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Wehrpflicht: Die große Politik-Simulation | Pro & Kontra


Wehrpflicht für Mann und Frau
Das Verfallsdatum der Naivität ist überschritten


05.03.2025 - 14:41 UhrLesedauer: 1 Min.
Wachbataillon der BundeswehrVergrößern des Bildes
Soldaten treten gemeinsam an (Archivbild): Die CSU fordert die sofortige Reaktivierung der Wehrpflicht. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/dpa-bilder)
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Müssen junge Menschen bald wieder Wehrdienst leisten? Die CSU fordert sogar, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen Dienst an der Waffe leisten sollen.

Die neue US-Regierung hat die Hilfe für die Ukraine im Krieg gegen Russland eingefroren. Gleichzeitig fordert sie von den Europäern, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Diese stellt das vor massive Herausforderungen. Nicht nur Wehretats werden nun schnellstmöglich erhöht. Auch die Debatte über eine Reaktivierung der Wehrpflicht in Deutschland ist entbrannt. Aktuell gibt es rund 182.000 Bundeswehrsoldaten. Alleine in diesem Jahr werden etwa 20.000 weitere benötigt, rechnet Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbands der Bundeswehr, vor.

Die CSU drängt daher darauf, die Wehrpflicht noch in diesem Jahr wiedereinzuführen. Andere Parteien reagierten darauf bislang jedoch zurückhaltend. Das führt zu der Frage:

Sollte eine allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt werden?

Pro
Patrick Schiller ist t-online Regio Redakteur in Hannover.
Patrick SchillerKI-Projektmanager Regio

Wer Frieden will, muss bereit sein, ihn zu verteidigen

Deutschlands sicherheitspolitische Naivität hat ein Verfallsdatum – und das ist längst überschritten. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Deutschland aber ist nicht verteidigungsfähig. Die Armee ist unterbesetzt, unterfinanziert und strategisch ausgehöhlt. Jahrzehntelange Sparmaßnahmen und der Irrglaube, Verteidigung ließe sich outsourcen, haben ein sicherheitspolitisches Vakuum hinterlassen.

Es ist daher höchste Zeit für eine Korrektur: Die Wehrpflicht muss zurückkommen. Nicht aus Nostalgie, sondern als notwendige Grundlage nationaler Sicherheit.

Mindestens 20.000 Soldaten fehlen nach Angaben der Wehrbeauftragten Eva Högl, strategische Reserven gibt es keine mehr, und selbst die Nato-Standards werden nicht erfüllt. Verteidigungsminister Pistorius spricht offen von einer Bundeswehr, die nicht verteidigungsfähig ist. Wer glaubt, sich aus dieser Krise allein mit Milliardenbeträgen herauskaufen zu können, ignoriert die Realität: Panzer und Drohnen sind nutzlos, wenn niemand sie bedienen kann. Eine Wehrpflicht würde eine breite personelle Basis schaffen, die die Einsatzfähigkeit sichert und eine belastbare Reserve aufbaut.

Deutschland war lange sicherheitspolitischer Profiteur. Die USA garantierten Europas Verteidigung, während Deutschland seine Streitkräfte herunterfuhr. Doch diese Zeiten sind vorbei. Washington richtet seinen Fokus zunehmend nach Asien, die Nato-Beistandspflicht ist für die Amerikaner offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr, US-Präsident Donald Trump könnte die Schutzgarantien drastisch reduzieren. Ein Staat aber, der nicht bereit ist, sich selbst zu verteidigen, wird erpressbar.

Wehrpflicht bedeutet zudem mehr als militärische Ausbildung. Deutschland erlebt eine zunehmende Spaltung zwischen Stadt und Land, Ost und West, Arm und Reich, Akademikern und Arbeitern, politisch links und rechts. Die Gesellschaft zerfällt in digitale Echokammern, in denen Menschen kaum noch mit Andersdenkenden in Berührung kommen. Eine Wehrpflicht zwingt junge Menschen, gemeinsam zu dienen, gemeinsam zu arbeiten, gemeinsam Probleme zu lösen – und das schafft Zusammenhalt.

Deutschland hat sich lange eingeredet, Verteidigung sei eine Aufgabe für Spezialisten. Diese Vorstellung war immer naiv – heute ist sie gefährlich. Wer Frieden will, muss bereit sein, ihn zu verteidigen.

Kontra
Io Kassandra GörzStellv. Redaktionsleiterin Regionalredaktion

Mehr Schaden als Nutzen

Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei: Das ist eine unangenehme Wahrheit, die langsam allen dämmert, die einen unverstellten Blick auf die harte Realität werfen. Wie aber soll Deutschland der wachsenden Bedrohung durch eine mögliche und leider wahrscheinliche russische Aggression begegnen? Bei der CSU setzt man offensichtlich auf Ideen aus dem letzten Jahrhundert. Da sprach der potenzielle Gegner zwar auch schon Russisch, aber die Situation hat sich seitdem dennoch grundlegend geändert. Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert. Der aktuellen Bedrohung wird man also auch nicht mit Rezepten von vorgestern wie einer allgemeinen Wehrpflicht begegnen können.

Was die Modernisierung der Bundeswehr dagegen voranbringt, sind Geld und der Wille zum Umbau von Strukturen, gerade was die Beschaffung von Material angeht. Natürlich mangelt es auch an Personal, aber hier wird die Absurdität des Vorschlags einer allgemeinen Wehrpflicht offensichtlich: Diese als Maßnahme zu propagieren, mit der sich offene Stellen besetzen lassen, ist in etwa so sinnvoll wie die Behauptung, der Fachkräftemangel in der Wirtschaft ließe sich mit flächendeckenden Pflichtpraktika bekämpfen. In der Wirtschaft würde eine solche Maßnahme zu Recht allenthalben Gelächter und Kopfschütteln auslösen. Bei der Bundeswehr aber soll genau das auf einmal die rettende Lösung sein?

Nein. Die Reaktivierung der Wehrpflicht wäre reine Politiksimulation, die vorgaukelt, Probleme zu lösen. Eine Symbolmaßnahme, die zudem kontraproduktiv ist. Sie nimmt sich in der Kommunikation zunächst wuchtig aus und suggeriert, dass Deutschland morgen wieder bis an die Zähne bewaffnet und verteidigungsbereit ist. Bei genauerem Blick offenbaren sich jedoch die Probleme hinter der Schlagzeile: Die Bundeswehr müsste komplett umgebaut werden, von einer professionalisierten Armee hin zu einer Wehrpflichtarmee inklusive aller Ausbildungsstrukturen und Kreiswehrersatzämter. Das Einzige, was hier aufgerüstet würde, wäre die Bürokratie. Wie genau Horden von Praktikantinnen und Praktikanten bei der modernen Kriegsführung helfen sollen, weiß auch niemand schlüssig zu beantworten.

Eine allgemeine Wehrpflicht, die junge Menschen aller Geschlechter einschließt, würde die Strukturen der Bundeswehr zudem hoffnungslos überfordern und lähmen. Muss aber nur eine Auswahl Wehrdienst leisten, stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit.

Die Forderung nach einer allgemeinen Wehrpflicht ist entweder Ausdruck hilflosen Ideenmangels oder ein Ablenkungsmanöver, damit niemand über die Versäumnisse der mutwillig vertrödelten Jahre unter der Kanzlerin und den Kanzlern der letzten zwei Jahrzehnte spricht. Beide Möglichkeiten stimmen nicht hoffnungsfroh, wenn man an die Herausforderungen und Bedrohungen der kommenden Jahre denkt.

 
 
 
 
 
 
 

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