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Amberg, Bottrop und eine Gesellschaft, die abstumpft: Ein Anschlag droht


Meinung
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Amberg, Bottrop und die Spirale der Gewalt
Die Gesellschaft stumpft ab, ein ganz großer Anschlag droht

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 05.01.2019Lesedauer: 5 Min.
Tatort in Bottrop: Ausländerfeindlichkeit? Das war Rassismus!Vergrößern des Bildes
Tatort in Bottrop: Ausländerfeindlichkeit? Das war Rassismus! (Quelle: Marcel Kusch/dpa)
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Prügelnde Jugendliche in Amberg, ein rassistischer Angriff in Bottrop. Wer beides vermengt und abstumpft, erhöht die Gefahr. Aber man kann etwas tun.

Mit jedem neuen Akt der Gewalt, der medial aufgebläht wird, sinkt die Betroffenheit und damit das Interesse der Öffentlichkeit. Gewalt wie in Amberg oder Bottrop scheint zum Normalfall geworden zu sein. Die meisten Deutschen haben die Nachrichten aus Bottrop und Amberg wahrgenommen, vielleicht einen kurzen Seufzer ausgestoßen, ein Posting abgesetzt und sind dann ihres Weges gegangen. Das ist kein Vorwurf, bloß eine Beobachtung. Schließlich muss heute leider jeden Tag damit gerechnet werden, dass Angriffe von Islamisten, Rassisten und sonstigen Radikalisierten oder von Benachteiligten und labilen Persönlichkeiten begangen werden können. In dieser abgeflauten Wahrnehmung jedoch liegen Gefahren.

Der öffentliche Diskurs über beide Vorfälle wurde erneut von einer Minderheit diktiert. Es handelte sich dabei wieder um jene Gruppe der besonders aktiven Internetnutzer, die minutiös ihre Timelines durchforsten, um Belege für ihre jeweiligen ideologischen Deutungen zu finden, jetzt zu Bottrop und Amberg. Der erfolgreichste Spin gelang den Internet-Rechten. Nach Bekanntwerden der Tat von Bottrop waren sie es, die sich empörten: „What about Amberg?“ Angeblich werde nur Bottrop thematisiert, nicht jedoch die Tat von Flüchtlingen in Amberg.

Die Mechanismen der Digitalen Revolution

Solche Spins entfalten nach wie vor Wirkung. Von miesen Umfragewerten eingeschüchterte Parteien und Politiker reagieren ebenso reflexartig darauf wie von wirtschaftlichen Umbrüchen und Lügenpresse-Rufern verunsicherte Medien. Und da viele Politiker und Journalisten inzwischen lieber bequem im Netz surfen, statt wie früher in der realen Welt die Nöte der Leute zu erspüren, wurde beides in einen Topf geschmissen und dann darüber diskutiert, ob man die Taten gegeneinander aufrechnen könne. Ergebnis war ein Zirkelschluss, bei dem man sich versicherte, dass das eben nicht gehe und dieser Whataboutism fehl am Platz sei.

Diese Mechanismen der Digitalen Revolution werden zunehmend durchschaubarer. Deshalb schalten immer mehr ab, wenn Politik und Medien dauernd dasselbe Programm abspulen. Die einen verlangen schärfere Gesetze, die anderen betonen die Vollzugsdefizite: „Wir haben ausreichende Gesetze, es fehlen nur Mittel und Personal, diese durchzusetzen“, und am Ende passiert – nichts. Zwei Tage später ist das Thema abgehandelt, bis beim nächsten Vorfall alles von vorne beginnt. Die Gesellschaft ist da im besten Fall gelangweilt, im schlechtesten Fall frustriert. Aber sie wendet sich so oder so weiter von Politik und Medien ab, wie der Rückgang der Wahlbeteiligung und der Anstieg von Protestwählern sowie Abo-Kündigungen zeigen.

Die Abstumpfung und ihre Folgen

Neben dieser Entfremdung und ihren Folgen zeichnet sich eine weitere Gefahr ab, die die Theorien über Terrorismus lehren. Demnach ist ein Hauptziel, wie der Name schon sagt, Schrecken zu verbreiten, um politische Ziele schneller zu erreichen: eine islamistische Gesellschaftsordnung, eine rassistische, eine anarchistische. Den ideologischen Vordenkern der jeweiligen Radikalisierung bleibt die Abstumpfung der Öffentlichkeit nicht verborgen, und das bestärkt sie in ihrem Wunsch, endlich ein „richtig großes Terror-Ding“ mit zahlreichen Toten und gewaltigen Schäden zu drehen, das die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert.

Diese Gefahr zeichnet sich schon eine Weile ab, angetrieben von einer Spirale der Gewalt, die sich in der Hochphase des islamistischen Terrors ausgebildet hat und diese Woche durch die gegenseitigen Verweise auf Amberg und Bottrop wieder deutlich geworden ist. Die Taten der anderen Seite werden zur Rechtfertigung oder zur Motivation für eigenes Handeln genommen. Islamisten funktionieren Alltagsgegenstände wie Autos und Lkw zur Waffe um, Rassisten machen es ihnen nach. Die vergiftete Logik der Terroristen geht auf.

Anfangs kam diese Gewaltspirale in der Rhetorik zum Ausdruck, später in Anfeindungen, gegenwärtig befinden wir uns im Stadium von Anschlägen. Als nächstes würde das "große Terror-Ding" und die Revanche dafür folgen – wenn nichts dagegen unternommen wird.

Wir brauchen mehr Sachlichkeit

Dazu gehört zum Beispiel mehr Sachlichkeit in Politik und Medien zu bringen! Und siehe da, da gibt es mittlerweile trotz allem durchaus erfreuliche Entwicklungen.

Zwar konnte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer in der "Bild"-Zeitung dem Reiz des Rufs nach Gesetzverschärfungen nicht entziehen, doch bei mir hallt eine andere Aussage von ihm zu Bottrop und Amberg länger nach: "Es gehört zur politischen Glaubwürdigkeit, beide Fälle mit Entschiedenheit und Härte zu verfolgen." Genau so ist es. Diese Selbstverständlichkeit zu äußern, ist bereits ein Fortschritt, selbst wenn ihm dann nur zu den Flüchtlingen eine härtere Gangart eingefallen ist und zur rassistischen Gewalt nichts.

Vereinzelt konnte man auch positive Entwicklungen in der medialen Aufbereitung beider Fälle beobachten. Statt nur über die Symptome zu reden oder die ewig gleichen Fragen nach Konsequenzen an Politiker zu richten, ging es viel schneller als sonst um strukturelle Hintergründe.

Ausländerfeindlich? Nein, rassistisch!

So wurde die merkwürdige Scheu hinterfragt, den Begriff Terrorismus auf Vorfälle anzuwenden, bei denen sich kein Bezug zum Islamismus herstellen lässt, und stattdessen lieber von Amoklauf zu sprechen und die Tat damit zu entpolitisieren, wie es Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung ausgeführt hat und der Soziologe Matthias Quent bei Zeit Online. Oder die verbreitete Scheu, eine Tat wie in Bottrop als rassistisch zu benennen, und stattdessen lieber von ausländerfeindlich zu sprechen, obwohl der Täter vermutlich nicht die Absicht hatte, Neuseeländer oder Schweizer zu töten, wie es Marco Bertolaso im Deutschlandfunk ausdrückte. Und ganz treffend titelte die TAZ: "Rassist fährt Menschen um… … und alle reden von Flüchtlingen."


Zusammengefasst würde ich mir zwei Dinge wünschen, um den Ausstieg aus der Spirale der Gewalt zu schaffen:

1. öfters atypisch und nicht im Sinne der Extremisten auf Vorfälle reagieren, den Sozialen Medien weniger Achtung schenken, denn sie sind alles, aber sicher kein Abbild der gesamtgesellschaftlichen Realität.

2. Deutschland wird gegenwärtig von zwei Terror-Phänomen primär bedroht, die gemeinhin mit "islamistisch" und "rechts" gekennzeichnet werden. Beide müssen von Staat und Gesellschaft gleichsam engagiert und ideologiefrei angegangen werden. Rechtsterror zu relativieren, weil jemandem das Hemd näher ist als der Rock, wie einst dem Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, würde die Probleme genauso verschärfen, wie die Bedeutung von Gewalttaten zu schmälern, nur weil Täter womöglich zu einer Minderheit wie den Muslimen gehören, die selbst Anfeindungen ausgesetzt sind. Beides provoziert Gegenreaktionen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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