Entscheidung in den USA Das könnte das Schicksal der Ukraine besiegeln
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In der Ukraine ist die Sorge vor einem US-Präsidenten Donald Trump groß. Aus Russland kommen hingegen begeisterte Reaktionen – doch auch der Kreml kann sich seiner Sache nicht sicher sein.
In Moskau ist die Freude an diesem Morgen groß. "Halleluja" kommentiert die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in ihrem Telegram-Kanal mit Blick auf die US-Wahl, die der Republikaner Donald Trump für sich entschieden hat. Gewinner sei derjenige, der sein Land liebe, schreibt Sacharowa. Und der frühere Präsident Dmitri Medwedew jubelt, für die Ukraine sei heute ein Trauertag.
Das sehen dort viele ähnlich. Trump gilt dort als unberechenbar, viele sehen ihn auch als Freund Putins. Als die "Neue Zürcher Zeitung" in der vergangenen Woche ukrainische Soldaten an der Front befragte, sagte einer mit Blick auf die US-Wahl: "Wenn es Trump ist, wird es noch schlimmer. Er ist ein Kumpel von Putin."
Mit dieser Einschätzung steht der Soldat nicht alleine da. Auch die Bundesregierung und ihre europäischen Partner hatten sich vor diesem Szenario gefürchtet: "Trump ist ein Politiker, der die Unterstützung für die Ukraine zurückfahren, möglicherweise sogar einstellen wird", sagte David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, t-online am Mittwoch. Für die Ukraine sei der Sieg Trumps eine existenzielle Frage – "für Russland ist das positiv", so Sirakov. Die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer fürchten außerdem, dass der Republikaner Kiew zu einem Frieden zwingen könnte, von dem vor allem Putin profitieren würde.
Dennoch bietet ein Sieg Trumps nicht nur Gefahren für die Ukraine, sondern auch Chancen. Das Gleiche gilt umgekehrt auch für Russland.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Noch weniger Hilfe wäre für die Ukraine in der jetzigen Situation tatsächlich fatal. Denn die ukrainische Armee befindet sich in einer sehr heiklen Phase in diesem Krieg. Den russischen Angreifern gelingt es unter schweren Verlusten im Osten der Ukraine, immer wieder kleinere Durchbrüche und Geländegewinne zu erzielen. Russland rückt auf die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk vor, und Kremlchef Wladimir Putin soll für diese Offensive laut Nato-Schätzungen etwa 1.000 russische Soldaten täglich in den Tod schicken. Ohne Rücksicht auf Verluste. Denn besonders diese brutale Taktik der "Fleischangriffe" begünstigt die langsamen, aber stetigen russischen Vorstöße.
Die ukrainischen Verteidiger haben in diesem Herbst von vielem zu wenig: zu wenig ausgebildete und ausgerüstete Soldaten, um die gesamte Front verteidigen zu können. Zu wenig Munition und zu wenig Kriegsgerät, weil die Unterstützung aus dem Westen weiterhin sehr schleppend verläuft. Das zerrt an der Moral und dem Durchhaltewillen.
Das liegt auch an dem aktuellen Kurs des US-Präsidenten Joe Biden, der in den vergangenen Monaten der Ukraine zunehmend Sorgen bereitet hat. Biden reagierte etwa nur sehr zurückhaltend auf den "Siegesplan" des ukrainischen Präsidenten, den dieser im September persönlich im Weißen Haus vorstellte. Er hat es der ukrainischen Armee bislang auch nicht erlaubt, weitreichende Waffen gegen Ziele einzusetzen, die tiefer in Russland liegen. Und das Geld fließt auch nicht wie versprochen: Selenskyj sagte diese Woche vor Journalisten, dass die USA bislang nur zehn Prozent der militärischen Unterstützung geleistet hätten, die sie in einem im April verabschiedeten Hilfspaket im Wert von 61 Milliarden Dollar zugesagt hatten. Dadurch könne die Ukraine aktuell nur schwer planen.
Europa kann die militärische Unterstützung nicht kompensieren
Der Wahlsieg Trumps wird diese Unsicherheit wohl befeuern. Denn der ehemalige Präsident ist außenpolitisch – so viel hat er bereits bewiesen – unberechenbar und hat vor allem den Profit der USA im Blick. Unter Trump wird es wahrscheinlich zu einem grundlegenden Politikwechsel kommen, denn der Republikaner hat den Mund relativ voll genommen.
Immerhin hat er bereits erklärt, dass er gute Beziehungen zu Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe und dass er den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden würde. Einen konkreten Plan äußerte er im Wahlkampf dagegen nicht. Er wiederholte lediglich immer wieder, dass die Ukraine Frieden brauche.
Darin sind sich er und das restliche westliche Bündnis wahrscheinlich sogar einig. Doch bei Letzterem war zuletzt die Sorge gewachsen, dass Trump die Ukraine zu einem für sie nachteiligen Frieden zwingen könnte. Schließlich hat er alle Hebel in der Hand: Ohne die USA wäre die Existenz der Ukraine bedroht, Putin hätte freie Bahn. Denn Europa kann die militärische Unterstützung der Amerikaner nicht kompensieren.
Trump sieht sich vor allem als Geschäftsmann auf der Suche nach dem besten Deal für die USA. Die Ukraine hält er für ein europäisches Problem und einen Krieg allgemein für teuer und schlecht für die Wirtschaft. Und er brüstet sich gern damit, die europäischen Nato-Länder mit Blick auf ihre Verteidigungsausgaben zur Kasse zu bitten.
Deshalb befürchtet unter anderem die Bundesregierung, Trump könnte bei einem Einzug ins Weiße Haus wieder mehr Geld von europäischen Ländern wie Deutschland verlangen. Er könnte der Westanbindung der Ukraine und einem möglichen Nato-Beitritt des Landes einen Riegel vorschieben, um den Krieg irgendwie einzufrieren. Putin könnte daraufhin wieder aufrüsten und irgendwann erneut angreifen.
Selenskyj versuchte im Gespräch mit dem südkoreanischen Sender KBS im Vorfeld der US-Wahl, die Gemüter mit Blick auf diese Szenarien zu beruhigen: "Trump redet viel, aber ich habe ihn nicht sagen hören, dass er seine Unterstützung für die Ukraine reduzieren würde." Doch der ukrainische Präsident sieht durchaus die Gefahr: "Wenn diese Unterstützung nachlässt, wird Russland mehr Territorium erobern, das würde uns daran hindern, diesen Krieg zu gewinnen. Das ist die Realität."
Trump bereitet Kiew größere Kopfschmerzen, als öffentlich zugegeben wird. Im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Oleksandr Kraiev von der außenpolitischen Denkfabrik Ukrainian Prism: "Harris ist die Konstante, Trump hingegen das große Glücksspiel: Entweder wir verlieren alles, oder wir gewinnen."
Der ukrainische Militäranalyst Oleksandr Kovalenko führte im Gespräch mit der "New York Times" am Sonntag diesen Gedanken noch etwas weiter aus: "Donald Trump ist völlig unberechenbar – sowohl im negativen als auch im positiven Sinne." Der Republikaner könne unvorhersehbar die Hilfe für die Ukraine vollständig blockieren. "Oder er könnte ebenso unvorhersehbar beschließen, der Ukraine Unterstützung zu gewähren, die weder Biden noch Harris jemals in Betracht ziehen würden."
Selenskyj appelliert an Trumps Eitelkeit
Die ukrainische Führung wird nun wohl versuchen, strategisch zwei Eigenschaften Trumps für sich zu nutzen: seine Suche nach wirtschaftlichem Profit und sein riesiges Ego. Es ist kein Zufall, dass Selenskyj dem Westen kürzlich die gemeinsame Nutzung von ukrainischen Rohstoffen versprach.
Im Jahr 2022 schätzte das kanadische Beratungsunternehmen Secdev den Gesamtwert aller Bodenschätze der Ukraine, darunter Kohle, Gas und Öl, auf 26 Billionen US-Dollar. Außerdem finden sich in der Ukraine strategische Ressourcen – darunter etwa sieben Prozent der weltweiten Titanreserven und 500.000 Tonnen Lithium, das für Batterien für Elektroautos unverzichtbar ist. Wenn die USA und der Westen nichts unternehmen, könnten diese Putin zufallen. Russland soll in den besetzten ukrainischen Gebieten bereits begonnen haben, ebendiese zu fördern.
Daneben appellierte der ukrainische Präsident an Trumps Eitelkeit. Er warnte ihn, dass er riskiere, als "Verliererpräsident" abgestempelt zu werden, wenn er zulasse, dass Russland den Krieg gewinnt. Trump könne vielleicht einen Waffenstillstand vermitteln, sagte Selenskyj, aber Putins bisherige Bilanz lasse darauf schließen, dass Moskau diesen letztlich brechen und weiter in die Ukraine vordringen werde, was den US-Präsidenten "sehr schwach" erscheinen ließe. Ob Selenskyjs Vorstöße Trump tatsächlich beeinflussen können, ist unklar.
Putin wittert nun seine Chance. Auch traditionell steht der Machtapparat in Moskau den Republikanern in den USA offener gegenüber als den Demokraten. Trumps Ankündigung, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, kommentierte man in Moskau mit Skepsis, man sehe Trumps Anstrengungen aber durchaus positiv. Viel Zurückhaltung für den Kreml, der sonst kaum mehr auf diplomatische Töne Richtung Washington setzt.
Doch auch für Putin ist Trump eine Gefahr und eine Chance zugleich. Denn der russische Präsident würde in eine Falle laufen, würde er sich nun öffentlich hinter den Republikaner stellen, und Trump dann nach einem Wahlsieg die Ukraine noch mehr unterstützen, als Biden es getan hat.
US-Präsident Biden sah man in Russland als Gegner, der aber auf russische Drohungen mit Vorsicht reagierte. Trump dagegen hat sich in seiner ersten Amtszeit als impulsiver und eben nicht vorsichtiger Präsident präsentiert. Das hat auch Moskau registriert, Putin hielt sich im Gegensatz zu Sacharow und Medwedew mit Reaktionen zurück. Er wisse nicht von Plänen des russischen Präsidenten, Trump zu gratulieren, die USA seien ein "feindliches Land", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. Man werde den künftigen US-Präsidenten an seinen "konkreten Taten" messen. Die Freude in Moskau könnte also von kurzer Dauer sein.
- nytimes.com: Trump or Harris? For Ukraine, Two Very Different Futures Loom (englisch)
- nzz.ch: Was die Wahl Donald Trumps für Europa und die Ukraine bedeuten würde
- thehill.com: How a Trump peace ultimatum could end the Russia-Ukraine war (englisch)
- theguardian.com: Ukraine braces for outcome of US elections: ‘We are worried about Trump’ (englisch)
- faz.net: "Entweder wir verlieren alles, oder wir gewinnen"
- news.sky.com: What a Trump presidency would mean for global wars and European security (englisch)
- handelsblatt.com: Die US-Wahl könnte das Schicksal der Ukraine entscheiden
- Eigene Recherche