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Anschlag in Halle: Es mussten erst Menschen sterben, bis die Politik reagiert


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Anschlag von Halle und die Folgen
Offenkundig mussten erst Menschen sterben, bis die Politik reagiert

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 11.10.2019Lesedauer: 4 Min.
Passanten legen am Ort des Anschlags in Halle Blumen nieder: Eine solche Tat war in Deutschland leider absehbar, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Passanten legen am Ort des Anschlags in Halle Blumen nieder: Eine solche Tat war in Deutschland leider absehbar, meint Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Sören Stache/dpa)
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Der antisemitische Anschlag von Halle war ein Anschlag mit Ansage. Umso irritierender sind die Reaktion der CDU-Chefin und die Entscheidungen der Bundesregierung, Organisationen im Kampf gegen rechts die Mittel zu kürzen.

Diese Dimensionen der Gewalt bereiten einem wirklich Sorgen, und manche Reaktionen auf den antisemitischen Anschlag gegen die Synagoge von Halle an der Saale machen sprachlos – und ich denke jetzt nicht ans Internet. "Ein solcher Angriff am höchsten jüdischen Feiertag ist ein Alarmzeichen, das niemanden in Deutschland unberührt lassen kann", sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dem "Tagesspiegel". Ernsthaft? Der Tod zweier Menschen und der Angriff eines Mannes in Kampfausrüstung, mit Schusswaffen und offenbar Granaten bewaffnet, auf eine Synagoge ausgerechnet an Jom Kippur ist bloß ein Alarmzeichen?

Führende Politikerinnen und Politiker des Landes haben die Lage immer noch nicht begriffen. Nein, Frau Kramp-Karrenbauer, es ist längst bittere Realität geworden. Die Alarmzeichen gibt es seit Jahren. Experten haben schon seit Langem darauf hingewiesen. Wo waren Sie da? Waren Sie etwa nicht in Deutschland?

Der Hass ist nicht neu

Der Anschlag von Halle kommt nicht aus dem Nichts. Die rechte und die antisemitische Szene radikalisiert sich seit Langem unter unseren Augen. Das zeigt der unverhohlene Hass auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf Demonstrationen werden Galgen mitgeführt. Auf offener Bühne wird von geladenen Revolvern, Patronen und Jagden schwadroniert. Hakenkreuze auf jüdischen Einrichtungen, zerstörte Friedhöfe, gewalttätige Attacken auf jüdische Mitbürger im Alltag. Ewige Beschimpfungen und Entmenschlichungen im Internet und Berufsrichter, die das als Meinungsfreiheit durchgehen lassen.

Als ich vor rund drei Jahren ein Buch über diesen Hass und die Gefahren für die Demokratie aus dem rechten Milieu schrieb, musste ich anschließend wegen massiver Anfeindungen von Radikalen, die von intellektueller Seite Rückendeckung erhielten, meine Tätigkeit als Lehrerin aufgeben.

Inzwischen beteuern sämtliche Sicherheitsbehörden, dass sie im Kampf gegen rechts aufstocken wollen. Offenkundig musste es erst Tote geben, bis die Politik endlich reagiert. Das ist sehr, sehr traurig. Aber nicht einmal die jetzigen Beteuerungen können die Zweifel beseitigen.

Ausgerechnet solche Organisationen, die sich intensiv gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus engagieren, wie die Amadeu Antonio Stiftung, das Aussteigerprogramm Exit oder die Initiative "Gesicht zeigen", machen sich derzeit große Sorgen. Sie klagen über die Planungen der Bundesregierung, ihnen längerfristig die Mittel zu kürzen beziehungsweise ihre Projekte nicht weiter mitzufinanzieren.

Deutschland hat ein strukturelles Problem

SPD, CDU und CSU haben das Bundesprogramm "Demokratie leben" umstrukturiert und zusammengestrichen, diverse Förderungsanträge wurden mit Ablehnungsbescheiden vom Tisch gewischt – und das wohlgemerkt bei einer schwarzen Null. Wie passt das alles zusammen? Wie es heißt, hatte Finanzminister Scholz inzwischen offenbar einen Geistesblitz und die Kürzung ist zumindest fürs kommende Jahr ausgesetzt. Eine völlig unzureichende Reaktion, ein weiteres Ausweisen von Ignoranz. Wir reden von läppischen 8 Millionen Euro aus dem Bundesetat. Nötig wäre eine deutliche Aufstockung der Mittel für diese wichtige Arbeit!

Der Anschlag von Halle bestätigt schließlich die These, dass Deutschland ein strukturelles Problem hat, das die Demokratie zunehmend ins Wanken bringt. Wir alle können zum Opfer werden. Vermutlich sind die beiden Toten von Halle nur zufällig ins Visier des antisemitischen Attentäters geraten.

Alles hängt mit allem zusammen

In den Videoaufnahmen von seiner Tat, die er gestreamt hat, macht er antifeministische Stimmung. Die Ausführung des Anschlags erinnert an das Attentat von Christchurch Anfang des Jahres. Und das hatte sich gegen Moscheen gerichtet. Im vermutlich von ihm veröffentlichten "Manifest" heißt es, sein Ziel sei es gewesen, so viele "Anti-Weiße" wie möglich zu töten. "Anti-Weiße" sind alle, die etwas gegen Rechtsradikale haben.

Alles hängt mit allem zusammen. Im Netz blühen unter Rechten Verschwörungstheorien auf, wonach der Anschlag von Halle eine False-Flag-Aktion, also inszeniert gewesen sein soll, um von den bislang noch ungeklärten Vorgängen in Limburg abzulenken, wo ein Syrer einen Lkw gekapert hat und auf wartende Autos aufgefahren ist, oder von dem Messerangriff auf die Polizeipräfektur in Paris mit vier Opfern.

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Der Attentäter von Halle hätte durchaus auch ein Islamist sein können, der seinen tödlichen Antisemitismus auslebt. Das gegenseitige Zeigen aufeinander hilft nichts. Die Spirale der Gewalt, die von Rechten und Islamisten angetrieben wird, dreht sich und dreht sich und dreht sich ...

Wir brauchen Solidarität im Kampf gegen rechts

Man kann heute nicht zwischen dem Kampf gegen den Islamismus und dem Kampf gegen Rechtsradikalismus entscheiden. Man muss beide gleichsam intensiv und entschieden führen. Auf staatlicher Ebene wie auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Umso wichtiger ist es, in diesen Zeiten solidarisch miteinander zu sein und gesellschaftliche Bündnisse zu schließen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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