Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Lindners Bäckerei-Anekdote Stumpfe Belehrungen stoßen bei Migranten auf taube Ohren
Ratschläge sind oft gut gemeint. Doch der Empfänger versteht sie falsch. Genau das passiert, wenn Politiker zum Beispiel "Ausländer" belehren wollen.
Erwachsene lassen sich nicht gerne sagen, was sie tun sollen. Auf der Arbeit, vor Gericht oder bei einem Polizisten im Einsatz haben sie kaum eine Wahl. Wenn ihnen darüber hinaus jemand vorschreiben will, wie sie sich zu verhalten haben, reagieren viele gereizt. "Sie! Sie haben mir gar nichts zu sagen", heißt es dann mit entsprechendem Druck in der Stimme.
Solche Situationen sind leider stilprägend für die öffentlichen Integrationsdebatten, was wiederum eines der großen Hindernisse für die Lösung der Probleme darstellt. Woche für Woche werden Mahnungen und Forderungen für unser Zusammenleben formuliert, die uns zunehmend einander entfremden. Im Grunde sind wir alle ein Fall für eine kommunikationspsychologische Therapiesitzung. Wir hören nicht, was jemand sagt, sondern stürzen uns auf den Absender der Botschaft und unsere (vermeintliche) Beziehung zu diesem.
Politikeraussagen zerren an den Nerven
Das zeigt sich besonders eindrücklich, wenn Menschen mit Migrationshintergrund öffentlich Botschaften an die deutsche Mehrheitsgesellschaft ohne Migrationshintergrund richten. Die Reaktionen sind vielfach zurückweisend, beleidigend, aggressiv und maßlos übertrieben. "Diese Ausländer haben uns Deutschen gar nichts zu sagen", heißt es da. Während sich die meisten "Ausländer" deshalb lieber mit öffentlichen Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft zurückhalten, bekommen sie im Gegenzug von deutschen Politikern permanent erklärt, was sie zu tun haben.
In dieser Hinsicht hat die vergangene Woche mal wieder gehörig an den Nerven gezerrt. FDP-Chef Christian Lindner sorgte mit seiner Bäckerei-Anekdote für Diskussionen. Durch den Bundestag schallen Sätze wie "Wer kriminell ist, hat sein Bleiberecht verwirkt" (CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt). Bundesfamilienministerin Franziska Giffey von der SPD lässt wissen: "Heute beginnt der muslimische Fastenmonat Ramadan. Klar ist: Das Wohl der Kinder muss stets im Mittelpunkt stehen. Gesundheit und Schule gehen vor." Seit dem Treffen der deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan lassen sich Politiker jeglicher Couleur über gescheiterte und nicht gescheiterte Integration aus.
Deutsch lernen, sich an Gesetze halten, die abendländischen Werte respektieren etc. – das ist alles richtig und wichtig, nur leider verhallen diese Botschaften oft im Nirwana, statt bei den eigentlichen Empfängern anzukommen. Die berühmten Psychologen Paul Watzlawick und Friedemann Schulz von Thun haben aufgezeigt, wie unsere Kommunikation funktioniert. Es gibt immer den Sender einer Botschaft und den Empfänger. Jede Botschaft, sprich jede Nachricht, die wir an jemanden richten, hat vier Aspekte: den Sach-, Beziehungs-, Appell- und Selbstoffenbarungsaspekt.
Nehmen wir als Beispiel die Botschaft: "Die deutsche Sprache ist wichtig für die Integration." Auf der Sachebene steht das Deutschlernen. Auf der Beziehungsebene wird die Nachricht übermittelt, es gibt einen Sender, der bereits Deutsch spricht, und einen Empfänger, der es nicht kann. Auf der Appellebene soll der Satz auslösen, dass der Empfänger Deutsch lernt. Und schließlich schwingen auf der Selbstoffenbarungsebene die Gefühle des Senders mit, also vielleicht das eigene Unwohlsein, wenn jemand kein Deutsch spricht.
Der Konflikt ist vorprogrammiert
Die Krux daran ist nun, dass Sender und Empfänger nicht immer auf derselben Ebene kommunizieren. Dem Sender mag es allein um die Sachebene gehen, deshalb empfängt jedoch der Empfänger die Botschaft nicht zwangsläufig auch auf der Sachebene, sondern vielleicht auf einer der drei anderen. Im öffentlichen Diskurs empfangen viele die Botschaft auf der Beziehungsebene und ziehen daraus den Schluss: "Der denkt wohl, er sei etwas besseres, weil ich nicht gut Deutsch spreche." Schon ist der Konflikt vorprogrammiert.
Zudem erreichen viele Sachbotschaften im Integrationsdiskurs erst gar nicht diejenigen, die sie eigentlich erreichen sollten. Stattdessen bleiben sie bei all jenen hängen, die schon gut oder perfekt Deutsch sprechen und integriert genug sind, um den politischen Diskurs in Deutschland zu verfolgen und solche Appelle überhaupt erst wahrzunehmen.
Bei ihnen stellt sich dann automatisch Misstrauen ein: "Was wollen diese Politiker von uns? Wir können längst Deutsch, sind hier geboren und halten uns an die Gesetze. Die haben was gegen 'Ausländer' und reden deshalb rassistisch daher." Das verstärkt das Distanzieren von der Gesamtgesellschaft, den Prozess des innerlichen wie äußerlichen Rückzugs. Menschen fühlen sich ausgegrenzt, ungewollt, und halten sich daher erst recht an ihresgleichen. Der Ausdruck des Ganzen sind die sogenannten Parallelgesellschaften.
Dieser Narzissmus gefällt niemandem
Wer anderen immer wieder sagen will, was sie zu tun haben, zieht deren Gleichwertigkeit in Zweifel. Man stellt sich über den Mitbürger, indem man ihn belehrt. Solche herrschsüchtigen Gesten sorgen im Kleinen wie im Großen für Konfliktstoff. Sie erzeugen Ablehnung und Widerstand. So wie der nervige Arbeitskollege, der immer wieder meint, einen korrigieren zu müssen und blöde Sprüche über das vermeintliche Chaos auf unserem Schreibtisch macht, das Betriebsklima stört. Diese Art von Narzissmus gefällt niemandem.
Deshalb wäre es für die gesamte Gesellschaft hilfreicher, wenn Politiker bei öffentlichen Auftritten mehr das Gemeinsame ansprechen würden, statt das Trennende hervorzuheben und dabei einzelne Gruppen zu markieren. Dass die Sprache für die Integration entscheidend ist, dass gesetzeskonformes Verhalten gefordert ist, ist allgemein akzeptiert. Es ist daher unnötig, das immer wieder zu betonen. Weniger mahnende Worte sind nötig denn aufmunternde.
Nicht bei jeder Ansprache an eine Gruppe muss zugleich der symbolische Zeigefinger gehoben werden. Aber umgekehrt gilt auch, nicht jede Aussage von Politikern ist abwertend gemeint. Christian Lindner hat vielleicht etwas unglücklich formuliert, deshalb ist seine Botschaft und erst recht nicht er selbst gleich rassistisch. Der Integrationsgesellschaft täte etwas mehr kommunikative Entspannung gut.