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Hass auf Greta Thunberg: Niemand darf auf Mitgefühl hoffen


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Hass auf Greta
Niemand von uns darf auf Mitgefühl hoffen

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 16.08.2019Lesedauer: 5 Min.
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg: Ihr schlägt offene Feindschaft entgegen, die aus Beleidigungen und übler Nachrede besteht. Was sagt das über die Gesellschaft aus, fragt Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg: Ihr schlägt offene Feindschaft entgegen, die aus Beleidigungen und übler Nachrede besteht. Was sagt das über die Gesellschaft aus, fragt Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Yara Nardi/reuters)

Gerüchte, Lügen, Halbwahrheiten: Der Mob trommelt gegen eine 16-Jährige – angefeuert von sogenannten Intellektuellen. Dagegen helfen keine Argumente.

Wenn Erwachsene sogar ein Mädchen aus der Mitte der Gesellschaft öffentlich mit derartiger Widerlichkeit überziehen … Wenn sie eine seelische Beeinträchtigung wie das Asperger-Syndrom benutzen, um zu ätzen … Wenn nicht mal bei einer gerade 16-Jährigen Zurückhaltung möglich ist, was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Die Genugtuung der Verachtung

Erwachsene sprechen mit der Genugtuung der Verachtung über ein Kind. Es ist zunehmend verstörend, zu was Menschen in öffentlichen Diskursen fähig sind. Im 21. Jahrhundert. In aufgeklärten Gesellschaften. Geprägt von Rousseau, Pestalozzi, Fröbel, Diesterweg, Korczak, Montessori und anderen berühmten Pädagoginnen und Pädagogen.

Es ist geradezu kafkaesk. Die Feindschaft gegenüber der Klimaaktivistin Greta Thunberg, die gestern mit einer Segeljacht zur Überfahrt nach Amerika aufgebrochen ist, verdeutlicht einmal mehr, wie ignorant ein (kleiner, aber lauter) Teil dieser Gesellschaft gegenüber der Würde von Mitmenschen ist – vor allem in der geifernden Welt der Kommentarspalten. Andere Opfer, die weniger schutzbedürftig als eine Jugendliche mit Behinderung sind, brauchen von daher gar nicht erst darauf zu hoffen, dass ihnen von solchen Menschen jemals Mitgefühl für ihre Lage entgegengebracht werden könnte.

Und wenn sie noch so leiden, der Mob wird ihre Trauer banalisieren. Dabei beklagen tragischerweise gerade diese Hetzer eine fehlende Empathie und ein fehlendes Verständnis bei Politik und Eliten für ihre eigenen Sorgen und Nöte.

Der abscheuliche Umgang mit Greta Thunberg ist zugleich eine Niederlage für den Rest, die große Mehrheit der Bevölkerung. Sie schafft es weder, das Mädchen davor zu bewahren, noch, die Widerwärtigkeiten durch andere Narrative zu überlagern, um ihnen die Lautstärke abzudrehen.

Ihre Worte sollen herabgesetzt werden

Sogenannte Kritiker überziehen Greta Thunberg mit Beschimpfungen und Verschwörungstheorien, wonach sie von "grünen Nazis", "Klima-Hysterikern" und skrupellosen Angehörigen gesteuert würde. Dabei scheint das Verhalten der 16-Jährigen durchaus plausibel zu sein: Ein Asperger-Syndrom geht laut aktuellen Erkenntnissen häufig mit einem eingeschränkten, stereotypen, sich wiederholenden Repertoire von Interessen und Aktivitäten einher.

Wenn sich Greta Thunberg also intensiv und kategorisch für Klimaschutz stark macht, könnte das den gängigen Symptomen ihrer Autismus-Spektrum-Störung entsprechen; wie es tatsächlich ist, weiß nur ihr persönliches Umfeld. Sie selbst sagte dem ZDF: "Ich denke, wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen. Ich hätte einfach weiter so gelebt und gedacht, wie jeder andere auch." Es gäbe also plausible Erklärungen für ihr Engagement.

Doch ihre Worte müssen nach Ansicht ihrer Gegner herabgesetzt werden, dürfen möglichst kein Echo finden. Greta Thunberg und ihre Bewegung "Fridays for Future" seien nicht demokratisch, hieß es jüngst. Dann: Greta Thunberg umgebe sich mit den falschen Leuten. Ihr Umfeld verfolge kommerzielle Interessen …

Das kleine Einmaleins des Fertigmachens

Selbstverständlich werden Menschen versuchen, mit der Jugendlichen Geld zu verdienen. So ist Kapitalismus. Doch schwächt das ihr Anliegen? Wird Klimaschutz dadurch weniger virulent?

Ihre Gegner stalken sie und geben Alarm, wenn sie mal Plastik benutzt hat, mit einem Diesel-Auto gefahren oder zu nah an einem Kohlekraftwerk vorbeigegangen ist. Das alles gehört zum kleinen Einmaleins des Fertigmachens 2.0, des Diskreditierens ungeliebter Personen. Gerüchte, Lügen, Halbwahrheiten – wer heute in der Öffentlichkeit steht, muss so etwas über sich ergehen lassen. Allerdings: Wer alles glaubt, was über jemanden im Netz steht, glaubt auch an grüne Marsmännchen.

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Nur weil sich die junge Schwedin für eine gute Sache stark macht, muss sie nicht die personifizierte Unschuld sein, keine Prophetin, keine Jeanne d’Arc, keine Katharina von Siena. Sie darf Fehler machen. Normalerweise sieht man bei einer 16-Jährigen großzügig über so etwas hinweg.

Sorry, Christian Lindner

Und dann ist da noch der Hype. Greta Thunberg ist das weltweite Gesicht des Klimaschutzes. Identifikationsfiguren sind wichtig. Was wäre die Bürgerrechtsbewegung in den USA ohne Martin Luther King? Ein gewisser Hype um ihre Person ist nur natürlich – gerade im Internetzeitalter.

Kein Hype ist derweil die Klimaschutzbewegung. Jeder kann die Veränderungen in der Natur sehen. Fast alle Klimaforschenden weltweit geben Greta Thunbergs zentraler Forderung nach Reduzierung von CO2-Emissionen recht. Und nur weil junge Menschen das Thema anstelle von etablierten PolitikerInnen entdeckt haben, schmälert das nicht seine Bedeutung. Sorry, Christian Lindner.

Man muss Greta Thunberg nicht an den Lippen hängen. Ihr nicht in allem, was sie sagt, zustimmen. Ihre Vorstellungen werden nicht eins zu eins in Gesetze gegossen werden, selbst wenn noch hundertmal mehr Menschen demonstrieren. Interessenausgleich ist die zentrale Aufgabe demokratischer Politik. Deshalb regieren Politiker, keine Forschenden.

Da ist die politisch engagierte Jugend

Aber Greta Thunberg und die "Fridays for Future" sitzen der Politik im Nacken. Und das ist gut so. Sie setzen sich für eine richtige Sache ein und reißen andere junge Menschen mit, eisen sie von Playsi, YouTube und TikTok los. Nicht für den eigenen Profit handeln sie, nicht zum Schaden anderer Menschen, sondern zum Schutz der Umwelt und damit von uns allen.

Haben wir nicht jahrelang nach einer politisch engagierteren Jugend gerufen? Da ist sie. Doch statt sich darüber zu freuen, hagelt es Häme, Hass, Hetze.

Wie soll man darauf reagieren? Mit Beschimpfung der "Greta-Hasser" sorgt man für Polarisierung und Radikalisierung. Mit Richtigstellungen zu Greta Thunberg wird man sie nicht überzeugen können. Nicht mit Statistiken. Nicht mit Studien. Nicht mit Fakten. Wer Aussagen über die junge Schwedin glauben will, dem ist egal, ob es Gerüchte, Lügen oder Halbwahrheiten sind. US-Präsident Donald Trump hat das Postfaktische kultiviert, seine Jünger in Europa haben es adaptiert. Mit Sachlichkeit und Logik kommt man dagegen nicht an.

Die rechtspopulistische Strategie

Folglich hilft gegen die Hetze wohl nur ein beobachtendes Aussitzen der Anfeindungen und ein bewusstes Ignorieren der inhaltlichen Äußerungen. Das Eingehen auf die Pseudoargumente führt nicht weiter. Stattdessen sollte man den Hetzern immer wieder verdeutlichen, dass sie in der Minderheit sind. Ihr Hass muss ins Leere laufen, verhallen wie einst in der verrauchten, alkoholgeschwängerten Luft über den Stammtischen der Republik. Verbitterte Menschen, die jede Vernunft verweigern, erreicht man allenfalls über Ansprachen, die mit Greta Thunberg rein gar nichts zu tun haben, sondern die deren eigene Probleme und Sorgen adressieren.

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Leider erschweren diverse Intellektuelle diesen Ansatz, da sie aus Profitgründen oder persönlichen Überzeugungen gezielt versuchen, den tumben Hass des Mobs in gehobene Worte zu fassen, der Überzeugung folgend: Die "Greta-Hasser" hätten mit ihren Vorwürfen gegen das Kind ja recht, die armen Leute könnten sie nur nicht so gepflegt zum Ausdruck bringen. So liefern sie sich gegenseitig die Stichworte. Das entspricht der klassischen Rechtspopulismus-Strategie, unredliche und falsche Argumente der Straße in bürgerliches Gewand zu kleiden. Dieses Vorgehen gilt es zu dekonstruieren.


Schließlich leben wir in einer Zeit, in der Medien vermeintliche Heldinnen für kurze Zeit erzeugen. Hat die ARD ein Interview mit einer geführt, taucht sie morgen im ZDF auf. Wer erinnert sich noch an Malala Yousafzai? Nadia Murad? Oder gar an ihre Anliegen? Zeitweise kreisten Medien und Politik allesamt um die jungen Frauen, dann ließen sie sie wieder unter die Oberfläche der Aufmerksamkeit sinken. Für Kritiker ist diese Medienrealität eine gute Nachricht: Sie können sich darauf besinnen, dass die fünf Minuten Ruhm der für sie so missliebigen Stimmen irgendwann enden werden. Also, entspannt euch! Und argumentiert mehr ad rem, weniger ad hominem.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin und Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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