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USA: Freiheit ohne Rücksicht auf Verluste – Corona-Proteste unterstützen Trump


Proteste in den USA
Der Corona-Widerstand

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 24.04.2020Lesedauer: 4 Min.
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Bewaffneter Demonstrant in Kansas: Welches Amerika geht da auf die Straße?Vergrößern des Bildes
Bewaffneter Demonstrant in Kansas: Welches Amerika geht da auf die Straße? (Quelle: Charlie Riedel/ap)

Freiheit, ohne Rücksicht auf Verluste: In den USA keimen Proteste auf, die auf die sofortige Öffnung des Landes drängen. Die wilde Mischung aus Demonstranten ist ein Geschenk für Donald Trump.

In den USA tobt wie in Deutschland die Debatte, wann und wo man wie weit das Land wieder öffnet. Doch es gibt zwei große Unterschiede.

Zum einen steigt die Zahl der täglichen Todesfälle weiter, viele Bundesstaaten haben den Höhepunkt der ersten Welle der Pandemie noch vor sich. Die großflächigen Tests, ohne die man die Verbreitung des Virus gar nicht erfassen und mit denen man die Öffnung erst abwägen kann, fehlen weiterhin. So sehr, dass etwa der Gouverneur in Maryland Kontakte seiner in Südkorea geborenen Ehefrau nutzte und seinem Bundesstaat 500.000 Tests aus Seoul bestellte. Doch die Öffnungsdebatte, sie tobt, als sei man längst weiter.

Und das, zum anderen, deutlich militanter als in Deutschland. Quer durchs Land sind Proteste losgebrochen. Viele von Ihnen werden die Bilder gesehen haben: Wütende in Ohio, Bewaffnete in Michigan oder dieses Bild hier aus Colorado, das den aktuellen Moment in Amerika für mich auf den Punkt bringt.

Eine Autokolonne schiebt sich am vergangenen Sonntag durch die Innenstadt Denvers, da ergibt sich die perfekte Konfrontation. Aus dem schweren Dodge Ram 1.500-Pickup, für viele ohnehin schon ein Symbol für eine rücksichtslose Variante von Freiheit, lugt eine Frau im USA-T-Shirt, in der Hand ein Plakat, auf dem steht: "Land of the free". Sie ist Teil des Autokorsos, der für die Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen trommelt.

Ein Mann stellt sich in den Weg. Schutzmaske, Sonnenbrille, OP-Kleidung: Ein Krankenhausmitarbeiter, und damit Frontkämpfer und Held in der Erzählung der Corona-Krise. Die Frau im dicken Auto ruft dem Mann zu, sie wolle auch arbeiten können. Und dann: "Das ist ein freies Land. Geh nach China, wenn Du Kommunismus willst." Er schweigt, bis ihn ein Polizist schließlich zur Seite bittet.

Hier die Wut, das Einfordern der eigenen Freiheit ohne Rücksicht auf Verluste – dort der stoische Helfer, der die Freiheit der anderen im Zweifelsfall mit seiner Gesundheit oder seinem Leben ausbaden muss.

Im Video: Amerikaner protestieren gegen Corona-Maßnahmen

Es ist nicht das einzige: Eine Schwester stellt sich einem fahnenschwenkenden Protestler in Phoenix, Arizona, entgegen, eine Gruppe Pfleger in Topeka, Kansas, einem Trupp Schwerbewaffneter. In Ohio liefen die Demonstranten als Pulk Richtung Parlamentsgebäude, dicht an dicht, in offener Verachtung der Abstandsregeln. In Maryland hupten sie aus der Sicherheit ihrer Autos.

Dicke Pickups, Trump-Mützen, schwere Waffen – der Protest gegen die Corona-Beschränkungen wirkt auf den ersten Blick wie eine Bestätigung aller Klischees über das ländliche Amerika.

Doch wen sehen wir da wirklich auf den Straßen: Die Spinner? Die Republikaner? Oder: das wahre Amerika?

Zunächst einmal ist es: eine Minderheit. Während die Protestler auf die Straße gehen, zeigen Umfragen, dass eine deutliche Mehrheit der Amerikaner eine zu frühe Öffnung fürchtet, auch die der Republikaner. Doch das kann sich ändern.

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

In Michigan gab es einen Großprotest, weil dort die Ausgangssperren besonders strikt sind, aber auch wegen der demokratischen Gouverneurin. Joe Biden hat sie bereits als mögliche Vizepräsidentin ins Auge gefasst und nun gilt sie als Feindbild, vom Weißen Haus bis zur Straße. Andere Proteste sind mickrig. Doch es gibt genügend starke Bilder, die in den sozialen und konventionellen Medien verstärkt und von Fox News gefeiert werden.

Wer denkt, es seien ausschließlich Rechte unterwegs, der täuscht sich. Man sieht viele Familien, deren Plakate verraten, dass sie in erster Linie in der verheerenden Wirtschaftskrise um ihre Existenz fürchten. Woanders hingegen dominieren Waffennarren, die schon die Existenz einer Regierung für Tyrannei halten. In Austin, Texas, trieb der nimmermüde Alex Jones den Protest an, ein Mann, der aus der unermüdlichen Verbreitung von Verschwörungstheorien und dem Vertrieb angeblicher Wundermittelchen (Silberhaltige Zahncreme gegen Coronavirus!) sein Geschäft betreibt.

So gesehen: eine wilde, aber auch typisch amerikanische Mischung.

Spontan ist der Protest nicht, sondern, wie so oft, gesteuert. Einflussreiche politische Netzwerke der Konservativen haben die "Reopen"-Proteste aufgesetzt – es sind tatsächlich dieselben Gruppen, die vor gut zehn Jahren dasselbe mit der Tea Party-Bewegung getan haben. Viele von ihnen haben beste Verbindungen zum Präsidenten.

Ohne die Tea Party, diese erzkonservative Bewegung, die gegen Barack Obama Sturm lief und damit die gesamte republikanische Partei nach rechts drängte, hätte es keinen Kandidaten Donald Trump gegeben. Aus der Tea Party wurde Trumps unerschütterliche Wählerbasis – jene gut 30 Prozent der Nation, die treu an seiner Seite stehen und aus denen sich dieser Protest speist.

Der Anführer dieses Kults wusste ganz genau, was er tat, als er vor einer Woche aus dem Weißen Haus seinen Segen erteilte: So knapp wie möglich, so klar wie nötig.

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Damit war besiegelt, es sind seine Leute. Wenn sich die Öffentlichkeit über Trumps Ruchlosigkeit empörte – umso besser.

Es ist eine politische Bewegung, in der Freiheit alles schlägt, auch die Freiheit, sich und andere zu gefährden. Diese Freiheit wird in Amerika von vielen verstanden und in der aktuellen Lage der neuen Massenarbeitslosigkeit, deren dramatische Folgen ich vergangene Woche beschrieben habe, ist solch ein Protest trotz der Spinner in den Reihen anschlussfähig für andere Bevölkerungsgruppen. Es ist also gut möglich, dass aus diesen kleinen, von konservativen Netzwerken organisierten Protesten etwas Größeres erwächst.

Für Trump sind die Demonstranten ein Geschenk: Nun verfügt er endlich wieder über die vermissten Bilder, die seine Anhänger und deren Mobilisierungsfähigkeit zeigen, wie es sonst vor allem seine wöchentlichen Wahlkampf-Großveranstaltungen vermochten. Ganz egal, was nun bei der Öffnung des Landes passiert. Trump hat in einem Sinne schon jetzt gewonnen.

Im schockgefrosteten Präsidentschaftswahlkampf gibt es nach Wochen wieder eine Optik, die dem Land zeigt: Seine Truppen stehen bereit. Komme, was wolle.

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