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Radikalisierung: Warum Muslime wie ein verschworener Block wirken


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Radikalisierung
Warum Muslime wie ein verschworener Block wirken

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

08.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Muslime beten in Potsdam: Kolumnistin Lamya Kaddor kennt das Problem, in das sich Muslime durch ihr Unterlegenheitsgefühl begeben.Vergrößern des Bildes
Muslime beten in Potsdam: Kolumnistin Lamya Kaddor kennt das Problem, in das sich Muslime durch ihr Unterlegenheitsgefühl begeben. (Quelle: Ralf Hirschberger/dpa)
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Wenn Muslime in einem christlichen Land leben, bilden sie oft einen verschworenen Block. Das kann zur Radikalisierung führen – und die ist von außen schwer zu verhindern.

Muslimen in der Diaspora wird oft unterstellt, sich andauernd als Opfer zu sehen. Das ist natürlich ein Vorurteil, schon allein weil Muslime nicht gleich Muslime sind. Unter vielen von ihnen lässt sich dennoch ein gewisses Unterlegenheitsgefühl beobachten, das zu einer gewissen Radikalität führt. Diese kann sich zum einen in der Ablehnung des Anderen äußern, zum anderen in der Intoleranz gegenüber Mitgliedern der eigenen Gruppe.

Ein geflügeltes Wort besagt, dass eine Frau immer doppelt so gut sein muss wie ein Mann. Verschiedene Studien belegen, dass an dieser Aussage etwas Wahres ist. Diese zusätzliche Herausforderung trifft aber im Grunde auf alle Angehörigen einer Minderheit oder als schwächer geltenden Gruppe in einer Gesellschaft zu. Studien beim US-Militär zum Beispiel belegen das nicht nur für Frauen, sondern auch für Angehörige anderer Volksgruppen.

Eine Ursache dafür sind die klassischen Rollenbilder, aus denen die Betroffenen erst heraustreten müssen, um auf einer Ebene mit anderen Erfolg haben zu können. Wo Frauen auf ihre Funktion als Hausfrau und Mutter reduziert werden, müssen sich beispielsweise Einwanderergenerationen in Deutschland mit ihrer Zuordnung als Gastarbeiter(-kinder) auseinandersetzen, die gewöhnlich einfache Arbeiten ohne besonderen fachlichen Anspruch erledigen. Minderheiten und Schwächere werden zudem am ehesten mit weiteren Vorurteilen belegt.

Migranten stehen stets vor zusätzlichen Hürden

So stehen Angehörige dieser Gruppen stets vor zusätzlichen Hürden im Vergleich zu fachlich Gleichqualifizierten ohne entsprechende klischeehafte Zuordnungen. Gesundheitspsychologische Forschungen dokumentieren, dass Migranten gegenüber der Mehrheitsbevölkerung deutlich mehr Stress ausgesetzt und anfälliger für Krankheiten sind. Migranten entwickeln mitunter allein aufgrund ihrer fremden Herkunft ein Unterlegenheitsgefühl.

Haci-Halil Uslucan, Psychologe und Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Uni Duisbug-Essen meint: "Dann kann eine Reaktion auf wahrgenommene Bedrohung der Identität in der Steigerung des Selbstwerts, in der positiveren Bewertung der eigenen Gruppe liegen. In der Moschee wird dann die eigene Identität unter seinesgleichen bewahrt und bestärkt; in diesem Sinne kann eine praktizierte Religiosität auch als Schutz vor einer Identitätskrise gedeutet werden und hat eine positive Funktion für die Psychohygiene."

Diese konstruierte Stärke wird natürlich nach außen gezeigt, aber ebenso innerhalb der eigenen Gruppe demonstriert. Insbesondere gebildetere Schichten mit dem Erfolg ihrer Ausbildung im Rücken versuchen, dem Eindruck einer systematischen Unterlegenheit entgegenzutreten, indem sie möglichst keine Schwächen zugestehen und sich stets als stark und intellektuell präsentieren.

Kritik führt zu Abwehrhaltung – und Radikalisierung

Ziel ist es, die Anerkennung zu erhalten, die ihnen von der Mehrheitsgesellschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einem nach verbreiteter Vorstellung problembehafteten muslimischen Milieu verwehrt wird. Offene Kritik stellt für dieses Bestreben ein Hindernis dar. Es entsteht eine Abwehr- und Verteidigungshaltung. Am effektivsten lässt sie sich umsetzen, wenn sich Einzelpersonen zusammentun. In meinem Buch Muslimisch, weiblich, deutsch habe ich das einmal in folgendem Bild beschrieben:

Die Muslime stehen stramm und diszipliniert in Reihen hintereinander, um möglichst stark und wie ein unüberwindbarer Block zu wirken. An vorderster Front befinden sich natürlich hauptsächlich Männer, die sich als gelehrt und gebildet verstehen und häufig Funktionsträger sind. Es kommt hin und wieder vor, dass einige Frauen sich in den ersten Reihen tummeln, doch die meisten stehen hinten – genauso diszipliniert, aber ein wenig bunter und lebhafter.

Die Reihen gleichen in ihren Vorstellungen aufgestellten Dominosteinen. Fällt einer um, drohen gleich mehrere umzufallen. Also ist man darauf erpicht, möglichst gleichförmig und eng ineinander verschränkt dazustehen, um aufeinander aufzupassen und um sich gegenseitig Halt und Schutz zu geben, damit niemand im wahrsten Sinne des Wortes wegen äußerer Widerstände "umfällt". Währenddessen wird die Luft zum Atmen für jeden Einzelnen ziemlich dünn.

Dabei gäbe es eine ganz einfache Lösung: Man rückt zwei Schritte voneinander ab und lässt jedem etwas mehr Entfaltungsspielraum. Dann richtet ein umfallender "Dominostein" keinen Schaden mehr an, und dennoch stehen alle in Reih und Glied. Doch stattdessen plagt sich die erste Reihe lieber ab.

Die Gruppe lässt ihre Muskeln spielen

Am meisten zu kämpfen hat sie dort, wo Widerstand aus dem Inneren des muslimischen Blocks ausgeübt wird. Sie versucht mit allen Mitteln, Druck und Gegendruck von innen und außen aufzufangen. Sie will alle in Schach halten und weiterhin Schulter an Schulter Stärke demonstrieren. Statt über die Ursachen des Widerstands von innen nachzudenken und damit die Spannungen aufzulösen, wird nur das Symptom der auseinanderbrechenden Reihen bekämpft.

Nicht jeder aus dem Inneren des Blocks hat die Kraft oder ist bereit zum offenen Widerstand, wenn die Gruppe ihre Muskeln spielen lässt und Druck aufbaut: Entweder du kommst zurück oder wir schließen die Lücke und du kommst nicht mehr hinein. In der Regel geht es so aus, dass Ausbrecher reumütig zurück in die Menge schleichen und lieber in der Masse untertauchen.

Beispielhaft lässt sich dies anhand der der unterschiedlichen Einstellungen zum Fasten aufzeigen. Wer beispielsweise sagt, er faste nur 12 Stunden statt der 16 Stunden (während des Sommers in Deutschland), wird häufig kritisch beäugt und nach Erklärung aufgefordert. Häufig wird die Erklärungsforderung mit der Aufforderung, "vernünftig" zu fasten oder es ganz sein zu lassen.

Einen ähnlichen Konformitätsdruck erfahren auch jene Musliminnen, die ihr Haupthaar nicht ganz oder anders bedecken als durch ein klassisches Kopftuch, das unterhalb des Kinns zusammengebunden wird und einen Teil des Oberkörpers bedeckt. Auch hier wird häufig Druck auf diese Frauen ausgeübt, weil sie dieses Tuch nicht richtig tragen würden.

Am kollektiven Gefühl der Unterlegenheit ändert das Ausbremsen der inneren Dynamik gleichwohl seit Jahrzehnten nichts.

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