Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Antworten auf Leserfragen Muslime sind keine Gäste in Deutschland
Auf meine Kolumnen zu Islam und Integration melden sich oft viele Leser. Manche sind verärgert, andere haben Fragen. Deshalb will ich zu einigen Punkten Stellung nehmen.
Ich führte vergangene Woche an dieser Stelle einige Überlegungen dazu aus, warum bei jungen Muslimen mitunter fundamentalistisches Denken verfängt. Auslöser waren eine Diskussion um die im Koran genannten Strafen, die ich kürzlich mit Jugendlichen führen musste.
Im t-online.de-Forum fragte daraufhin User "HG": "Weshalb müssen wir uns dem Islam anbiedern?", und betonte sogleich: "Bisher richtete sich der Gast nach dem Gastgeber!" Nun, Muslime per se sind KEINE Gäste! Ob ein Mesut Özil oder ein Navid Kermani oder ich selbst – wir sind in Deutschland geboren, aufgewachsen, sozialisiert, besitzen die Staatsangehörigkeit und sind noch weitaus mehr als nur Muslime. Wir selbst sind nirgendwo eingewandert. Unsere Eltern oder unsere Großeltern sind nach Deutschland eingewandert – und zwar ohne uns zu fragen. Uns unterscheidet somit an dieser Stelle nichts von Lieschen Müller oder Heinrich und Konrad. Wir sind Deutsche.
Rassismus ist keine Meinung
Wer dem nicht zustimmen will, kann nur rassistisch entlang unserer Abstammungslinien argumentieren. Rassismus jedoch, so heißt es zu Recht, ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen und hat in einer freiheitlichen Demokratie kein Anrecht auf politische Repräsentanz. Die Gast-Gastgeber-Vorstellung hinsichtlich Muslimen hält sich übrigens seit Jahren. Schon 2004 titelte der Focus: "Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland."
"HGK" möchte auch wissen, warum man sich dem Islam "anbiedern" müsse. Zum einen gibt es "den Islam" gar nicht. Wer sollte festlegen, was "der Islam" ist? Es gibt weder einen Papst oder Vatikan, noch irgendwelche anderen Autoritäten, die irgendetwas verbindlich für Muslime bestimmen könnten; was freilich islamische Fundamentalisten nicht daran hindert, trotzdem zu behaupten, sie und nur sie wüssten, was "der Islam" sei.
HGK’s Wortwahl "anbiedern" impliziert den vielfach erhobenen Vorwurf, dass sich Nicht-Muslime muslimischen Gewohnheiten anzupassen hätten. Ich würde dies niemals verlangen.
Für mich gilt: Leben und leben lassen
Für mich gilt die Maxime: Leben und leben lassen. Auch offiziell gibt es solche Forderungen nicht, und sollte jemand das im Alltag dennoch erleben, sollte es unterbunden werden. Der Vorwurf wird meist auf die Beobachtung gegründet, dass sich Muslime etwa für die Einführung von islamischem Religionsunterricht an Schulen einsetzen oder Frauen für die Erlaubnis, ein Kopftuch tragen zu dürfen, und dafür sogar vor Gericht ziehen. Doch dabei geht es nicht um Dreistigkeiten oder gar Islamisierung, sondern um Gleichberechtigung und die Gewährung grundgesetzlich garantierter Rechte.
Artikel 7 gestattet Islamunterricht, er wurde den Muslimen aber viele Jahrzehnte von der Politik lang verwehrt – zum Teil wird er das immer noch. Mehrere Bundesländer hatten das Kopftuch für Lehrerinnen verboten, gleichzeitig aber andere religiös geprägte Kleidungsstücke erlaubt. Diese Diskriminierung wurde von vielen stets moniert, doch erst 2015 beendete das Bundesverfassungsgericht diese Ungleichbehandlung.
"Mit diesen Migranten gab keine Integrationsprobleme"
User Graue_Eminenz46 argumentiert: "Vor Jahrzehnten kamen aus muslimischen Ländern vor allem Menschen zu uns, die der islamistischen Revolution der 70er und 80er Jahre entfliehen wollten, weil sie ein westlich geprägtes Leben bevorzugten. Deshalb gab es auch mit diesen Migranten keine Integrationsprobleme. Heute kommen überwiegend Migranten aus archaischen Strukturen, aus Gesellschaften, die seit zwei und mehr Generationen keine Säkularisierung mehr kennen, und mit Demokratie nichts anfangen können."
Ein Großteil der Menschen, die zuletzt nach Deutschland gekommen sind, sind Syrer. Der Journalist Hans Winkler sprach bereits 2012 in der österreichischen Zeitung "Die Presse", die hinsichtlich linkem Gedankengut eher unverdächtig ist, vom "letzten säkularen Staatswesen im Nahen Osten". Das Wort "letzte" sei mal dahingestellt, aber in der Tat war das Vorkriegs-Syrien weitgehend frei von islamistischem Gedankengut. Ein weiterer Großteil der Flüchtlinge kam zuletzt aus dem Irak und aus Afghanistan. Im Irak flohen die Menschen vor allem vor der Terrormiliz IS und in Afghanistan vor den Taliban. Sowohl der IS als auch die Taliban zählen derzeit zu den schlimmsten Ausdrucksformen islamistischen Handelns.
Unser friedliches Zusammenleben regeln die deutschen Gesetze
Der User Passtor schreibt: "Wer unsere Gesetze ändern und stattdessen nach Gesetzen seiner Religion bestrafen möchte, der wird sich hier niemals integrieren." Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen. Unser friedliches Zusammenleben regeln die deutschen Gesetze. Religiöse Bestimmungen haben hierbei keine Rolle zu spielen, schon gar nicht, wenn sie wie im Fall des Korans auf gesellschaftlichen Realitäten aufsetzen, die 1.400 Jahre alt sind und in der Wüste Arabiens lokalisiert sind.
Mercedes-W207 betont: "Ja so ist es halt mit dem Islamismus. Die denken, sie sind die besseren Menschen und wir müssen ihnen UNTERTAN sein!“" Korrekt. Wenn auch nicht alle, aber die meisten Islamisten denken so. Der Islamismus ist ebenso eine Form von Rassismus, der andere Menschengruppen pauschal abwertet. Zudem handelt es sich um eine politische Ideologie, die oftmals die absolute Macht anstrebt. Solchen Islamisten müssen wir uns entgegenstellen, rechtlich, politisch und gesellschaftlich.
eRaptor meint: "Einfach bei Atatürk nachlesen... mehr gibt es zu dieser Pseudo-Religion nicht zu sagen. To kann sich diese Küchenpsychologin sparen, die eh nur ihr neues Buch verkaufen will." Der User spricht den Gründer der modernen Türkei an, Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, der mit dem Erbe des Osmanischen Reichs mehr oder weniger brechen wollte, um ein modernes Land nach europäischem Vorbild aufzubauen. Dabei ging er jedoch nicht gegen die Religion an sich vor, sondern vor allem gegen ihre Institutionen. Er selbst ließ sogar den Koran und das Leben des Propheten Mohammed erstmals auf Türkisch in der neuen lateinischen Schrift erscheinen, die er als Ersatz für die bis dahin übliche arabische Schrift eingeführt hatte.
Gewiss kursieren abwertende Zitate von ihm über den Islam. Doch die Strategie, Atatürk als eine Art Experten anzudeuten, um ihn als Kronzeugen gegen die Religion anzuführen, geht nicht auf. Atatürk war Offizier und Politiker, kein Islamgelehrter.
Die Rede von der "Pseudo-Religion"
eRaptor stimmt noch eine Kritik an, die auch immer wieder zu hören ist: Er spricht von "Pseudo-Religion". Dahinter steckt die Absicht, den Islam vom Status einer Religion zu befreien, um ihn dem grundgesetzlichen Schutz der Religionsfreiheit zu entziehen. Muslime bilden jedoch die zweitgrößte Weltreligion mit rund 1,5 Milliarden Anhängern, schauen auf eine 1.400-jährige Geschichte zurück und verfügen seit Hunderten von Jahren über schier endlose religiöse Schriften. Wenn das keine Religion ist?
Bei seinem dritten Hinweis würde ich eRaptor allerdings wiederum Recht geben. Selbstverständlich möchte ich mein Buch verkaufen. Als Autorin hat man das gemeinhin vor. Warum sollte ich Bücher schreiben, die niemand liest? Allerdings hatte meine Kolumne vergangene Woche inhaltlich nichts mit meinen beiden jüngsten Büchern zu tun. Das eine befasst sich nämlich mit meinem Aufwachsen in Deutschland, das andere ist ein Bildband über Syrien.
"Islam: Der Anschluss an die Welt wurde vor 200 Jahren verpasst", postet compu-shock. So ist es. Während der Irrungen und Wirrungen des anbrechenden imperialistischen Zeitalters kommt es in der Historie der islamischen Welt zu einem Bruch. Um 1800 herum endet die klassische Periode. Das Zeitalter, in dem die Errungenschaften der Antike weitergeführt und weiterentwickelt wurden, ist ab da Geschichte. Von diesem Bruch hat sich die islamische Welt bis heute nicht erholt. Viele der furchtbaren Erscheinungsformen dieser Bruchs zwischen Balkan und Sahara, zwischen Gibraltar und dem Hindukusch sind das Ergebnis dieser vergangenen 200 Jahre.
"Und ich bin Astronaut und fliege zum Mars."
Und User "Eigene Meinung" bereichert die Diskussion schließlich mit der Anmerkung: "Lamya Kaddor ist 'Islamwissenschaftlerin und Publizistin'? Ist klar. Und ich bin Astronaut und fliege zum Mars." Ob er Astronaut ist, kann ich freilich nicht sagen. Zum Mars fliegt er aber sicherlich nicht. Wiewohl technisch durchaus möglich, wäre eine solche Unternehmung derzeit noch viel zu aufwendig und vor allem – zu teuer! Das ich hingegen Islamwissenschaftlerin und Publizistin bin, belegen unter anderem mein Abschluss an der Uni Münster und die vorhin angesprochenen Bücher, ganz zu schweigen von dieser Kolumne hier.