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Warum geht der Nobelpreis fast nie an Muslime?


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Kolumne "Zwischentöne"
'Warum geht der Nobelpreis fast nie an Muslime?'

MeinungLamya Kaddor, t-online.de

Aktualisiert am 06.10.2017Lesedauer: 3 Min.
Diese Moschee in Kairo ist nach dem früheren Herrscher Sultan Hassan benannt, der für seine Gelehrsamkeit berühmt gewesen ist.Vergrößern des Bildes
Diese Moschee in Kairo ist nach dem früheren Herrscher Sultan Hassan benannt, der für seine Gelehrsamkeit berühmt gewesen ist. (Quelle: Mike Nelson/dpa-bilder)
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Bildungsfeindlich soll der Islam sein, heißt es am Stammtisch. Dabei hätten Muslime vor Jahrhunderten sämtliche Nobelpreise abgeräumt, meint t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.

Diese Woche ist es wieder so weit. Die Show der Nobelpreis-Verkündungen geht über die Bühne. Wir wissen bereits, dass sich acht US-Forscher, ein Schweizer und zwei Briten neu in die Riege der Spitzenforscher der Menschheit und der Top-Literaten einreihen dürfen. Und wie jedes Jahr werfen am Rande der Prozedur wieder ein paar Neunmalkluge die Frage auf: Warum kriegt eigentlich keiner aus der islamischen Welt einen Nobelpreis? Natürlich nur, um die Antwort gleich hinterherzuschicken: "Weil der Islam bildungsfeindlich ist. Ist doch klar!"

Diese simple "Beweisführung" eignet sich wunderbar, um eifriges Kopfnicken an Stammtischen zu bewirken und ganz viele Likes in Sozialen Medien zu sammeln. De facto stimmt die Beobachtung ja sogar. Ohne den Friedensnobelpreis sind es seit 1901 gerade mal eine Handvoll, von denen man die Religionszugehörigkeit kennt, was freilich nichts darüber aussagt, ob und wie gläubig diese Menschen sind.

Warum haben die USA einen Vorsprung?

Der wahre Grund für die Beobachtung dürfte derselbe sein, der erklärt, warum Hindus so wenige Nobelpreisträger hervorgebracht haben oder Afrikaner oder Südamerikaner. Mit Religion und Kultur hat das allerdings wenig zu tun, auch wenn es den einen oder anderen Zeitgenossen geben mag, der lieber den ganzen Tag lang im Koran liest oder sich in die Veden vertieft, statt Fachbücher zu studieren.

Man sollte eher fragen, warum die USA bei den Nobelpreisträgern so einen Riesenvorsprung haben? Vielleicht sind US-Amerikaner ja tatsächlich so viel intelligenter als Europäer, Asiaten und andere.

Einst großer Wissensvorsprung

Ich glaub jedoch, es liegt weniger daran, dass eine Geburt in den USA mit der Weitergabe einer besonderen Intelligenz verbunden ist oder eine Einbürgerung den IQ heben würde. Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass heute die Wissenschaftslandschaft in den USA so viel effizienter ist als anderswo, zum Beispiel weil die Forschungseinrichtungen finanziell viel besser ausgestattet sind. Das gilt schon im Vergleich zu Europa, und erst recht im Vergleich zur islamischen Welt, die in weiten Teilen in Kriegstrümmern liegt (z.B. Syrien, Irak, Jemen, Libyen, Afghanistan) oder durch politisch und wirtschaftlich schwere Zeiten geht (z.B. Türkei, Ägypten, Tunesien, Pakistan, Bangladesch)

Wenn explizit der Islam so sehr mit fehlender Bildung zu tun hätte, wie manche meinen, wie konnte dann die islamische Welt einst einen so großen Wissensvorsprung in allen Bereichen erzielen, während Europa im finsteren Mittelalter darbte? Wer hätte wohl vor einigen hundert Jahren die meisten Nobelpreise bekommen?

Die muslimische Welt war weltweit führend

Vielleicht ja der Mathematiker Khawarizmi wegen seiner Ausführungen zur Algebra. Oder sein Kollege al-Battani wegen seiner Arbeiten zur Trigonometrie, zur Planetenberechnung oder zur bis auf zwei Minuten exakten Bestimmung des Sonnenjahres.

Al-Biruni böte sich vielleicht an wegen seiner nahezu exakten Berechnung des Erdradius oder der Erfindung des Pyknometers, mit dessen Hilfe bis heute die Dichte von Flüssigkeiten und Pulvern ermittelt wird.

Auch der berühmte Mediziner Ibn Sina wäre gewiss nicht leer ausgegangen. Ebenso der große Naturwissenschaftler Ibn al-Haytham, der maßgebliche Wegbereiter der Optik und Erfinder der Lupe.

Das erste Astrolab

Oder der Konstrukteur al-Jazari, Vordenker der Kybernetik und Pionier der Zeitmessung. Oder al-Fazari, dem der Bau des ersten Astrolabs in der islamischen Welt zugeschrieben wird.

Heiße Anwärter wären sicher auch der Geograf al-Idrisi mit seiner Weltbeschreibung und der dazugehörigen Karte ("Tabula Rogeriana") gewesen sowie der Botaniker al-Baitar für seine systematische Darstellung von mehr als 1.000 Heilpflanzen und Rezepturen.

In den Fokus würde sich vermutlich auch der osmanische Erfinder Taqi al-Din drängen, von dem im 16. Jahrhundert die Beschreibung einer Dampfmaschine überliefert ist; lange bevor sie in Europa entdeckt und zum Motor der Industrialisierung wurde.

Dumpfer Kulturchauvinismus

Diese Liste der potenziellen muslimischen Nobelpreiskandidaten aus der islamischen Welt ließe sich beliebig verlängern. Die "klugen" Hinweise auf die geringe Zahl muslimischer Laureaten wird damit freilich nicht gestoppt. Denn letztlich geht es dabei wohl doch nur um einen dumpfen Kulturchauvinismus. Wir im Westen sind eben einfach die klügeren und wertvolleren Menschen im Vergleich zur restlichen Welt.

Wie meinte jüngst eine ehemalige Parteivorsitzende, sie wolle sich künftig "für einen europäischen Kulturpatriotismus stark machen." Mir fällt dazu nur ein berühmtes Zitat des großen deutschen Philosophen Theodor Adorno ein. Der hatte schon in den 1950er Jahren festgestellt: "Nicht selten verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus… Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch."

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