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Hungerstreiker in den USA | "Die Amerikaner lieben Sozialismus"


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Hungerstreiker in den USA
"Die Amerikaner lieben Sozialismus"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns

10.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Hungerstreiker Kidus Girma vor dem Weißen HausVergrößern des Bildes
Hungerstreiker Kidus Girma vor dem Weißen Haus (Quelle: imago-images-bilder)
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Zwei Wochen lang aß er nichts – und landete schließlich in der Notaufnahme. Doch der Klimaaktivist Kidus Girma will trotzdem weitermachen. Ausgerechnet in den USA stellt er die Systemfrage.

Kidus Girma stammt ursprünglich aus Äthiopien. Aufgewachsen ist er in Dallas im US-Bundesstaat Texas. Der 26-Jährige ist Mitglied der großen US-Klimabewegung "Sunrise Movement".

Zwei Wochen lang trat er vor dem Weißen Haus und dem Kapitol in einen Hungerstreik, um den US-Präsidenten Joe Biden und den US-Kongress von seinem Ziel zu überzeugen: Bis zum Jahr 2030 müssten die USA ihre Treibhausgas-Emissionen um 50 Prozent senken, damit der Klimawandel noch irgendwie gestoppt werden könne. Girmas Protest endete im Krankenhaus.

Herr Girma, zwei Wochen lang haben Sie und Ihre Kollegen gehungert. Sie landeten schließlich in der Notaufnahme eines Krankenhauses. War es das wert?

Kidus Girma: In diesen zwei Wochen haben wir ja deutlich mehr gemacht als nur zu hungern. Wir haben es geschafft, mit John Kerry, dem Sondergesandten des US-Präsidenten für Klimafragen, zu sprechen. Mit Gina McCarthy, der nationalen Klimabeauftragten des Weißen Hauses und ihrem Stellvertreter Ali Zaidi. Mehrere Kongressmitglieder kamen uns besuchen, als wir draußen vor dem Kapitol standen.

Und was haben Sie damit erreicht?

Wir wollten eines mit unserem Hungerstreik deutlich machen: Es geht hier ganz klar um eine hochmoralische Angelegenheit. Der Klimawandel und seine Folgen handeln nicht nur von einem Gesetz, das gerade im Kongress verhandelt wird. All das betrifft unser aller Leben und hat Auswirkungen auf die ganze Welt. In vielerlei Hinsicht waren wir damit erfolgreich. Die Presse berichtet über unser Anliegen. Wir werden auf Augenhöhe mit Verantwortlichen der Biden-Regierung zitiert. Es wird sehr deutlich: Ihre Vorstellungen von dem, was möglich ist, unterscheiden sich sehr stark von dem, was wir glauben, was unbedingt nötig ist.

Man könnte meinen, Ihr Hungerstreik sei eher symbolischer Natur. Wie weit wollen Sie damit wirklich gehen?

Wir haben vorher mit vielen Leuten gesprochen, die sich mit solchen Aktionen auskennen, auch mit jemandem aus Deutschland. Wir haben sehr kontrolliert angefangen und unsere Kalorienzufuhr reduziert. Die ersten Tage waren die härtesten und ich hätte auch nicht erwartet, dass mich ein kurzer Weg vom Weißen Haus zu einer Toilette für 45 Minuten so plattmacht.

Dann kam Ihr Zusammenbruch.

Ja, mir wurde schwindelig, meine Finger wurden taub und hörten nicht mehr auf zu kribbeln. Ein Freund fuhr mich zum Krankenhaus. Wie Sie sich vorstellen können, musste ich stundenlang im Wartebereich ausharren. Das amerikanische Gesundheitssystem nimmt Sie eigentlich erst dann ernst, wenn Sie blutüberströmt am Boden liegen. Am Ende fiel mein Blutzuckerspiegel so stark ab, dass die Ärzte mir später sagten, dass das sehr schnell hätte tödlich enden können. Ich bekam eine Glukose-Lösung. Die Elektrolyte hätten wir beim Streik definitiv nicht weglassen sollen. Lektion gelernt: Hör auf deine Ärzte und stirb nicht!

Auch, weil Sie ja weiter gegen den Klimawandel kämpfen wollen.

Wir haben darüber als Gruppe sehr lange gesprochen. Wir hatten kein festes Ziel nach dem Motto: Wir hören erst auf zu hungern, wenn alle unsere Ziele erfüllt sind. Zur gleichen Zeit haben in New York übrigens die Taxifahrer einen Hungerstreik für ihr Geschäftsmodell geführt. Ungefähr genau das Gegenteil von dem, was wir fordern. Unser Ziel war im Grunde, so lange wie irgend möglich auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Wir müssen nicht sterben, um effektiv zu sein. Wir haben 1.000 andere Möglichkeiten. Das hat geklappt, die Aufmerksamkeit für uns stieg von Tag zu Tag.

Sie haben dem derzeit wohl mächtigsten Mann auf dem Kapitolshügel aufgelauert, dem demokratischen Senator aus West Virginia, Joe Manchin. Es gibt zahlreiche Videos davon, wie Sie und Ihre Mitstreiter ihn bedrängen. Warum tun Sie das?

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Wir haben Joe Manchin an seiner Yacht damit konfrontiert, dass er von der Kohleindustrie gekauft ist. Er selbst hat Millionen Dollar mit Kohle verdient. Er blockiert die Klimagesetze seines eigenen demokratischen Präsidenten. Dabei gefällt er sich in der Rolle desjenigen, der sich angeblich für das Wohl aller einsetzt, der als quasi letzter gewählter Demokrat in West Virginia besonders behutsam vorgehen müsse, der doch nur die so wichtige Überparteilichkeit herstellen wolle. Die Medien haben an diesem Image einen gewaltigen Anteil. Wir wollen dieses Bild der Realität näherbringen, denn kaum einer weiß von Joe Manchins Kohlelobby-Verbindungen.

Sie haben Joe Manchin dann auch am Wegfahren mit seinem Auto gehindert und Plakate hochgehalten, auf denen unter anderem stand: "Joe Manchin weiß, dass er uns tötet!" Und die Menge hat gerufen: "Wir wollen leben!"

Bei der Aktion wurde jedem klar, dass Joe Manchin einen Maserati fährt. Auf Twitter wurde daraus das Schlagwort #MaseratiManchin.

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Muss Joe Manchin für alles herhalten?

Es ist einfach wichtig, zu sehen: Woher bekommt er das Geld? Wie viel Geld bekommt er? Und: Was macht er mit dem Geld? Das wollen wir klarstellen. Dass er dabei gerade in seinen Maserati gestiegen ist, war natürlich dankbar. Aber wenn es nicht der Maserati gewesen wäre, wäre es eben seine Yacht oder etwas anderes gewesen.

Zu welchem Zweck?

Wissen Sie, Joe Manchin steht für so vieles mehr als nur für seine Blockade gegen den Klimaschutz. Er wohnt auf seiner Millionen-Yacht in einem der teuersten Viertel Washingtons. Er fährt ein Luxusauto und lässt sich seine Politik, die gegen jene gerichtet ist, die ihn eigentlich gewählt haben, erkaufen. Es geht uns ganz explizit nicht nur um Klimaschutz. Denn der Klimawandel wird durch ein Wirtschaftssystem geschaffen, das insbesondere arme Menschen nicht ins Zentrum stellt.

Aber was sagen Sie jenen Leuten, die Angst davor haben, ihr Benzin nicht mehr bezahlen zu können oder die ihr Auto auf dem Land brauchen, um vielleicht Angehörige zu besuchen?

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Der Wandel, den wir erreichen wollen, bedeutet keinen Verlust, sondern einen Gewinn. Besonders für jene, die von diesem System ausgebeutet und benachteiligt werden. Das ist sehr viel in Anbetracht auch der Tatsache, dass Wirbelstürme, Überschwemmungen und Waldbrände sonst noch mehr zunehmen als ohnehin schon. Ich komme aus Texas und es gibt viele Jobs in der Öl- und Gasbranche. Aber schon jetzt fängt eine Entwicklung an, dass mit grünen Jobs im Durchschnitt mehr verdient werden kann als dort.

Aber Sie stellen die Systemfrage in einem Land, das Ihnen schnell entgegenruft: Sozialismus! Oder gar: Kommunismus!

Die Amerikaner lieben Sozialismus. Es geht nicht um das Label. Aber wenn man die Menschen fragt, was sie gut finden, dann finden sie Gesundheitsversorgung und Schulbildung gut. Es gibt dafür eine Mehrheit. Die Amerikaner wollen nicht, dass der Sozialstaat abgebaut wird.

Was ist mit den Trump-Wählern?

Donald Trump hat auf eine sehr bösartige Weise zu seinen Wählern gesagt: Ihr werdet bestohlen! Während er natürlich versucht, vergessen zu machen, wer er ist und woher er kommt. Aber es geht ganz klar um mehr Gleichberechtigung und um mehr Gerechtigkeit. Das ist die entscheidende Frage – und wir sind gerade dabei, dafür Antworten zu liefern und zu gewinnen.

Der Klimagipfel in Glasgow endet bald. Sind Sie nicht enttäuscht, dass Ihre Aktionen offenbar nichts bringen?

Wir orientieren uns gar nicht so sehr an diesem Klimagipfel. Es geht uns um die Gesetzgebung in den USA. Darauf konzentrieren wir uns. Die Sunrise-Bewegung gibt es erst seit wenigen Jahren und schon in dieser kurzen Zeit wurde so viel erreicht. Plötzlich gab es den Green New Deal. Ein Sit-in im Büro der demokratischen Mehrheitsführerin Nancy Pelosi zeigt ebenfalls Wirkung. Ich sage nicht, dass all das eins zu eins aus unseren Aktionen folgt. Man kann auch nicht messen, was ein Tweet bedeutet, der 80.000 Mal geteilt wurde. Aber wir schaffen eine Dynamik, die all das mit bewirkt. Auch unser Hungerstreik gehört dazu.

Was haben Sie als Nächstes vor?

Wir haben bereits die nächsten Aktionen geplant. Was es ist, kann ich noch nicht verraten. Aber es wird in den nächsten Tagen sein und man wird davon etwas mitbekommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview vor Ort mit Kidus Girma
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