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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Historiker Depkat "Das wäre dann tatsächlich der Staatsstreich"
Donald Trump ist Sieger im Kampf ums Weiße Haus. Was bedeutet das für die USA und den Rest der Welt? Historiker Volker Depkat analysiert die Lage.
Kamala Harris wollte das Weiße Haus für die Demokraten verteidigen, doch Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahl für sich entschieden. Was bedeutet Trumps Rückkehr für die liberale Demokratie? Wird der neue, alte Präsident demnächst die angekündigte Rache an seinen Gegnern nehmen? Und welche Auswirkungen sind für Deutschland und Europa zu befürchten? Volker Depkat, Historiker und Experte für die Vereinigten Staaten, beantwortet diese Fragen im Interview.
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t-online: Professor Depkat, Donald Trump wird der nächste US-Präsident. Ist die amerikanische Demokratie erneut in akuter Gefahr?
Volker Depkat: Wir müssen uns große Sorgen machen. Ganz sicher wird es autoritäre Tendenzen unter Trumps erneuter Präsidentschaft geben, erst recht, wenn die Republikaner neben dem Senat auch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit erhalten sollten. Zwar gibt es die berühmten "Checks and Balances" im US-Verfassungssystem, aber die amerikanische Demokratie ist seit der ersten Amtszeit Trumps insgesamt schon recht zerbeult. Es ist fraglich, ob die Institutionen der amerikanischen Verfassungsordnung eine zweite Amtszeit Trumps überstehen. Es wird in jedem Fall ein anderes Amerika werden, eines, in dem das Staatsoberhaupt, das in seinem Amtseid immerhin schwört, die Verfassung zu beschützen, autoritäre Neigungen hegt.
Donald Trump ist ein überführter Lügner und verurteilter Straftäter. Warum haben ihn die Amerikaner gewählt?
Ein Großteil der US-Bevölkerung hat anscheinend in ihm eine Alternative gesehen. Dazu muss man wissen, dass die Amerikaner gerade bei den Präsidentschaftswahlen vielfach nach dem sogenannten Single-Issue-Prinzip vorgehen: Sie halten ein spezielles Thema für besonders wichtig und prüfen dann die Kandidaten darauf, wie gut oder schlecht sie diesen Komplex besetzen. Der Rest ist dann mehr oder weniger egal.
Bei dieser Wahl war es die Wirtschaft, insbesondere die Inflation.
Die Preise in den USA für Lebensmittel sind hoch, ja, auch die Hypotheken für ihre Häuser sind für viele Menschen schwer zu stemmen. In Sachen Wirtschaft trauen die Amerikaner offensichtlich Trump mehr zu als Harris, insbesondere die in den Swing States. Harris wurde als amtierende Vizepräsidentin für viele der wirtschaftlichen Probleme mitverantwortlich gemacht, das hat es ihr erschwert. Wenn man die Wahlergebnisse in einzelnen Swing States betrachtet, war sie offenbar nicht einmal in der Lage, alle Wählerinnen und Wähler, die Joe Biden 2020 gewählt haben, für sich zu gewinnen.
Zur Person
Volker Depkat, geboren 1965 in El Paso (Texas), lehrt American Studies an der Universität Regensburg. Der Historiker ist Experte für die Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte Nordamerikas. 1996 promovierte er über "Amerikabilder in politischen Diskursen. Deutsche Zeitschriften 1789–1830", seine Überblicksdarstellung "Geschichte der USA" erschien 2016.
Trumps Wählerschaft hat sich hingegen nicht nur als relativ stabil, sondern auch als ausbaufähig erwiesen?
Richtig. Harris wurde für die als mangelhaft empfundenen Leistungen des insbesondere auch in den Swing States sehr unpopulären Joe Biden abgestraft. Außerdem hatte sie nach dem Verzicht von Biden auf die Kandidatur nur wenige Wochen Zeit, ein Profil zu entwickeln und sich von der bisherigen Regierung abzuheben. Selbst Frauen, über die Trump sich verächtlich äußert, und Latinos, die er rassistisch beleidigt, haben ihn in durchaus beachtlicher Zahl gewählt. Die US-Wähler, die keinesfalls nur tumbe Hillbillies sind, haben sehr zielgerichtet für ihn gestimmt, weil sie sich etwas davon versprechen. Der Fairness halber muss aber gesagt werden, dass die Inflation bereits während Trumps erster Präsidentschaft begann. Die US-Wähler haben sie aber offenbar allein Joe Biden angelastet.
Fairness war keine Eigenschaft, die Donald Trump in diesem Wahlkampf demonstrierte.
Sagen wir, wie es ist: Trumps politische Kommunikation besteht aus ständigen Provokationen, er lügt und betrügt, verschiebt die Grenzen des Sagbaren und erniedrigt seine politischen Gegner. Damit ist er offensichtlich so erfolgreich, dass er immer noch mehr Leute mobilisiert. Das ist eigentliche Nachricht dieses Tages – und zwar, dass diese Art von Politik, die auf Emotionalisierung, Hass und die Ängste der Menschen setzt, bis ins Weiße Haus führen kann. Damit hat Trump durchschlagenden Erfolg.
Hat sich Trump mit dieser Taktik auch seine Republikaner gefügig gemacht?
Ja, unter anderem. Die ganze Partei ist auf Linie. Liz Cheney, eine seiner wenigen Kontrahentinnen, hat er kürzlich einige Kugeln in den Rücken gewünscht, angesichts dieser Bemerkung gab es keinen Aufschrei in der Partei. Was ziemlich viel aussagt über ihren Zustand.
Paradox ist zudem der Umstand, dass sich ein Großteil der Amerikaner Sorgen um ihre Demokratie macht. Egal, ob es Anhänger der Demokraten und der Republikaner sind. Wie erklärt sich das?
Tatsächlich sorgen sich 76 Prozent der Amerikaner um den Bestand ihrer Demokratie. Wie Sie sagten, nicht nur die Liberalen, sondern auch die Konservativen haben Angst um sie. Das liegt daran, dass sich die Amerikaner nicht darüber einig sind, in welcher Realität sie leben. Nun soll aber ausgerechnet Trump die Demokratie retten? Das ist geradezu absurd. Denn ich befürchte einen autoritären Umbau dieser Demokratie und der Verfassungsordnung, ein Umbau, der weiter reichen wird, wenn Trump beide Häuser des Kongresses kontrollieren sollte.
Aus seiner Verachtung für die in den USA nahezu geheiligte Verfassung macht Trump wenig Hehl. Nochmals gefragt: Wie können ihn Amerikaner trotz seines Putschversuchs am 6. Januar 2021 wählen?
Es existiert in den USA kein einheitliches Narrativ darüber, was da im Januar überhaupt vorgefallen ist; es gab keine ernsthafte Aufarbeitung des Geschehens über die Parteigrenzen hinweg. Die Demokraten nannten es versuchten Staatsstreich, einen Angriff auf die amerikanische Verfassung, die Republikaner wiegelten ab. Trump faselte von einem "Fest der Liebe" und rechtmäßigen Widerstand von patriotischen Amerikanern gegen eine angeblich gefälschte Wahl. Dieses Narrativ steht völlig unverbunden neben dem, was die Demokraten ganz richtig über das Ereignis sagen.
Nun drohen weitere vier Jahre Trump. Ist die US-Demokratie dafür gewappnet?
Das amerikanische System der Gewaltenteilung ist hochkomplex, ein Einzelner kann es eigentlich nicht beschädigen. Eigentlich. Die ersten vier Jahre Donald Trump waren so etwas wie ein außerordentlicher Stresstest für die Funktionalität dieses Systems. Damals hat es Trump noch ganz gut überstanden. Die Gerichte etwa haben Recht gesprochen, die Täter des Kapitolsturms vom 6. Januar 2021 sind auch verurteilt worden.
Wird es aber noch mal vier Jahre standhalten?
Trump wird nichts unversucht lassen, um sich das System gefügig zu machen. Es begann schon bei der Wahl 2016. Damals erklärte er, dass er das Ergebnis nur anerkennen würde, falls er gewinnt. Die Integrität des in der Verfassung geregelten politischen Prozesses war zuvor nie grundsätzlich infrage gestellt worden. Egal, wie hart und schmutzig es in früheren Wahlkämpfen zuging, die Gültigkeit und Autorität der in der Verfassung definierten politischen Entscheidungsverfahren sind bislang noch von keinem der Kandidaten um ein politisches Amt infrage gestellt worden. Aber Trump wagte das Undenkbare. Und damit wird er weitermachen.
Wie schlimm kann es werden?
Trump wird am 20. Januar 2025 auf die US-Verfassung schwören, hat aber im Sinn zu stören und zu zerstören. Er hat angekündigt, seine "Agenda 2025" zum Umbau der US-Demokratie zur Not auch ohne Zustimmung des Kongresses durchzusetzen. Das sind Kanonenschläge gegen die Verfassungsordnung. Trump ist ein selbstherrlicher Narzisst mit autoritären Neigungen, ihm ist viel zuzutrauen. Eigentlich bin ich notorischer Optimist, ich glaube an die Selbstheilungskräfte freier Gesellschafen. Aber seit heute mache ich mir große Sorgen.
Gibt es keine Hoffnung?
Noch gilt die amerikanische Verfassung, noch gibt es rechtsstaatliche Verfahren. Und ich hoffe auf die einzelnen Bundesstaaten. Denn in den Bundesstaaten gibt es noch Leute und Institutionen, die den Präsidenten über das System der Gewaltenteilung einfangen können. Über die föderale Ordnung der USA kann der Präsident sich nicht hinwegsetzen; das wäre dann tatsächlich der Staatsstreich. Wir sollten also auf den Föderalismus und die Bundesstaaten, also die vertikale Gewaltenteilung in den USA, hoffen.
Trump hat seinen tatsächlichen und imaginierten Gegnern Rache angedroht. Ist diese Drohung ernst zu nehmen?
Absolut. Trump ist narzisstisch genug, um persönlich beleidigt zu sein, wenn jemand anderer Meinung war. Die Leute, die er im Rahmen seiner ersten Amtszeit rausgeschmissen hat, haben ja auch zumeist Bücher über diese Zeit geschrieben, in denen Trump überhaupt nicht gut wegkommt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten wird es da sehr schnell zu Aktionen kommen.
Welche Folgen könnten die Wahl für den Rest der Welt haben?
Ein zentraler Aspekt des American Way of Life ist eine gewisse Kultur der Selbstbezüglichkeit, die etwas Provinzielles hat. Mich interessiert, was in meiner Community passiert, was in meinem Bundesstaat geschieht, so lässt es sich zusammenfassen. Von Nevada betrachtet ist es selbst Washington, D.C. schon weit weg, die Ukraine noch viel weiter. Warum zahlen wir für Kriege, die uns nichts angehen? Diese Fragen stellen sich manche Amerikaner, wenn sie ihre kaputten Highways betrachten. Trump wird dem Rechnung tragen.
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Und was bedeutet Trumps Rückkehr für die Nato und die Ukraine?
Trump ist immer offen für Deals. Wenn Deutschland und andere Nato-Staaten ihre Verteidigungshaushalte deutlich erhöhen und Waffen aus den USA kaufen, wird ihn das sicher freuen. Für die Ukraine könnte es hingegen dramatisch werden.
Wird er sie fallen lassen?
Trump müssen wir alles zutrauen. Allerdings hat er zu Beginn seiner ersten Amtszeit großspurig verkündet, er würde die US-Truppen in Afghanistan binnen drei Wochen zurückziehen. Das hat dann doch so nicht geklappt, weil er sich den Realitäten der Außenpolitik stellen musste. Mit Kim Jong Un aus Nordkorea wollte er auf persönlichem Wege verhandeln. Da ist Trump auch gescheitert. Tatsächlich sollten die Europäer aber diesen Weckruf von Trumps Wiederwahl zum Anlass nehmen, sich endlich sicherheitspolitisch auf eigene Füße zu stellen.
Professor Depkat, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Volker Depkat via Videokonferenz