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Kolumne von Lamya Kaddor: Deutschland, vergiss die Integration!


Meinung
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Zur Lage der Nation
Deutschland, vergiss die Integration!

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

15.02.2019Lesedauer: 4 Min.
Schwarz, Rot, Gold: Über Integration soll sich Deutschland keine Gedanken machen, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Schwarz, Rot, Gold: Über Integration soll sich Deutschland keine Gedanken machen, meint Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Hannibal Hanschke/reuters)

Überall ist von Integration die Rede. Doch wir sind noch lange nicht so weit. Stattdessen müssen wir über das Volk reden.

Es gibt zwei Wörter, die Menschen wie ich nur noch schwer ertragen können: "Integration" und "Migrationshintergrund". Während "Integration" meint, dass sich Menschen in ein übergeordnetes Ganzes einfügen, ist "Migrationshintergrund" nur ein feineres Wort für Ausländer. Es bleibt ein Stempel, der besagt: Du bist anders.

Ein Lob mit bitterem Beigeschmack

Ich bin aber nicht anders und in ein größeres Ganzes kann ich mich auch nicht einfügen, da ich längst ein Teil dieses größeren Ganzen bin. Wie kann man sich in sich selbst integrieren? Das in der Regel nett gemeinte Lob, das ich neulich wieder aus meinem Publikum erhalten habe, ich sei ja (im Gegensatz zu vielen anderen) gut integriert, hat einen bitteren Beigeschmack.

Integrieren funktioniert nur, wenn Menschen neu dazu kommen. Wer, sagen wir mal aus Venezuela, nach Deutschland übersiedelt, muss sich erst in die neue Gesellschaft einfügen. Eine gewisse Anpassungsleistung muss von ihnen eingefordert werden, sofern diese Einwanderer vorhaben, dauerhaft hier zu bleiben. Solche Menschen beschreibt denn auch der Begriff Migrationshintergrund ganz treffend.

Barley, Ziemiak, Mazyek und Casper

Die Katarina Barleys, Dunja Hayalis, Helene Fischers, Verona Pooths, Vanessa Mandekics alias Vanessa Mais, Marek Cwiertnias alias Mark Forsters, Paul Ziemiaks, Navid Kermanis, Aiman Mazyeks, Benjamin Griffeys alias "Caspers" aber, die nach vorherrschender Meinung auch alle einen Migrationshintergrund haben, sind entweder niemals selbst eingewandert oder kamen in so jungen Jahren, dass sie allein in Deutschland sozialisiert wurden. Sie lassen sich nicht in einen Topf mit Menschen werfen, die gerade erst hierzulande angekommen sind.

Solche Differenzierungen sind gewiss nervig, mühsam, "pc", aber nötig. Wir kommen darum nicht herum, wenn wir über die deutsche Gesellschaft im 21. Jahrhundert reden, erst recht nicht, wenn wir sie weiterhin friedlich gestalten wollen.

Diese Menschen sind Deutschland!

In Deutschland leben bereits etwa 20 Millionen Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Nur die Hälfte davon sind Ausländer, die andere Hälfte ist deutsch. Und von den Ausländern fühlen sich wiederum viele als Teil dieses Landes und gestalten unsere Gesellschaft seit Langem mit. Menschen, die in zweiter, dritter oder gar vierter Generation hier geboren sind und/oder die Staatsangehörigkeit besitzen, kann man in Deutschland nicht integrieren. Sie sind Deutschland!

Das klingt nach Binsenweisheit, doch im Alltag zählt sie oft wenig – und zwar nicht nur im Kreise von AfD-Fans. Diese gehen bloß offensiv an die Ausgrenzung von Menschen heran und schämen sich dafür nicht. Viele jenseits der AfD sehen es indes unbewusst oder insgeheim ähnlich. Sei es der Gymnasiallehrer in der SPD, die Managerin von der FDP, die Krankenpflegerin in der CDU, der Steuerberater bei den Linken oder die Lagerarbeiterin bei den Grünen, der oder die meinen, mir bei meinen Reisen durch die Republik verstehen geben zu müssen, dass ich allenfalls "Pass-Deutsche" sei.

Toxische Gedankenspiele

Ein nennenswerter Teil gesellschaftlicher Probleme im Land besteht darin, dass eine Teilgruppe sich qua Herkunft als privilegiert versteht und deshalb bestimmen will, was das größere Ganze ist, in das sich andere einzufügen haben. Doch diese toxischen Gedankenspiele, deren brutale Folgen man aus den vergangenen Jahrhunderten bestens kennt, basieren letztlich auf der Vorstellung vom Volk als einer Rasse.

Zudem sind solche völkischen Überlegungen uferlos. Legt man Abstammungskriterien an, hat in Deutschland und Europa mit seiner wechselhaften Geschichte am Ende jeder einen Migrationshintergrund, denn jede Familie ist irgendwann irgendwo eingewandert oder hat einen Vorfahren, der irgendwann irgendwo eingewandert ist.

Wer ist der richtige, echte Dortmunder?

Wenn ein deutscher Staatsbürger, der seit vierzig Jahren in Dortmund lebt, glaubt, mehr Rechte als ein deutscher Staatsbürger zu haben, der seit zwanzig Jahren dort lebt, dann wieder ein anderer eingreift, der bereits seit achtzig Jahren Deutscher ist, gegebenenfalls gar noch ein gewiefter Genealoge auf den Plan tritt, der beweisen kann, dass seine Familie schon seit sechshundert Jahren in Dortmund lebt, stellt sich die Frage: Wo bitte ist dann da die Grenze, die markieren soll, wer ein "echter, wahrer" Deutscher ist? Und wer legt sie fest?

Der Gedanke eines Vorrechts, das nur auf Abstammung oder Wohnsitz beruht, ist naturgemäß zum Scheitern verurteilt – sofern man sich in einem europäischen Rechtsstaat bewegt. Wollte man solche Absurditäten trotzdem durchsetzen, ginge das nur mit Gewalt, und dann befänden wir uns auf dem Weg in eine Dystopie.

Lasst uns über Zusammenhalt reden

Eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre wird die Konzeptionierung des künftigen deutschen Wir sein. Wenn es dabei um die Anforderungen an Integration geht, gehören die Ansichten von derzeit zehn Millionen Deutschen mit angeblichem Migrationshintergrund selbstverständlich dazu. Da diese Überzeugung aus meiner Sicht aber alles andere als Konsens zu sein scheint, mein Rat: Vergesst Integration! Solange der Begriff noch so falsch verstanden wird, lasst uns lieber über gesellschaftlichen Zusammenhalt reden.


So werden wir weniger Menschen, die sich gar nicht integrieren können, mit dummen Integrationsforderungen vor den Kopf stoßen, und stattdessen mehr von ihnen für unsere gemeinsame Zukunftsgestaltung aktivieren. Später könnten wir dann zusammen die wahren Integrationsaufgaben in Angriff nehmen, nämlich die Eingliederung von echten Einwanderern und all jenen, die sich selbst abschotten und Deutschland mit seinen freiheitlich-demokratischen Werten als ihren Feind betrachten.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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