Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Österreichs Lichtgestalten Der ohne Meinung und der ohne Haltung
Morgen bekommt Peter Handke den Literaturnobelpreis. Was wird er sagen: zu seiner Poesie, zu seinen Jugoslawien-Texten? In der realen Politik bastelt Sebastian Kurz an seiner Koalition, zur Abwechslung mit den Grünen.
Ich bin mal wieder in Wien, wo es seit der Ibiza-Affäre und der Wahl so wenig spektakulär zuging, dass Österreich aus unseren Schlagzeilen herausfiel. Daran wird sich morgen etwas ändern, weil Peter Handke den Literaturnobelpreis überreicht bekommt, weil in Kürze die neue Koalition aus ÖVP und den Grünen gebildet wird und der unnachahmliche Heinz-Christian Strache an seinem Comeback arbeitet.
Handke gab am vorigen Freitag eine interessante Pressekonferenz, in der er mehrmals nach seiner Vorliebe für Milošević und die serbische Sache gefragt wurde. Die Antworten fielen so ausweichend aus, wie man sich denken konnte. Er sagte, er hätte gerne mit einer serbischen und einer muslimischen Mutter geredet, deren Söhne in den jugoslawischen Erbfolgekriegen ums Leben gekommen waren, aber sie wollten nicht. Ach, wirklich?
Natürlich fragten ihn die Journalisten, ob er heute noch an seinen Jugoslawien-Texten festhalte. Die Antwort fiel so aus: "Ich hatte nie eine Meinung, ich schreibe keine Meinung, ich hasse Meinungen. Ich mag Literatur."
- Tagesanbruch: Warum Peter Handke kein würdiger Preisträger ist
- Kommentar: Nobelpreis für Handke? "Bodenlose Abscheu!"
- Umstrittener Autor: Peter Handke mit Literaturnobelpreis ausgezeichnet
Ja, er mag Literatur, und von ihr handelte auch seine Nobelvorlesung am Samstag, bei der er erzählte, wie er zur Literatur gekommen sei, genauer gesagt zur Sprache, die er nicht nur beherrscht, sondern bereichert: Seine Mutter habe ihm Geschichten aus dem slowenischen Dorf erzählt, zum Beispiel von dem Sohn, der im Krieg ein paar Tage auf Urlaub nach Hause kommt und einen Brief bis zum Abschied für sich behält, in dem nämlich steht, dass der Bruder gefallen sei – gefallen, wie man damals sagte, als sei jemand gestolpert und nicht gestorben, jung und ohne ein Leben gehabt zu haben. Daran habe sich seine Phantasie entzündet, sagte Handke, diese Geschichten seien ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Die Vorlesung ist eingesponnen in sein frühes dramatisches Gedicht "Über die Dörfer". Das ist poetisch, hermetisch. Kein Wort fällt über das Politische, auf das er sich aus eigenem Antrieb in den neunziger Jahren einließ und dabei die Serben in Schutz nahm, die Hegemonialkriege führten und Verbrechen wie in der Stadt Srebrenica verübten. Ich bin wirklich gespannt, wie morgen seine Dankesrede für den Nobelpreis ausfallen wird. Nur poetisch? Unversöhnlich? Versöhnlich?
Der Kanzler hat die Qual der Wahl
Profaner geht es momentan in der österreichischen Politik zu. Sebastian Kurz hatte nach der Wahl am 29. September bei der Koalitionsbildung freie Wahl. Da war die SPÖ, die ähnlich angekränkelt ist wie die SPD in Deutschland. Eine Mehrheit boten ihm auch die FPÖ oder die Grünen. Er entschied sich für die Grünen, die 13 Prozent erreicht hatten und damit die kleinste der Koalitionskandidaten war und außerdem keine Erfahrung auf der Bundesebene besaß.
Seit mehr als einem Monat reden sie miteinander und wenig drang davon nach draußen, wie es drinnen zuging. Dann plauderte irgendjemand, natürlich anonym, und die "Kronen Zeitung", das politisierende Boulevardblatt, druckte entzückt die Indiskretion: Über wenig sei jetzt schon Übereinkunft erzielt, im Klimaschutz und bei den Menschenrechten und in der Sozialpolitik sei nichts fertig verhandelt. Zugleich stand da aber die Nachricht, am 16. Dezember werde die Regierung stehen.
Sebastian Kurz ist noch immer verdammt jung und überragt alle anderen mit seinem Geschick und seiner Flexibilität. An seinen Überzeugungen scheitert keine Koalition, denn er hat keine. Er überlebte den Strache-Skandal, konnte deswegen jedoch nicht mit der FPÖ weitermachen. Warum aber die Grünen? Sie eröffnen ihm den Vorteil, dass er seine progressive Seite nach der nationalkonservativen huldvoll entfalten kann.
Das Land wird an Sebastian Kurz noch lange seine Freude haben, ob es will oder nicht, und es wird auch nicht aus dem Staunen herauskommen, wozu er mir nichts, dir nichts imstande ist.
So probiert Österreich bald schon mal aus, worauf die Verhältnisse in Deutschland demnächst hinauslaufen könnten. Nur dass der Union die überragende Figur abhabend kommt und die Grünen sowohl im Regieren geübt sind als auch Spitzenkräfte mit Autorität besitzen. Mal schauen, was wir aus Österreich lernen können.
Einen Strache wird man so schnell nicht los
Heinz-Christian Strache ist singulär. An ihn reicht in Deutschland niemand heran, zum Glück. Die FPÖ ist froh und dankbar, dass sie ihn los ist. Die neue Doppelspitze Hofer/Kickl möchte ihn sogar aus der Partei ausschließen. Aber einen Strache wird man so schnell nicht los. Noch immer hat er seine Anhänger, die finden, dass er in Ibiza reingelegt worden sei und eine zweite Chance verdiene. Vielleicht gründet er aber auch seine eigene Partei und tritt mit ihr bei der Wahl in Wien im Jahr 2020 an.
Weniger erfolgreich war Strache bei dem Versuch, juristisch gegen den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" vorzugehen. Das Magazin und die Tageszeitung hatten das Video erhalten und veröffentlicht, in dem Strache seiner Phantasie in Ibiza freien Lauf ließ, wie er Österreich beherrschen und verändern würde. Den Größenwahn löste eine angebliche russische Oligarchin aus, die groß in Österreich einsteigen wollte, ökonomisch und politisch. Strache nannte das Ganze hinterher eine "b'soffene Gschicht".
- Kolumne: Neue SPD-Parteiführung – Selbstmord aus Angst vor dem Tod
- Literaturnobelpreis: Peter Handke, der Alleingänger
Im November hatte die Staatsanwalt in Hamburg das Ermittlungsverfahren gegen "Spiegel"-Leute eingestellt, die für die Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des Ibiza-Videos verantwortlich waren. Am Freitag folgte die Münchner Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren gegen die "Süddeutsche". Jeweils überwog das überragende öffentliche Interesse an der Berichterstattung, hieß es in der Begründung.
"Ibiza" ist übrigens das Wort des Jahres in Österreich geworden.