Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kampf gegen Rechts An Maas und Seehofer sollten sich alle ein Vorbild nehmen
Die Hoffnung vieler Menschen ist endlich wahr geworden. Die Staatsführung in Deutschland bekennt nahezu einmütig, dass wir derzeit vor allem ein Problem mit dem erstarkenden Rechtsextremismus haben. Die Zeit ist also gekommen, die sonst so viel gescholtene Politik einmal ausdrücklich zu loben. Vorneweg den zuständigen Innenminister Horst Seehofer.
Horst Seehofer hatte zuletzt viel Kritik für seine politischen Aufführungen einstecken müssen. Gegenwärtig gibt er ein verändertes Bild ab. Der Bundesinnenminister agiert besonnen, fokussiert und kraftvoll. Er zieht die richtigen Schlüsse. Mit der Abgabe des CSU-Vorsitzes hat er offenbar seinen parteipolitischen Ballast abgeworfen und sich der Sacharbeit zugewandt. Seine erste Frage scheint nicht mehr zu sein: Wie kommen meine Entscheidungen bei den Wählern und der Basis meiner Partei an? Diesen Wandel muss man würdigen, gerade in Zeiten des Populismus.
Seehofer scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben; vielleicht hat er auch einfach dazugelernt. Jedenfalls betrachtet er die gesellschaftlichen Entwicklungen derzeit aus einer unverstellten Perspektive und vermittelt den Eindruck, dass er "alle" Gefahren, die der Gesellschaft in diesem Land drohen, im Blick hat und auf keinem Auge irgendwie blind ist.
So hat man Horst Seehofer noch nicht erlebt. Er gibt sich sogar selbstkritisch hinsichtlich eigener früherer Äußerungen. Angesprochen auf seine Aussage von einer "Herrschaft des Unrechts" in der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte er in den "Tagesthemen", man müsse schon klarmachen, dass "ein schiefer Satz" oder eine falsche politische Entscheidung keine extremen Straftaten rechtfertige. Und er betont im Hinblick auf die Hinrichtung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ein zweites Mal: "Aber eines möchte ich schon vor der deutschen Öffentlichkeit festhalten: Weder ein politischer Diskurs, auch eine Sprache, die mal zugespitzt ist, noch eine politische Entscheidung, rechtfertigen in irgendeiner Weise einen Mord."
"Hetze kann das Vorfeld für Taten sein"
Horst Seehofer hat in seiner Amtszeit die Gefahren des Rechtsextremismus noch nie so deutlich benannt, wie in dieser Woche. Er räumt selbst Nachholbedarf im Kampf gegen Rechtsextremismus ein. Der stärkste Satz von ihm zur Einschätzung der Bedrohung von rechts lautete: "Ich würde sie auf jeden Fall auf eine Stufe mit dem islamistischen Terror und mit der Gefahr durch Reichsbürger stellen." So sagte er es zum Beispiel der "WAZ". "Wenn sich unsere bisherigen Annahmen bestätigen, ist die Entwicklung brandgefährlich. Sie richtet sich gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit gegen uns alle." Man müsse jederzeit mit einem Anschlag rechnen, warnte der Innenminister im Ersten.
So berechtigt diese Warnung seit Langem ist, bisher kannte man sie von ihm nur in Bezug auf Islamismus. Und auch die geistigen Brandstifter nimmt er in die Verantwortung: "Worte können das Vorfeld für Hetze, Hetze das Vorfeld für Taten sein."
Jahrzehntelang haben Wissenschaft und Sozialarbeit auf die Gefahren des Rechtsextremismus hingewiesen, nun fallen die entscheidenden Sätze aus berufenem Mund. Sie sind ausgesprochen, festgehalten, stehen auf ewig mahnend im Raum und dienen dort als Maßstab für künftige Handlungen der Politik. Dafür möchte ich Horst Seehofer Dank sagen.
Sätze wie Peitschenschläge
Allerdings muss sich der frühere CSU-Chef das Lob teilen. Auch Außenminister Heiko Maas ließ in dieser Woche Sätze wie Peitschenschläge knallen, um zu verdeutlichen, wie dramatisch die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in diesem Land ist: "Deutschland hat ein Terrorproblem", schrieb er in der "Bild am Sonntag": "Wegsehen kann tödlich sein."
"Viel zu oft war die Rede von 'Einzelfällen' oder 'Amokläufen', wenn es um Angriffe von rechts ging", "Weltweit warnen Extremismusforscher davor, dass Radikale irgendwann ihre Computertastatur gegen eine Waffe tauschen." "Demokratie stirbt an Gleichgültigkeit" und so weiter. Schließlich machte der SPD-Politiker den Vorschlag für einen "Donnerstag der Demokratie", angelehnt an die "Fridays for Future". Aktionismus? Na und! Was zunächst zählt, ist die Botschaft.
Starke Worte kamen auch vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Deutschland habe es mit einem "erschreckenden Ausmaß an rechtsextremer Gewalt zu tun", sagte der CDU-Mann zur Eröffnung der Bundestagssitzung: Menschenfeindliche Hetze sei in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart der Nährboden für Gewalt bis hin zum Mord. Wer diesen Nährboden dünge, mache sich mitschuldig. "Das sollte jetzt auch der Letzte verstanden haben." Als ich am vergangenen Wochenende mit ihm auf einem Podium beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund saß, bekundete er bereits vor dem großen Publikum glaubhaft, dass ihm jedenfalls eine muslimische Frau mit Kopftuch keine Angst mache.
Auf die Straße gegen Menschenfeindlichkeit
Die Gesellschaft hat die Gefahren des Rechtsextremismus, des Rechtspopulismus, des Rassismus, des Antisemitismus, der Islamfeindlichkeit und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schon lange erkannt und benannt. Zehntausende sind in den vergangenen Monaten dagegen auf die Straße gegangen: Sei es bei Großdemos von "Arsch huh" in Köln, bei "Jetzt gilt’s" in München, bei "Wir sind mehr" in Chemnitz, bei "Unteilbar" in Berlin, bei "Ein Europa für alle" bundesweit.
Fast jedes Wochenende stellen sich zudem mutige Frauen und Männer rechtsextremen Aufmärschen entgegen. Was man bislang vermisste, waren klare Haltungen auf einer breiten Ebene der Politik – also auch jenseits der Grünen, die sich schon immer glaubhaft gegen Rechts gestellt haben.
Diese Woche nun könnte ich diesbezüglich t-online.de mit vielen Namen und Äußerungen von noch viel mehr Politikerinnen und Politikern zuschreiben. All diese Personen vermitteln gerade den Eindruck, dass die Politik in diesem Land bereit ist zu funktionieren, um weitere Terroropfer und weiteres Leid zu verhindern. Das verleiht mir als Bürgerin dieses Staates eine gewisse Sicherheit und eine gewisse Beruhigung. Daher war’s an der Zeit, an dieser Stelle mal nicht zu kritisieren, sondern ein uneingeschränktes Lob zu formulieren.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.