen – in solchen Überlegungen steckt natürlich ein wahrer Kern. Aber sollten sich nicht diejenigen, die das fordern, wenigstens selbst dran halten und mit gutem Beispiel vorangehen?

Beide Männer haben diese Woche Zweifel daran genährt und sich selbst in die Bredouille gebracht. Von Friedrich Merz kennt man das mit den Fettnäpfchen, er springt bekanntlich häufiger hinein, und Christian Lindner scheint ihm nachzueifern.

Zunächst wollte ich Christian Lindners Rede beim FDP-Bundesparteitag in Berlin hier gar nicht thematisieren. Ich hatte seine Äußerungen nur am Rande mitbekommen und mein erster Gedanke war: "Das ist ihm so rausgerutscht. Es gibt echt Schlimmeres und problematischere Sprüche." Zudem halte ich Christian Lindner für einen grundsätzlich modernen, vernünftigen Menschen. Im Nachhinein dann erklärte er in den Medien, er habe es nicht so gemeint, als er vor versammelter Mannschaft zur ausgemusterten Generalsekretärin Linda Teuteberg gesagt hatte: "Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen Monaten ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben."

Kurze Pause.

"Ich spreche über unser tägliches Telefonat zur politischen Lage, nicht, was ihr jetzt denkt!"

Gelächter.

Er habe seine Rede "auflockern" wollen, so der Parteichef. Das tue ihm leid.

Daraufhin habe ich mir diesen Parteitagsausschnitt genauer angeschaut, und tatsächlich zwischen beiden Sätzen macht Christian Lindner eine Kunstpause, wartet auf Reaktionen, um dann mit den Augen zu rollen. Es war tatsächlich kalkuliert. Es war ein Herrenwitz. Und nicht nur das. Er hatte genau denselben mindestens schon einmal 2017 gebracht, wie der Journalist Lorenz Meyer memorierte, und zwar bei einer Veranstaltung der FDP Rhein-Berg: "Ich bin heute wachgeworden mit Claudia Roth." Kunstpause: "Entschuldigen Sie, ich habe gesagt: 'mit', nicht 'neben'. Die hatte nämlich heute Morgen ein Interview im Deutschlandfunk." Gelächter.

Merz hat ein handfestes Problem mit Homosexualität

Sicherlich ist das nicht das Altherrengebaren eines Rainer Brüderle, von dem die Reporterin Laura Himmelreich 2013 im "Stern" berichtete, aber es weckte Erinnerungen daran. Einen schlechten Witz bei sich selbst abzukupfern und ihn auf Kosten einer Frau zu wiederholen, die er gerade mit abgesägt hat, ist davon abgesehen nicht nur besonders respektlos, sondern auch unkreativ und altbacken. Vielleicht sollte Christian Lindner sich zukünftig besser überlegen, was er sagt, bevor er lustig sein will.

Friedrich Merz indes müsste noch ein ganzes Stück tiefer in sich gehen. Man will ihn auch deshalb so gerne mit Christian Lindner vergleichen, weil er vor gut 20 Jahren genauso alt war wie Lindner heute – und vor seinem Abtauchen ins politische Vakuum mit ganz ähnlichem Altherrencharme aufgefallen war. Doch Merz hat noch ein deutlich größeres Problem.

Genau genommen hat Friedrich Merz ein handfestes Problem mit Homosexualität – allen Rechtfertigungen und Klarstellungen dieser Woche zum Trotz. Seit Jahrzehnten kommt er bei dem Thema ohne die Konjunktion "solange" als Einschränkung nicht aus: Zum Coming-out von Berlins damaligem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte Merz 2001 der Illustrierten "Bunte": "Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!" Vor CDU-Anhängern betonte er, er habe nichts gegen gleichgeschlechtliche Ehen, "solange ich da nicht mitmachen muss".

Diese Woche nun führte der 63-Jährige aus: "Die Frage der sexuellen Orientierung geht die Öffentlichkeit nichts an, solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft. An der Stelle ist für mich eine absolute Grenze erreicht." Wenn jemand über Vorbehalte gegenüber Homosexualität befragt wird, und als erstes ganz unvermittelt Gesetzesverstöße und Pädophilie assoziiert, kann er noch so oft betonen, dass er überhaupt kein Problem damit habe, seine Ressentiments lassen sich dann nicht mehr kaschieren. Genau deshalb sind solche Aussagen im Fall von Friedrich Merz mehr als pure Wortklauberei, die man schnell ad acta legen sollte, um über vermeintlich echte Inhalte weiterzureden.

Wie ein Zeitreisender

Friedrich Merz dürfte sich spätestens mit dieser Aktion für den CDU-Vorsitz erledigt haben. Auch eine konservative Partei braucht keinen Mann von gestern, und Friedrich Merz wirkt wie eine Verkörperung von gestern. Gesellschaftlicher Fortschritt scheint an ihm vorbeigegangen zu sein. Man hat das Gefühl, er hat bei seiner Rückkehr in die Politik nicht mitbekommen, dass es 2020 geworden ist. Er ist da stehen geblieben, wo er 2009 aus der Politik ausgeschieden ist. Im Hier und Jetzt wirkt er jedenfalls allzu häufig wie ein Zeitreisender, der sich ins falsche Jahr verirrt hat. Zumindest in Deutschland wollen wir mit Politiker*innen doch nicht ernsthaft wieder über Homosexualität diskutieren.

Nein! Christian Lindner und Friedrich Merz sind nicht die besseren Südländer. Sie haben bloß weitere Belege dafür geliefert, dass Machismo, Sexismus, Diskriminierung und Vorurteile eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sind, die sich eben nicht auf "Ausländer" allein abwälzen lässt.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Muslimisch und liberal!" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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