Alle Jahre wieder Die ewigen Ramadan-Diskussionen nerven
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ramadan – der Fastenmonat der Muslime – führt jedes Jahr zu empörten Diskussionen. Doch mit dem erhobenen Zeigefinger kommt man nicht weiter, sagt t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.
Man wird gezwungen, es positiv zu sehen: In Deutschland ist die Gefahr, selbst als noch so mäßig praktizierender Muslim den Ramadan-Anfang zu verpassen, unbegründet. Unter Garantie wird schon vor dem ersten Tag des islamischen Fastenmonats irgendein Politiker oder eine Politikerin – die freilich selbst nichts damit zu tun haben – mahnend den Zeigefinger heben und mit ernster Miene betonen, wie ungesund der Verzicht auf Essen und Trinken während des Tages und wie wenig ratsam das Fasten insbesondere für Schülerinnen und Schüler ist.
Und man kann genervt davon sein. Nicht, weil die Botschaften dahinter allesamt falsch und überflüssig wären, sondern, weil es der Politik einfach nicht gelingt, deutlich zu machen, dass es ihr mit ihren Hinweisen tatsächlich um die Sache geht und nicht etwa darum, aus Kritik an der ungeliebten Minderheit der Muslime Profit zu schlagen.
Diese Unschärfe ist doppelt tragisch. Zum einen verpasst die Politik einer Minderheit, die sich seit Jahren tagtäglich Fragen bis hin zu massiven Anfeindungen stellen muss, einen weiteren Seitenhieb. Zum anderen schadet sie dem berechtigten Anliegen des Schutzes von Kindern und der Gesundheit mehr als sie ihr dient.
Wie weit darf der Staat sich in Erziehung einmischen?
Wenn beispielsweise die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) Eltern sanktionieren will, die ihre schulpflichtigen Kinder im Ramadan zum Fasten zwingen, fällt es schwer, diesen Vorstoß als sachlich zu betrachten – insbesondere wenn er in einer Boulevardzeitung erfolgt. Wie will sie feststellen, ob jemand sein Kind zum Fasten zwingt? Schickt sie die Polizei in jeden muslimischen Haushalt? Startet sie einen großen Lauschangriff? Unterzieht sie muslimische Kinder morgens beim Betreten des Schulhofs einer ernsten Befragung? Oder was machen wir, um vermeintlichen Zwang festzustellen? Und wie steht es mit dem Erziehungsrecht von Eltern? Soll der Staat weiter in Familienangelegenheiten eingreifen? Was sagt eigentlich das Grundgesetz dazu? Und wer definiert, ob Fasten eine Verletzung der Fürsorgepflicht ist – oder ab welchem Alter das gilt? Fragen über Fragen, die den Populismus-Verdacht automatisch aufkommen lassen.
Ich war selbst lange Zeit Lehrerin für Islamkunde bzw. Islamische Religion. Selbstverständlich kann das Fasten ein Problem in der Schule darstellen. In der Grundschule sollten religiöse Forderungen generell tabu sein, und meinen älteren Schülerinnen und Schülern habe ich immer geraten, das Fasten zu unterbrechen, wenn ihre schulischen Leistungen in Gefahr sind. Ich kann sie allerdings nicht zum Essen und Trinken zwingen.
Immer dieselben Fragen im Jahresverlauf
In einem demokratischen und freiheitlichen Land kann man dafür nur werben. Man kann Aufklärung betreiben, aber man kann es nicht staatlich verordnen. Ich möchte weder, dass der Staat Menschen religiöses Verhalten oktroyiert, noch möchte ich, dass der Staat umgekehrt selbiges mit säkularem Verhalten macht. Die Politik, die hier aus hehrem Antrieb aktiv werden will, muss bedacht vorgehen, will sie etwas bewirken.
Davon abgesehen darf sie sich die Frage stellen, wie lange sie noch jedes Jahr dieselben Fragen zum Islam stellen will? Es gibt im Jahreslauf quasi eine immer wiederkehrende, ritualisierte Agenda: Im Ramadan reden wir über die Gefahren des Fastens, zum Ende des Ramadans diskutieren wir darüber, ob die öffentlichen Glückwünsche angemessen erfolgen oder nicht. Zum Jahresende werden Martinsumzüge und Weihnachtsmärkte wieder Thema sein, die angeblich wegen der Muslime nicht mehr so heißen dürfen. Und zwischendurch ist die Zeit gespickt durch immer wiederkehrende Debatten über die Beschneidung von Jungen, rituelles Schlachten, das Kopftuch.
Statt Diskussionen zu führen, praktische Arbeit anstoßen
Apropos Kopftuch: In Frankfurt fand diese Woche eine Konferenz dazu statt, die aufgrund völlig inakzeptabler Anfeindungen gegen die Gastgeberin, die Ethnologin Susanne Schröter – mit deren Schlussfolgerungen man nicht immer übereinstimmen muss, der man aber zuhören kann – Aufsehen erregt hat. Seit Jahren wird über die Bedeutung des Kopftuchs diskutiert. Die berühmte K-Frage. Warum bedarf es nun einer weiteren Konferenz? Mit welchem Effekt? Was soll sie bringen? Alle Argumente sind lange ausgetauscht. Entsprechend wurde in Frankfurt nichts anderes wiedergeben als altbekannte Haltungen altbekannter Protagonisten. Man muss sich nicht wundern, wenn solche Veranstaltungen Zeitgenossen ratlos zurücklassen.
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Statt permanent öffentlich über die immer gleichen Themen zu diskutieren, bietet sich an, mehr Engagement in die praktische Arbeit zu investieren. Die aus den unzähligen Debatten gewonnenen Erkenntnisse lassen sich längst umsetzen, indem beispielsweise tiefergehende Forschung angestoßen, pädagogische Materialien erstellt und die Betroffenen auf verschiedenen Ebenen informiert werden. Das ist erfolgsversprechender – sollte es tatsächlich um die Sache gehen –, als sich dauernd dem Verdacht auszusetzen, man wolle die verbreitete Skepsis gegenüber dem Islam für eigene Zwecke ausnutzen.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.