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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bedenkliche Studienergebnisse So geht es der Jugend nach einem Jahr Pandemie
Welche Spuren haben 15 Monate Pandemie bei der Jugend hinterlassen? Wie schätzen sie heute ihre Lage ein, wie ihre Zukunftschancen? Eine Studie gibt auf diese Fragen zum Teil bedenkliche Antworten.
In der Corona-Pandemie drehte sich die Aufmerksamkeit lange Zeit vorrangig um Inzidenzen und Schutzmaßnahmen, um das Für und Wider von Öffnung oder Schließung, um Folgen für Wirtschaft, Handel und öffentliches Leben. In den Hintergrund rückte dabei die Frage, welche Spuren die seit nunmehr über einem Jahr anhaltende Ausnahmesituation in einzelnen Bevölkerungsgruppen hinterlassen hat. Etwa in der Jugend, die in der Bildung erhebliche Einschränkungen tragen musste, der der Einstieg ins Berufsleben erschwert war, die den Aufbruch ins Erwachsenenalter im Lockdown erlebte.
Jedes Jahr widmet sich die TUI-Stiftung in einer Studie der Lebenswelt junger Menschen, fragt die persönliche Lage, Zukunftsperspektiven und politische Einstellungen ab. Mit Blick auf die vergangenen 15 Pandemiemonate ergibt sich ein eindrucksvolles Bild.
40 Prozent erlebten Jobverlust oder finanzielle Einbußen
Die wohl wichtigste Erkenntnis: Europas Jugend leidet unter der Pandemie. Eine Mehrzahl gibt an, dass sich ihr Leben seit Beginn der Corona-Krise verschlechtert hat. Vier von zehn Jugendlichen haben ihren Job verloren oder finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. In manchen Ländern ist es sogar mehr als jeder zweite. Eine große Zahl erlebt Belastungen in Schule, Beruf und Freizeit und macht sich große Sorgen um die Zukunft.
In Deutschland berichteten 46 Prozent der Befragten, dass sich ihr Leben seit dem Frühjahr 2020 verschlechtert habe. 41 Prozent gaben an, ihre Situation sei gleich geblieben, nur acht Prozent sagten, ihnen gehe es nun besser. Besonders viel Ernüchterung herrscht in Frankreich, Italien und vor allem Griechenland, wo knapp 60 Prozent und mehr eine negative Entwicklung in ihrem Leben beklagen. Verhältnismäßig am besten ist die Stimmung noch in Großbritannien. "Nur" 42 Prozent der Jugendlichen dort meinten, ihre Lage hätte sich verschlechtert, zwölf Prozent sprachen von einem positiven Trend.
Neben dem pessimistischen Gesamteindruck berichten viele Jugendliche von ganz konkreten Einschnitten. 40 Prozent sprachen von finanziellen Einbußen oder Jobverlust. In Spanien betraf das sogar 45 Prozent der Befragten, im von den Folgen der Schuldenkrise ohnehin gebeutelten Griechenland gar 58 Prozent. Zu diesen Einschnitten kommen Belastungen durch die Pandemie in nahezu allen Lebensbereichen hinzu, die von den Jugendlichen durchweg als erheblich beschrieben werden. Am häufigsten genannt werden hierbei die Schließungen von Restaurants oder Geschäften, die Kontaktreduzierungen, gefolgt von den Einschränkungen bei Hobbys und Reisen.
Wenig Hoffnung auf schnelle Besserung
Es wundert deshalb nicht, dass sich ein großer Teil der Jugendlichen Sorgen mit Blick auf die nahe Zukunft macht. Vor allem bei Job, Ausbildung und Finanzen befürchten viele, dass sich die Lage so schnell nicht bessert. Auch rechnet eine Mehrheit damit, dass die Kontaktreduzierungen und Einschränkungen im öffentlichen Leben länger aufrechterhalten bleiben könnten. Wer dazu direkte Erfahrungen mit Corona gemacht hat, also selbst erkrankt war oder mit Erkrankten bekannt ist, äußerte sich in der Umfrage noch pessimistischer.
Diese Aussagen dürften auch unter dem Eindruck der dritten Infektionswelle stehen, die im Frühjahr viele europäische Länder erfasste. Entgegen dem Trend äußerten sich viele Jugendliche in Großbritannien hingegen weit optimistischer. Dort fiel die dritte Welle wegen harter Lockdown-Maßnahmen und dank des raschen Impffortschritts zu Jahresbeginn nahezu aus.
Mehrheit mit politischen Entscheidungen unzufrieden
Gleichwohl akzeptieren die Jugendlichen in großer Zahl (74 Prozent) die Maßnahmen zum Infektionsschutz – weniger, um sich selbst, als um andere zu schützen, wie drei von vier Jugendlichen angaben. Der Politik stellen die meisten Jugendlichen in der Pandemie trotzdem kein gutes Zeugnis aus: Rund 50 Prozent meinten, die Maßnahmen seien nicht ausreichend, für 22 Prozent waren sie übertrieben, nur für 20 Prozent angemessen.
Während annähernd zwei von drei Jugendlichen in der Studie angaben, für die persönliche Situation in der Zukunft optimistisch zu sein, so macht doch nachdenklich, wie stark dieser Wert in manchen Ländern in den vergangenen Jahren gesunken ist. Blickten in Spanien 2017 noch 81 Prozent der Jugendlichen optimistisch in die eigene Zukunft, so waren es jetzt nur noch 65 Prozent. In Italien fiel der Wert im gleichen Zeitraum von 71 auf 58 Prozent. Beide Länder gehören mit rund 30 Prozent bei der Jugendarbeitslosigkeit europaweit zur Spitze.
Auch in Polen nahm der Pessimismus bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren erheblich zu – allerdings wohl weniger wegen der Jugendarbeitslosigkeit (rund elf Prozent) als vielmehr wegen des zunehmenden Autoritarismus der regierenden rechtskonservativen PiS-Partei. In Deutschland pendelt der Wert seit 2017 um 65 Prozent.
Demokratie bleibt klar präferierte Staatsform
Laut Studie der TUI-Stiftung fehlt es einer überwältigenden Mehrheit der Jugendlichen an Wertschätzung für ihren Verzicht in der Pandemie. Demokratie als Staatsform wird von den meisten präferiert. Ein Großteil gab zugleich an, sich mit Europa zu identifizieren. Wenngleich die nationale Identität für etwa ein Viertel Vorrang hat – mit leicht steigender Tendenz: 2017 war dieser Wert mit 42 Prozent noch weit höher. Wichtigste Politikfelder auf EU-Ebene sind für die Befragten der Klima- und Umweltschutz gefolgt von Wirtschafts- und Finanzpolitik, Migration und Asyl sowie Gesundheitspolitik.
Für die TUI-Stiftung hat das Meinungsforschungsinstitut Yougov vom 8. bis 27. April über 6.200 Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren online befragt. Die Teilnehmer der Studie kamen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen.
- Jugendstudie 2021 der TUI-Stiftung