Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.November-Wahl in Amerika Trumps beste Wahlhelferin ist wiederum: Hillary Clinton!
Hillary Clinton kann es nicht lassen – sie mischt weiter mit. Ob das gut ist? Am 6. November geht es bei den Midterms auch darum, ob Trump Chancen auf eine zweite Amtszeit hat.
Morgens grabe ich mich immer durch die amerikanischen Zeitungen, das ist der schönste Anfang eines Tages, den ich mir vorstellen kann. Ich fange mit dem Sport an. Der Baseball ist schon in den Playoffs; mein Team, die Boston Red Sox, sind in diesem Jahr wieder bärenstark. Der Football ist in der siebten von siebzehn Runden; mein Team, die New England Patriots, liegen gut im Rennen. Für meine eigentliche Leidenschaft, den Basketball, hat die Saison erst vor einigen Tagen begonnen; da schaue ich auf junge Spieler wie Bill Simmons oder bekannte Könner wie Stephen Curry.
Dann suche ich in der Politik, was ich anderswo nicht finde. Die Tasse Kaffee leerte sich neulich allmählich, als ich in "The Atlantic" auf ein langes Meinungsstück stieß. Die Überschrift hob mich nicht aus dem Stuhl: "American democracy is in crisis." Gähn. Weiß doch jeder. Dann aber las ich, wer der Autor war, genauer gesagt die Autorin: Hillary Clinton.
Plötzlich hing ich nicht mehr im Sessel, sondern saß kerzengerade. Vermutlich stand mein Mund offen und ich glaube, ich habe laut gesagt: Das gibt’s doch nicht, das kann nicht sein. Ich wollte es einfach nicht glauben.
Keine Einsicht von Hillary Clinton
Lang und breit ließ sie sich darüber aus, welche Gefahr Donald Trump für die Welt bedeutet, was er alles falsch macht, wie er lügt, wie zersetzend er wirkt. Nicht, dass sie unrecht hätte. Aber ich finde, sie ist die Letzte, die recht haben darf, in ihrem unnachahmlichen Ton aus beleidigter Rechthaberei. Denn niemand anders als sie trägt die Schuld daran, dass Donald Trump Präsident ist.
Wenigstens hätte ich ein paar Worte der Entschuldigung erwartet: Tut mir leid, Leute, ich hab’s versaut. Ohne mich wäre dieser Typ nicht Präsident. Ich habe nicht alles falsch gemacht, aber vieles. Ich hätte nie und nimmer verlieren dürfen. Natürlich nicht so schnöde ehrlich, sondern in pompösen Hillary-Clinton-Sätzen, wie in Watte und Styropor.
Nichts davon. Kein Wort, kein Satz. Thomas Jefferson zitierte sie, auch John Adams und Benjamin Franklin, die Heroen der Gründerjahre der amerikanischen Republik eben. Natürlich ist das kein Zufall. In diesem Reigen fühlt sie sich zu Hause. Als historische Figur.
Wahlergebnisse könnten über zweite Amtszeit von Trump entscheiden
Offensichtlich ist sie noch immer felsenfest davon überzeugt, dass ihr zu Unrecht versagt blieb, wonach sie sich mit Leib und Leben sehnte. Alle waren schuld an der Niederlage, nur sie nicht, nein, ganz bestimmt nicht. Ich vermute, sie kann gar nicht anders. Sie ist wohl einfach so, ein Gebilde aus Heuchelei und Wirklichkeitsflucht. Wenn sie in den Spiegel schauen würde und dort die Wahrheit geschrieben stünde: Du hast uns Donald J. Trump eingebrockt – dann, ja dann würde sie vielleicht zusammenbrechen.
Am 6. November wählt Amerika. Das gesamte Repräsentantenhaus, exakt 435 Frauen und Männer, steht zur Wahl, dazu ein Drittel der Senatoren. Die Karten werden neu gemischt. Trump zieht schon seit Wochen durch die Lande und bläut seinen Anhängern ein, dass er keinesfalls die Mehrheit im Kongress verlieren dürfe, weil die Demokraten sonst seine wunderbaren Gesetze blockieren könnten und womöglich sogar ein Amtsenthebungsverfahren anstrengen würden.
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Trump liebt es, wenn sich die Welt um ihn dreht. Bist du für den Präsidenten oder gegen ihn: darum geht es in dieser Wahl, erbittert und feindselig. Trump ist ein Großmeister im Polarisieren und blüht darin auf. Er wird nicht müde, zu loben und zu pöbeln. Darin kann ihm niemand das Wasser reichen und die Demokraten schon gar nicht.
Hillary will nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken
Nun hat er eine Bundesgenossin, die es nicht merkt oder nicht wahrhaben will, wie sie wirkt: Hillary Clinton heizt die Republikaner an und demoralisiert die Demokraten. Sie hilft dem Feind und schadet dem Freund. Gut möglich, dass sie zum zweiten Mal Donald Trump zur Mehrheit verhilft.
Nachdem der Artikel erschienen war, hätte sie schweigen können. Denkste, tat sie nicht. Zuerst gab sie CNN ein Interview, in dem sie den demokratischen Kandidaten eine ihrer typischen Ratschläge erteilte: "Man kann nicht mit einer Partei zivilisiert umgehen, die zerstören will, wofür wir stehen, was uns wichtig ist."
Na, was will sie uns damit sagen? Dass Michelle Obama unrecht hat, wenn sie sagt: Wenn die Republikaner unter der Gürtellinie schlagen, dann halten wir erst recht an unserem Maßstab fest. In diesem selbstreferenziellen Zirkel der Großen bewegt sie sich, will sie sich weiterhin bewegen, gerade weil sie verloren hat. Sie giert nach Bedeutung, sie will mitmischen, darum geht es und um sonst nichts.
Dann gab sie auch noch CBS ein Interview, das es wirklich in sich hat. Natürlich wurde Hillary Clinton gefragt, wie sie heute über die Affäre ihres Mannes mit Monica Lewinsky denke. Wir leben in #MeToo-Zeiten. Vielleicht ist der eine oder andere Zeitgenosse ins Grübeln geraten und denkt heute anders als vor 20 Jahren, auch über Frauen wie Monica Lewinsky, die seither gebrandmarkt ist, für ihr ganzes Leben. Sie ist das Opfer der Clintons.
Nichts gelernt aus #MeToo
Hillary gehört nicht zu den Grüblern. Sie wüsste nicht, was sie sich vorzuwerfen hätte, da sie ja ohnehin alles richtig gemacht hat, gab sie zu erkennen. Die Lewinsky sei damals erwachsen gewesen, sagte sie. Mehr fiel ihr nicht ein: der Feministin, der Frauenrechtlerin, der Moralistin. Nichts über das Machtgefälle zwischen dem Präsidenten und einer Praktikantin. Nichts über Missbrauch. Bill Clintons Überschreiten der Wahrheitsgrenze war nach ihrer Meinung kein Grund zum Rücktritt, niemals. Im Übrigen, das war ihre Botschaft, sollten sich die Journalisten über die zahllosen Affären des amtierenden Präsidenten echauffieren. Da gebe es mehr Gründe.
Donald Trump hat Affären mit Schweigegeld aus der Welt bringen wollen, was ihm nicht gelungen ist. Er machte unflätige Bemerkungen und brüstete sich, er könnte jeder Frau zwischen die Beine fassen, er sei ein Star. Er tut gar nicht erst so, als bereue er irgendetwas und keiner erwartet es von ihm. Wenigstens moralisiert er nicht auch noch herum. Er ist, wie er ist.
Auch Bill Clinton hat Affären mit Schweigegeld aus der Welt gebracht, was ihm nicht gelungen ist. Er hat die bemerkenswerte Formel gebraucht: Ich habe mit dieser Frau, Ms. Lewinsky, keinen Sex gehabt. Technisch ist der Blowjob kein Sex, aber der feinsinnige Unterschied, den dieser Präsident Clinton damals öffentlich machte, wirkt aus heutiger Sicht noch tückischer, noch gemeiner, noch obszöner als damals.
Die "New York Times" urteilte über Hillary Clintons Rechtfertigung ihres Mannes bei maximaler moralischer Empörung über die Sünden des Präsidenten in einem schonungslosen Kommentar: "Dass Donald Trump ein Schwein ist und mutmaßlich ein sexueller Triebtäter, entschuldigt keineswegs, dass Bill Clinton ein Schwein ist und mutmaßlich ein sexueller Triebtäter."
Demokraten setzen auf Frauenpower
Bei der Wahl am 6. November entscheiden die Frauen darüber, ob Trumps Mehrheit im Kongress aufrechterhalten bleibt oder ob die Demokraten die Dinge drehen können. Siegt Trump, hat er beste Chancen auf Wiederwahl in zwei Jahren. Siegen die Demokraten, ist das Spiel wieder offen und vieles möglich. Nur eines bleibt mit Sicherheit erhalten: dieses scheußliche Freund-Feind-Denken, diese schreckliche Polarisierung, das Erbe der Clintons und Trumps.
Die Demokraten haben verstanden, worin ihre besten Aussichten liegen: Sie schicken 183 Frauen ins Rennen um die Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus – so viele wie noch nie. Und in den Tagen von #MeToo dürften sich mehr Frauen als sonst registrieren lassen und wählen gehen. Es könnte die höchste Wahlbeteiligung von Frauen in der Geschichte Amerikas sein. An ihnen hängen die Mehrheitsverhältnisse im Kongress.
Eine Botschaft an Donald Trump, das wär’s doch: Du bist kein Star mehr, sieh dich vor. Und dazu eine überfällige Botschaft an die Clintons: Ihr seid draußen, eure Zeit ist vorbei, belästigt uns nicht mehr.
Es geht um viel, am 6. November.