Durchmischte Truppe Da platzt den Ewiggestrigen die Hutschnur
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet."Diese Uniform dürfen nur Deutsche tragen!" In Berlin ist ein türkischstämmiger Bundeswehrsoldat hinterrücks attackiert worden. Doch kein Soldat darf im eigenen Land um sich fürchten müssen.
In Berlin ist ein Soldat in Uniform hinterrücks angegriffen worden. Zwei Männer sollen ihn geschlagen und getreten haben. Die Hintergründe sind noch unklar. Die Polizei sagt allerdings, einer der Täter habe dem 25-jährigen Obergefreiten zugerufen: "Nur Deutsche dürfen diese Uniform tragen" – der Mann hat einen türkischen Familienhintergrund.
Ein starkes Bekenntnis zu Deutschland
Ein erschreckender Fall aus mehreren Gründen. Ein Soldat, der bereit ist, sein Leben für sein Land zu lassen, wird in seinem Land attackiert. Der Angriff erfolgte offenbar heimtückisch durch zwei Angreifer. Grund scheint nicht sein Verhalten gewesen zu sein, sondern bloß seine Herkunft, für die selbstverständlich niemand etwas kann.
Wie gesagt, die Hintergründe sind noch unklar, dennoch sorgte der Fall für Diskussionen, weil viele ein rassistisches Motiv und Rechtsextremisten als Täter vermuten. Solche Spekulationen sind riskant, wenn sie sich am Ende als falsch herausstellen, würden sie den Rechtsextremisten in die Karten spielen, die "mal wieder falsch" beschuldigt wurden. Vielleicht waren es zwei türkischstämmige Angreifer, die es nicht ertragen können, dass "einer von ihnen" eine deutsche Bundeswehr-Uniform trägt.
Die Politik reagiert
Es ist schließlich ein starkes Bekenntnis zu Deutschland, wenn man bereit ist, für dieses Land womöglich in einen Kriegseinsatz zu gehen, wohlwissend, dass schon der Weg steinig ist, da Bundeswehrsoldaten mit ausländischen Wurzeln ähnlich wie Frauen nicht von jedem Angehörigen der Truppe akzeptiert werden. Vielleicht waren es auch Linksextremisten angetrieben von grundsätzlicher Ablehnung der Bundeswehr. Oder die Tat hat ganz andere Hintergründe.
Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer jedoch, die tiefere Einblicke in den Stand der Ermittlungen haben dürfte als die breite Öffentlichkeit, machte noch am selben Tag deutlich: "Für den Dienst in der Bundeswehr spielt es überhaupt keine Rolle, welchen Hintergrund unsere Frauen und Männer haben."
Ein richtiger Schritt
Die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Annette Widmann-Mauz, ließ ebenso rasch wissen: "Wer Soldaten der Bundeswehr angreift, greift die Werte unseres Landes an. Rassisten wie jetzt in Neukölln machen auch vor ihnen nicht Halt, sie treten unsere Demokratie mit Füßen!"
Die umgehenden Reaktionen – Spekulation hin oder her – waren ein richtiger Schritt der Hardthöhe und des Bundeskanzleramts, um etwaigen öffentlichen Erregungszuständen vorzubeugen, um Soldatinnen und Soldaten zu schützen und um deutlich zu machen: Ja, Menschen unterschiedlichster Provenienz gehören in die Bundeswehr.
Wir haben eine Parlamentsarmee und die hat die Aufgabe, ein gesellschaftlich vielfältiges Land zu schützen und zu verteidigen. Jeder Fünfte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bundeswehr zu stärken, hilft eine vielfältige Truppe, die die Unterschiede einer Gesellschaft widerspiegelt mit Frauen und Männern, Reichen und Armen, Hetero- und Homosexuellen, mit Christen, Juden, Atheisten und Muslimen, mit Deutschen und Bindestrich-Deutschen in ihren Reihen.
Willkommen im 21. Jahrhundert
Durchmischte Truppe?!? Bei diesen Worten höre ich geradezu, wie den Ewiggestrigen die Hutschnur platzt und wie sie über den angeblichen Verlust von Moral und Disziplin sowie die vermeintliche Unterwanderung der Kampfkraft wimmern. Doch, hey, willkommen im 21. Jahrhundert. Findet euch damit ab, dass die Erde sich dreht. Vielfältigkeit ist Realität. Vielfältigkeit muss daher gelebt werden.
Das gilt besonders für Organisationen mit autoritären Strukturen und traditionellen Vorstellungen wie die Bundeswehr, die laut Studien stärker als andere Organisationen autoritäre Charaktere mit teilweise rechtsradikalen Ansichten anzieht. "Vielfalt ist unsere Stärke", betonte Kramp-Karrenbauer in ihrer Stellungnahme zu dem Berliner Vorfall. Man kann es nicht laut genug sagen.
Sobald dieser Selbstverständlichkeit etwas entgegen zu laufen scheint, ist es wichtig, dass die zuständigen Behörden rasch und unmissverständlich reagieren, selbst wenn der Angriff auf den 25-Jährigen am Ende doch noch in einem anderen Licht stehen sollte, als derzeit angenommen. Soldatinnen und Soldaten gehören zur Gesellschaft, und das muss sichtbar sein.
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Durch Kramp-Karrenbauers Initiative, die Bundeswehrangehörigen in Uniform ab 2020 kostenloses Bahnfahren ermöglicht, werden sie vermutlich wieder häufiger im Alltag präsent sein. Dabei sollte niemand von ihnen Angst vor Anfeindungen haben müssen.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.