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Österreich: Kann die AfD in Deutschland es wie die FPÖ machen?


Nach Politbeben in Österreich
"Die Grünen sind unglaublich anpassungsfähig"


Aktualisiert am 07.01.2025 - 13:41 UhrLesedauer: 4 Min.
FPÖ-Chef Herbert Kickl: Er könnte der nächste Kanzler werden.Vergrößern des Bildes
FPÖ-Chef Herbert Kickl: Er könnte der nächste Kanzler werden. (Quelle: Tobias Steinmaurer)
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In Österreich könnte die rechte FPÖ bald den Kanzler stellen, nachdem sich andere Parteien nicht einigen konnten. Habeck warnt vor einer ähnlichen Situation in Deutschland. Zu Recht?

Gibt es in Deutschland bald österreichische Verhältnisse? Davor warnt zumindest der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Nachdem Bundespräsident Alexander Van der Bellen die rechtspopulistische FPÖ mit der Regierungsbildung beauftragt hatte, ist die Sorge in der deutschen Politik groß.

"Österreich ist ein Beispiel, wie es nicht laufen darf! Wenn die Parteien der Mitte nicht bündnisfähig sind und Kompromisse als Teufelszeug abtun, hilft das den Radikalen", sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bereits am Wochenende nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, die Situation in Österreich sei ein "mahnendes Signal" an Deutschland. Parteichef Markus Söder betonte, die Vorfälle seien eine Bestätigung, dass es einen Richtungswechsel in der deutschen Politik brauche.

Doch droht der Bundesrepublik tatsächlich eine ähnliche Situation wie im Nachbarland? Oder ist die Situation gar nicht vergleichbar?

Auch in Österreich hatten Parteien eine FPÖ-Kooperation ausgeschlossen

In Österreich hatten ÖVP, SPÖ und Neos eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter dem Vorsitzenden Herbert Kickl vor und nach der Wahl im vergangenen Herbst ausgeschlossen, obwohl die Partei stärkste Kraft geworden war. Auch in Deutschland lehnen die Parteien des demokratischen Spektrums eine Zusammenarbeit mit der rechten AfD ab.

Ganz vergleichbar sei die Situation aber nicht, verdeutlicht der Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universität Bonn: "Die FPÖ ist in Österreich bereits eine etablierte Partei." So regierten ÖVP und FPÖ in diesem Jahrtausend bereits zweimal miteinander, in fünf der neun österreichischen Bundesländer ist die Kickl-Partei aktuell an der Regierung beteiligt.

(Quelle: Rebecca Meyer, Universität Bonn)

Zur Person

Frank Decker forscht an der Universität Bonn insbesondere zu Regierungssystemen, Parteien und Rechtspopulismus. Er konzentriert sich auf die Politik Deutschlands, beschäftigte sich in der Vergangenheit aber auch mit den politischen Verhältnissen in Österreich. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik.

Eine Brandmauer der anderen Parteien wie in Deutschland existiert also nicht. Vielmehr noch: "Es gibt bei den Konservativen ganz starke Kräfte, die sagen: 'Lasst uns lieber mit der FPÖ zusammengehen – selbst als Juniorpartner.'" Der bisherige Kanzler Karl Nehammer war gegen die Zusammenarbeit und trat letztlich zurück. Mit der FPÖ seien die Schnittmengen in der Wirtschafts-, aber insbesondere auch in der Migrationspolitik laut vielen ÖVP-Politikern deutlich größer. "Die Option hat die Union momentan nicht." So gebe es keine einflussreichen Fürsprecher einer AfD-Kooperation.

Dennoch forderte AfD-Chefin Alice Weidel bereits die CDU/CSU in Deutschland auf, von ihrer "Brandmauer gegen die AfD" abzurücken. Sie zog dabei den Vergleich zur Situation im Nachbarland und sprach vom "krachenden Zusammenbruch der von der ÖVP gegen die FPÖ errichteten Brandmauer" in Österreich.

"Mittelfristig kann es zu österreichischen Verhältnissen kommen"

Florian Grotz, Politologe von der Hamburger Bundeswehruniversität, ergänzt: "Die Entzauberung der FPÖ ist bereits unter dem ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz passiert." Auch Grotz sieht keine Koalitionsbeteiligung der AfD nach der nächsten Bundestagswahl. Das sei in Zukunft allerdings nicht ausgeschlossen, insbesondere wenn das Land stärker in eine Krise gerate.

"Aktuell haben wir noch keine österreichischen Verhältnisse, mittelfristig kann es aber dazu kommen", so Grotz. In dem Fall werde sich die AfD zunächst weiter auf Landesebene als Koalitionspartner aufzudrängen versuchen – "und auf mittlere Sicht auch auf Bundesebene".

(Quelle: Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg)

Zu Person

Florian Grotz forscht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg insbesondere im Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft. Sein Hauptfokus gilt der Funktionsweise demokratischer Institutionen in Deutschland und Europa.

Schließlich sind die Koalitionsverhandlungen in Deutschland bereits aktuell schwierig und endeten teils mit unbefriedigenden Kompromissen. Das Vermeiden von Koalitionen mit rechten Parteien führe letztlich zu Koalitionen der Mitte, deren heterogene Parteiprogramme oft nicht kompatibel sind, weshalb "Politiken des kleinsten gemeinsamen Nenners herauskommen können".

Dreierkonstellationen sind so längst zur politischen Normalität geworden. Für Decker birgt das Risiken: "Dreierkoalitionen tragen den Keim der Instabilität in sich, weil sich immer Konstellationen bilden können, wo zwei gegen einen stehen." Deshalb bestehe eine "Sehnsucht nach Zweierkoalitionen".

Werden sich Union und SPD immer einigen?

Eine solche erscheint nach der nächsten Bundestagswahl indes wahrscheinlich. Eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hätte nach aktuellem Stand eine Mehrheit im Parlament. In der Vergangenheit gestalteten sich die Verhandlungen zwischen beiden Seiten inhaltlich meist unproblematisch. Als die FDP 2017 die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition platzen ließ, wurde die GroKo zur Notlösung.

In Österreich scheiterten nach dem Aus der Neos allerdings auch die Zweier-Verhandlungen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten, die trotzdem eine knappe Mehrheit gehabt hätten. Droht Deutschland also doch eine Unregierbarkeit, wenn sich Union und SPD nicht einigen können? Die Chancen dafür schätzen die Experten als gering ein, insbesondere weil die Union keine richtige Alternative als Notlösung in der Hinterhand hat. "Die anderen Parteien sind im Grunde dazu verdammt, sich zusammenzufinden", verdeutlicht Decker.

Zudem weisen die Parteien in Österreich teils ein anderes Profil auf als ihre Schwesterparteien in Deutschland. "Die SPÖ war in Österreich zuletzt in der Opposition und hat sich unter dem Parteichef Andeas Babler zunehmend nach links orientiert", sagt Decker. Der ehemalige Marxist steht für Umverteilung, 32-Stunden-Woche und Vermögensbegrenzung. Die SPD dagegen komme aus einer Regierung und habe sich in der Mitte positioniert: Sie könne sich kaum so weit nach links bewegen, dass eine Regierung unmöglich wird.

Grüne als sicherere Lösung?

Aber selbst dann gäbe es noch eine mögliche Alternative. Schließlich ist eine Koalition zwischen Union und Grünen unter Umständen möglich. Und an Habecks Partei dürfte es wohl kaum scheitern, glaubt Grotz. "Die Grünen sind staatspolitisch sehr verantwortungsbewusst und unglaublich anpassungsfähig." Ein Beispiel sei der Wandel der Ausrichtung hinsichtlich der Verteidigung. Habecks jüngste Forderung nach Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei vor vier Jahren noch undenkbar gewesen.

Trotz aller Gemeinsamkeiten ist Deutschland also noch weit von österreichischen Verhältnissen entfernt. Was hat es dann mit Habecks Warnung auf sich? Wohl auch etwas Eigenwerbung, vermutet Experte Frank Decker: "Habeck thematisiert die Situation natürlich auch, weil er ein Interesse daran hat, die Grünen in der Regierung zu halten."

Das gehe laut den aktuellen Umfragen nur mit der Union, die deutlich stärkste Kraft ist. Doch dort gibt es insbesondere in der CSU noch starke Vorbehalte gegenüber einer schwarz-grünen Koalition. Habeck versucht also, das mögliche Bündnis aufzuwerten und für die Union als Vorsorge gegen Chaos wie in Österreich attraktiver zu machen. Derweil versucht die CSU mit ihren Warnungen womöglich ihre Position als stärkste Partei in Deutschland weiter auszubauen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Florian Grotz
  • Gespräch mit Frank Decker
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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