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Kolumne von Lamya Kaddor zu Hatespeech: Haltet durch!


Hass und Drohungen im Netz
Haltet durch – auch wenn die rechten Hetzer lauter sind

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

17.05.2019Lesedauer: 4 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kommentare in sozialen Netzwerken: Der Hass wird orchestriert und ist Teil von Kampagnen.Vergrößern des Bildes
Kommentare in sozialen Netzwerken: Der Hass wird orchestriert und ist Teil von Kampagnen. (Quelle: Thomas Trutschel/imago-images-bilder)

Sie können Euch beschimpfen, sie können Euch bedrohen – doch Ihr seid nicht allein. Lasst Euch nicht vom Hass der Rechten einschüchtern. Bleibt laut und sichtbar.

Das hier ist für alle die, die im Netz beschimpft werden, die verspottet werden, die verleumdet werden. Über die Lügen, Halbwahrheiten, verdrehte Fakten und falsche Nachrichten verbreitet werden. Die Droh-Mails bekommen und Hassbotschaften ausgesetzt sind. Die von Rechtspopulisten, Rechtsradikalen, Rechtsextremisten und deren rechten Sympathisanten zur Projektionsfläche für ihre Aktivitäten gemacht werden: Haltet durch! Lasst euch nicht unterkriegen! Ihr seid nicht allein!

Kampagne gegen Schulleiter

Diese Woche traf es den Schulleiter eines Förderzentrums in Aschaffenburg. Rechte haben sich digital zusammengetan und den Mann zur Zielscheibe gemacht, weil dieser Vernunft walten ließ. Er verschob ein Schulfest, da ein Drittel seiner Schülerschaft muslimischen Glaubens und Ramadan ist. Über eine solche Entscheidung mag man innerhalb der Schulmauern diskutieren, aber sie geht gewiss niemanden außerhalb etwas an. Dennoch wurde der Schulleiter von vermeintlichen Abendlandrettern mit Kritik geflutet.

Solche rechten Kampagnen können irritierend und verstörend sein, wenn sie einen zum ersten Mal treffen. Aber: Hier spricht nicht die Gesellschaft zu einem. Es sind nicht breite Bevölkerungsschichten, die einen da plötzlich kritisieren, sondern es sind immer die gleichen Aktivisten, Blogger oder Social Bots dafür verantwortlich. Es handelt sich um ein und denselben Block, ein und dieselben Medien, ein und denselben Resonanzraum. Die Kampagnen der Rechten sind gelenkt, orchestriert, organisiert. Sie folgen den Kommandos bestimmter Internetseiten, Nutzergruppen oder prominenter Einzelpersonen.

Methodik ist bekannt

Inzwischen entwickeln sie auch eine Eigendynamik. Jeder weiß von allein, was zu tun ist, wenn in den Medien über einen Fall berichtet wird, in dem jemand x-beliebiges freundlich zu einer angefeindeten Gruppe ist oder sich als Mitglied einer angefeindeten Gruppe zu Wort meldet. Dann werden Postings, Texte, Memes erstellt, geteilt und Likes an Gleichgesinnte verteilt, um möglichst groß zu erscheinen und viele Unterstützter zu suggerieren. Diese Abläufe sind inzwischen von Studien und journalistischen Recherchen gut belegt. Die Gruppe Fearless Democracy etwa, die Hilfe bei digitalen Hasskampagnen bietet, hat das am Beispiel der Hexenjagd auf Margot Kässmann aufgezeigt.

Den meisten Menschen sind diese Methoden heute bekannt, sodass die Kampagnen zunehmend ins Leere laufen. Das heißt, die Kampagnen werden von anderen rasch als Kampagnen erkannt. Nutzer wenden sich ab und die Botschaften bleiben in den Filterblasen der Rechten, die allen Wahlumfragen und Wahlergebnissen zufolge eine Minderheit in der Bevölkerung stellen.

Erzählen Sie es weiter!

Dennoch gibt es weiterhin Menschen, die von solchen rechten Kampagnen überrascht werden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle erneut darauf aufmerksam machen und darum bitten: Erzählen Sie diese Zusammenhänge in ihrem Freundeskreis weiter. Erzählen Sie ihren Kindern davon, dass das Internet voll von Unwahrheiten ist, selbst über Schulfreunde, Arbeitskollegen und Nachbarn.

Im Netz gibt es nur Annäherungen an die Wahrheit über eine Person. Selbst Angebote wie Wikipedia kann man nur zum Teil Glauben schenken. Wer tatsächlich etwas über eine Person wissen will, muss sich entweder aus seriösen Quellen informieren wie beispielsweise dem Munzinger Archiv – oder persönlichen Kontakt aufnehmen.

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Ich vertraue darauf, dass die Mehrheit der Menschen heute informiert genug ist, um sich nicht von manipulativen Berichten auf Facebook, Instagram, Twitter, Blogs, Internetseiten beeinflussen zu lassen. Ich vertraue fest darauf, dass die Mehrheit der Menschen Hetze erkennt und durchschaut. Und ich vertraue darauf, dass Menschen lieber in die Augen des anderen schauen, bevor sie sich eine abschließende Meinung über ihn bilden.

Jeder kann zur Zielscheibe werden

Wie der Fall Aschaffenburg zeigt, kann heute jeder zur Zielscheibe werden: Politiker, Kirchenvertreter, Prominente insbesondere, aber auch Privatpersonen. Ignorieren ist hierbei das erste Mittel der Wahl: bloß nicht jeden Kommentar lesen. Hater entfreunden, blockieren oder stumm schalten, und auf diese Weise die (a)sozialen Medien austrocknen. Die meisten Shitstorms sind eh weniger als ein Stürmchen im Wasserglas, sie enden schneller als sie gekommen sind.

Mitunter aber sind Kampagnen hartnäckiger, Bedrohungen und Beleidigungen massiver. Das kann bedeuten, an gewissen Stellen Polizei und Justiz einzuschalten, so wie es die Aschaffenburger Schule gemacht hat.

Und wenn die Bedrohungslage noch schlimmer wird, ist es die Aufgabe staatlicher Sicherheitskräfte, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Und wenn bei der Polizei die personellen Ressourcen dafür fehlen, ist es die Aufgabe der Politik, dies zu verändern. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang und Bundeskriminalamtschef Münch haben diese Woche zusammen mit Bundesinnenminister Seehofer eindringlich klargestellt, wie ausgeprägt die Dynamik im rechten Spektrum mittlerweile ist und dass sie eine Bedrohung für unsere Gesellschaft – vor allem durch den Rechtsextremismus – sehen.

Nicht nur der Staat hat Verantwortung

Eine freie Gesellschaft darf nicht aus Mangel an Sicherheitspersonal in Kauf nehmen, dass Bürger sich aus öffentlichen Diskursen zurückziehen, weil sie Angst um sich und ihre Familien haben.

Es liegt aber nicht nur in der Verantwortung des Staates, sondern auch in der breiten Gesellschaft, dass die rechte Minderheit eine Minderheit bleibt. Dass sie trotz der Möglichkeiten, ihre Stammtischparolen heute übers Internet öffentlich zu machen, keinen Zuwachs bekommen. Daher darf die aufgeklärte Mitte in diesem Land, die Konservative, die Liberale und die Linke, nicht schweigen. Sie muss dagegenhalten, wenn Schulleiter angefeindet werden, weil sie, wie jahrelang gefordert, endlich auch ein Auge für Minderheiten entwickeln.


Das wird eine der zentralen Aufgaben der Zukunft sein: Bitte zieht euch nicht zurück! Steckt nicht den Kopf in den Sand! Verabschiedet euch nicht aus der Öffentlichkeit – aus Angst vor "Shitstorms"! Ertragt sie. Seid laut! Nur zusammen können wir die rechte Welle klein halten. Die Zeit ist vorbei, in der man sich zurücklehnen und darauf hoffen konnte, dass andere den Widerstand gegen Rechts führen. Jeder muss Farbe bekennen. Wir müssen ähnlich aktiv werden wie die Anhänger der Rechten – im realen wie im virtuellen Leben.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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