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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krach in der Werteunion Maaßen lädt nach Brandbrief zum Krisengipfel
In einem Brandbrief kritisieren Funktionäre der Werteunion die Führung ihres Vorsitzenden Hans-Georg Maaßen scharf. Es geht auch darum, ob aus dem Verein eine neue Partei entstehen soll.
Als Hans-Georg Maaßen kam, erlebte die Werteunion neuen Auftrieb: Plötzlich gab es wieder Aufnahmeanträge bei dem Verein, mit dem Unions-Mitglieder vom rechten Parteiflügel eine Art Kohl-CDU wiederbeleben wollen. Maaßen war im Januar zum neuen Vorsitzenden der Werteunion gewählt worden, die Mitglieder verbanden mit ihm als prominentem Vorkämpfer große Hoffnung. Ein gutes halbes Jahr später zeigt ein Brief, wie schnell aus Begeisterung Ungeduld und Unmut werden kann.
t-online liegt ein Schreiben vor, in dem diverse Funktionäre der Werteunion von Maaßen einen anderen Führungsstil und Antworten fordern. Darunter sind ehemalige Vorstandsmitglieder des Bundesvorstands und Mitglieder der Landesvorstände. Ein zentraler Vorwurf: Maaßen sei kein Teamspieler, sondern mache sein eigenes Ding mit einem kleinen Kreis Vertrauter – mit wenig Zielvorgaben und Führung nach innen. Die Werteunion drohe zum "Maaßen-Verein" zu werden. Sein Verhalten irritiere. "Es desillusioniert. Und es wirkt wie von Arroganz gegenüber den Mitgliedern gezeichnet." Das sei nur mit Transparenz wettzumachen.
"Das Thema hat sich damit erledigt"
Am Dienstag vergangener Woche, dem 12. September, erhielt Maaßen den Brandbrief. Die 14 Unterzeichner schrieben von einer niedrigen dreistelligen, täglich wachsenden Zahl an Unterstützern. Etwa 4.000 Mitglieder zählt der Verein nach eigenen Angaben insgesamt. Maaßen reagierte mit einer zeitnahen Einladung: An diesem Montag kamen er und Unterzeichner des Briefes zu einer Videokonferenz zusammen. Maaßen habe sich Zeit genommen und Erklärungen geliefert, sagt ein Sprecher der Werteunion zu t-online. Die eingeforderte Transparenz gebe es nun.
Zu Inhalten könne er jedoch nichts sagen, aber: "Alle Fragen sind umfassend beantwortet worden und alle möglichen Missverständnisse wurden dabei ausgeräumt. Das Thema hat sich damit erledigt." Das könne er nach Rückfrage bei Maaßen und mindestens sechs Unterzeichnern des Briefs sagen, behauptet er.
Maaßens Kritiker im Verein widersprechen der Darstellung nicht, sie bestätigen sie aber auch nicht: Mehrere kontaktierte Unterzeichner lehnten es ab, sich gegenüber t-online zu dem Vorgang zu äußern. In ihrem Kreis geht die Frage um, wie der Brief mit den scharfen Attacken gegen Maaßen an die Öffentlichkeit gelangen konnte.
Viele Kritiker aus Vorständen von Maaßens Stellvertretern
Pikant ist, dass die Unterzeichner eigentlich einen guten Draht zur Spitze der Werteunion haben – sie arbeiten eng zusammen mit Maaßens Stellvertretern. Auch der Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Marc Ehret, ist unter den Unterzeichnern des Brandbriefs. Wie alle anderen hat er ohne Nennung der Funktion unterschrieben. Ein Großteil der Unterschriften stammt von Beisitzern entweder aus Thüringen, wo Maaßen zur Bundestagswahl erfolglos kandidierte, oder aus Nordrhein-Westfalen, wo Maaßen lebt.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende Hans Pistner ist zugleich Landesvorsitzender in Thüringen. Fünf Mitglieder seines Landesvorstands haben die Maaßen-Schelte unterzeichnet. Weitere Unterzeichner kommen aus Nordrhein-Westfalen, wo die Co-Bundesstellvertreterin Simone Baum an der Spitze steht. Baum ist eines der Gründungsmitglieder der Werteunion. Sie hatte den ersten öffentlichen Auftritt von Maaßen im Februar 2019 angebahnt und Maaßen für die Werteunion geworben. Die Maaßen-Kritik unterschrieben jetzt zwei Beisitzer ihres Landesverbands.
Baum selbst will zum Brief und zur Zusammenarbeit mit Maaßen nichts sagen – das solle der Pressesprecher machen. Der weist zurück, dass Maaßens Stellvertreter eine Rolle beim Protestbrief gespielt haben könnten: "Die Mitglieder des Bundesvorstands arbeiten sehr gut, eng sowie vertrauensvoll mit Hans-Georg Maaßen zusammen." Bei der Vorstandswahl im Juni wurden zwei Maaßen-Bekannte zu weiteren Stellvertretern gewählt.
Im Brief ist vielleicht auch deshalb die Rede von einem "Kreis aus Ja-Sagern, Abnickern" und "einem Kader um Sie als Bundesvorsitzender". Der Vereinssprecher weist das zurück: Der Bundesvorsitzende habe sich keinen "Kader" zusammengesucht.
Nach Aufruf für Maaßen 70.000 Euro Spendeneingang?
Mitglieder treibt zudem um, wie sehr die Werteunion Maaßens Rechtsstreit mit der CDU um seinen Parteiausschluss mitfinanzierte, den für ihn die Kölner Kanzlei Höcker geführt hatte. Die CDU wollte Maaßen aus der Partei herauswerfen, es blieb bei einem Verweis. Der Bundesvorstand hatte um Spenden auf ein Rechtshilfekonto geworben. Im Brief heißt es dazu: "Wohin flossen die 70.000 Euro Spenden?"
Der Werteunion-Sprecher bestätigt eine Beteiligung des Vereins an den Kosten – das sei auch angebracht gewesen, weil die CDU Maaßens Engagement bei der Werteunion als Argument für einen Ausschluss angeführt habe. Über konkrete Zahlen und Gelder könne er aber nichts sagen. "Wir gehen auch hier mit allem sehr verantwortungsbewusst und korrekt um", so der Sprecher.
Maaßen liege sehr viel an einem guten und konstruktiven Miteinander in der Werteunion, erklärt sein Sprecher. "Dass jetzt manche Fragen auftauchen, ist nur normal." Wie überall müssten sich auch Routinen entwickeln. Da seien Nachfragen ganz hilfreich. "Unser Vorsitzender hat jedenfalls als guter Demokrat kein Problem mit Widerspruch, Fragen und Anregungen."
Ein Teil der Briefschreiber sieht zudem kritisch, dass unter Maaßen das ehrenamtliche Social-Media-Team trotz breiten Zuspruchs ausgetauscht wurde. Diejenigen unter ihnen, die zudem Beisitzer waren, wurden nicht mehr in den nach Maaßens Wunsch verkleinerten Vorstand gewählt. Eingebunden in die Arbeit der Neuen wurden sie offenbar auch nicht.
Es geht den Kritikern aber offenbar um weit mehr: DNA der Werteunion ist das Gefühl, von denen "da oben" nicht gehört zu werden. Mitglieder der Werteunion haben sich jahrelang in der CSU und CDU blutige Nasen geholt mit Mahnungen und Forderungen nach einem Politikwechsel zurück zu einer Vor-Merkel-CDU. Dann kam Hoffnungsträger Maaßen. Doch aus ihrer Sicht hat er bisher nicht geliefert.
CDU-Mitgliedschaft ist kein Kriterium mehr
Allerdings: Unter Maaßen wächst die Werteunion wieder. Das liegt an seiner Strahlkraft, aber auch an Satzungsänderungen: Um ordentliches Mitglied mit allen Rechten zu werden, muss man nicht mehr wie zuvor CDU-, CSU-Mitglied sein oder einer der entsprechenden Partei-Unterorganisationen angehören. Das ist nun auch für Parteilose möglich, die bisher lediglich Fördermitglieder werden durften. Mitglieder anderer Parteien werden jetzt zudem zunächst als außerordentliches Mitglied auf Probe aufgenommen – nach einer Prüfung, ob sie nicht extremistisch sind, wie es heißt. So hat Maaßen die Werteunion geöffnet und verbreitert.
Im Brief an Maaßen heißt es unverhohlen, dass mehr erwartet werde als Umsetzung persönlicher Karrierepläne: "Wir glauben nicht, dass insbesondere die vielen Neumitglieder das Ziel unserer Bewegung darin sehen, dass Sie sich im nächsten Jahr für die CDU um ein Landtagsmandat in Thüringen bemühen." Ihn erleben die Mitglieder als jemanden, der durchs Land zieht, viele Vorträge hält und mit anderen Organisationen an einer Vernetzung arbeitet.
Es habe ihn bisher noch in der CDU gehalten, sagte Maaßen am Monatsanfang in einer Rede in Radevormwald. "Aber ich bin mir natürlich auch im Klaren, wenn der Gaul nicht nur herztot, sondern auch hirntot ist, muss man begreifen, dass man absteigt." Deutete er damit einen endgültigen Bruch mit der CDU an? Und dann? "Man muss sich anders zusammentun, in anderen Organisationen und Strukturen, um es zu schaffen", sagte Maaßen. In einer vermeintlich vor Öffentlichkeit geschützten Runde in Wetzlar erklärte er einem "FAZ"-Bericht zufolge: "Ohne AfD können wir nicht, es geht darum, wie wir mit ihnen können."
Im Brief werden Unklarheit und mögliche doppelte Standards im Verhältnis zur AfD beklagt. Landesvorsitzenden sei gesagt worden, man dürfe AfD-Mitglieder aufnehmen, solange sie keine Funktion in ihrer Partei tragen. Dazu die Frage an Maaßen: "Nun danken SIE bei X [die vormals Twitter genannte Plattform] öffentlich Alice Weidel, untersagen aber Mitgliedern, Kontakte zur AfD aufrechtzuerhalten. – Ja, was denn nun?"
Der Sprecher erklärt dazu, die Werteunion lehne generell Kontaktschuld und Kontaktverbote ab. Für Maaßen gelte der gleiche Kurs wie für den Verein und seine Mitglieder: "Wir stehen nach wie vor für Argumente, nicht aber für das Ausgrenzen von Richtigem." Auch in den eigenen Reihen werde so etwas manchmal hysterisch aufgebauscht: "Aus einer Zustimmung zu einer richtigen Aussage eines Politikers einer anderen Partei lässt sich nichts ablesen."
Ein prominentes Neumitglied in der Werteunion ist schon besonders weit vorgeprescht und wird dafür in der Werteunion gefeiert: Markus Krall. Er ist ein rechtslibertärer Unternehmensberater, der früher für die Goldfirma Degussa des verstorbenen, milliardenschweren Parteienspenders August von Finck arbeitete. In einem Interview auf YouTube kündigte Krall kürzlich an, bei der Bundestagswahl 2025 zu kandidieren und dann "nicht der Opposition" anzugehören. Einen direkten Zusammenhang mit der Werteunion stellte er nicht her und nannte keine Partei. Er arbeite "mit Menschen zusammen, die auch eine Plattform schaffen können, die dann auch Erfolg hat".
"Der ganze Müll wird zurückgedreht"
Krall war früher CDU-Mitglied, doch seit Jahren äußert er sich AfD-nah. Teile der "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die den Bundestag stürmen wollte, sahen der "Zeit" zufolge in ihm einen großen Hoffnungsträger: Es gab ein Treffen, er erschien ihnen als möglicher Wirtschafts- und Finanzminister im Schattenkabinett, das nach einem Sturz der Regierung die Macht übernehmen sollte. Krall wird nicht als Beschuldigter geführt, sondern als Zeuge, bei dem im Zuge der "Reichsbürger"-Razzien auch durchsucht wurde. Er habe von den Plänen erst aus den Medien erfahren, erklärte er.
Krall ist der Werteunion am 5. Juli beigetreten und tritt seither immer wieder gemeinsam mit Maaßen auf. Er twitterte schon im Februar: "Eine Werteunion als neue Partei wäre keine Abspaltung von der CDU, sondern ihre Ersetzung." Krall sieht Deutschland in zwei Jahren durch die aktuelle Regierung so am Boden, dass sich "neue Mehrheiten bilden" könnten "und wir werden das zu nutzen wissen. Dann wird mit Gottes Hilfe dieser ganze Müll zurückgedreht". Bei der Aussage blieb unklar, wer mit "wir" gemeint ist, auf die Werteunion ging er nicht ein.
Solche Ansagen kommen dort aber an, Krall wird Maaßen schon als Partner einer Doppelspitze ans Herz gelegt. Denn an Maaßens Stuhl rütteln wollen die Kritiker auch nicht. Im Brief erhält er auch klaren Zuspruch – mit einem Zitat des verstorbenen FDP-Chefs Guido Westerwelle: "'Auf dem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt.' Dafür wünschen wir uns Sie, lieber Hans-Georg Maaßen!" Er soll eben nur den Kurs regeln.
Die Frage nach einer Parteigründung stelle sich natürlich auch unter den Mitgliedern, erklärt der Pressesprecher. Nur: Das habe Maaßen dann in der Videokonferenz nicht beantwortet. "Weil es dazu derzeit nichts zu sagen gibt. Es gibt aktuell für keine der möglichen künftigen Strategien konkrete Vorbereitungen – nicht für den 'Schwur einer ewigen Nibelungentreue' im Glauben, in der CDU/CSU Veränderungen zu erreichen, nicht zum Antreten als eigene politische Gruppierung und auch nicht zur Zusammenarbeit mit einer anderen Partei."
Aktuell beschäftigen Maaßen offenbar auch andere Fragen. Er ist auf Japanreise.
- Eigene Recherchen
- hoecker.eu: CDU scheitert mit Parteiausschlussverfahren gegen Hans-Georg Maaßen (archiviert)
- werteunion.de: Spenden-Aufruf (archiviert)
- faz.net: Wo die Brandmauer enden soll (Abo-Inhalt)
- zeit.de: Der Crash-Prophet und die Putschisten (Abo-Inhalt)
- twitter.com: Tweet Markus Krall zum Eintritt in die WerteUnion (archiviert)
- twitter.com: Tweet Markus Krall zur WerteUnion als Partei (archiviert)
- youtube.com: Cambridge Club : Neue Partei zur Bundestagswahl 2025? - Dr. Markus Krall im "Verhör"