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Hitler vereinfachte sein Denken


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Thomas Mann
Hitler vereinfachte sein Denken

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 25.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Thomas Mann: Der deutsche Schriftsteller schrieb aus dem Exil gegen den Hitler-Faschismus an.Vergrößern des Bildes
Thomas Mann: Der deutsche Schriftsteller schrieb aus dem Exil gegen den Hitler-Faschismus an. (Quelle: dpa)

Intellektuelle im Umkreis der AfD berufen sich ebenso auf Thomas Mann wie liberale Demokraten – beide zu Recht. Der große deutsche Schriftsteller definierte sich als "Unpolitischer", bis ihm die "Nazi-Bestie" das Politische eintrieb.

Am Schreibtisch, groß und geräumig, schrieb er den "Doktor Faustus" und auch die Radioansprachen an die "deutschen Hörer". Auf dem hellen Sofa ließen sich die Tintenflecken nicht mehr entfernen, aber das war egal. Der Teewagen diente als Ablage, der Arbeitsstuhl war gepolstert, und sein Blick fiel auf die wunderschöne Palme vor dem Fenster. Seine Kinder nannten ihn "den Zauberer", und das schöne Haus am San Remo Drive in den Hügeln von Santa Monica war die "San Remi": 485 Quadratmeter, fünf Schlafzimmer, Garten.

Thomas Mann ließ es nach seinen Wünschen und Vorstellungen bauen, wie es in seinem Leben immer nach ihm gehen musste. Seine Frau Katia und die Kinder machten sich lustig über ihn und nahmen Rücksicht auf ihn, auf sein Werk, auf die Romane und Novellen, in denen mancher von ihnen unfreiwillig auftrat, episch verwandelt. Zehn Jahre lang lebten sie hier, von 1942 bis 1952.

Steinmeier rettete die Villa vor dem Verfall

Das Haus im Westen von Los Angeles bewohnten seither andere Familien und veränderten es nach ihren Bedürfnissen. Vor zwei Jahren stand es zum Verkauf. Die Termiten hatten sich darüber hergemacht, es war uralt und unmodern nach kalifornischen Maßstäben. Es wäre wohl abgerissen worden, wenn nicht der deutsche Außenminister – er hieß Frank-Walter Steinmeier – darauf aufmerksam geworden wäre.

13 Millionen Dollar machte er locker und sorgte für Mobiliar und Flair wie zu Thomas Manns Zeiten. Vor einer Woche weihte er das Haus als Residenz für Stipendiaten und als kulturelle Begegnungsstätte ein, diesmal in seiner Eigenschaft als Bundespräsident. Dabei hielt er eine Rede über die Demokratie und ihre Gefährdung, damals wie heute, die nicht nur mir, sondern auch meinem Lieblingsmagazin "New Yorker" auffiel.

Es stimmt ja wirklich, dass Thomas Mann erstaunlich aktuell ist. Denn er war nicht nur der Großschriftsteller, der seinem Säulenheiligen Goethe nacheiferte, sondern auch ein Mensch, der über seine Zeit nachdachte und Erhellendes schrieb: über den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik und die "Nazi-Bestie", wie er Hitler nannte. Bemerkenswert an diesen Schriften ist, dass sich die Intellektuellen im Umkreis der AfD wie auch liberale Demokraten auf ihn berufen können. Der Grund liegt darin, dass es politisch nach und nach mehrere Thomas Manns gegeben hat.

Die neue Rechte liest zustimmend, was Thomas Mann in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" schrieb. Sie stehen in einem dicken Band von 600 Seiten, die er im Ersten Weltkrieg anhäufte. Dass er sich einen Unpolitischen nennt, ist programmatisch, denn das Politische – die Parteien und die Parlamente, den Sozialismus und den Liberalismus – verachtet er in dieser Phase, weil es versucht, "das Leben um allen Ernst, alle Würde, alles Schwere und Verantwortlichkeit zu bringen". Der Vorwurf traf die Gegner der Todesstrafe genauso wie die Gegner des Krieges. Der Krieg ist für ihn "Veredelung" und "Verfeinerung" des Menschen angesichts des Todes.

Der interessanteste Denker im Hintergrund der AfD

Das Anpreisen des Krieges als Stahlgewitter für den heroischen Menschen, unverbildet durch die Moderne, findet sich auch bei Ernst Jünger, bei Oswald Spengler oder bei Moeller van den Bruck. Das sind die Säulenheiligen, auf die sich die neue Rechte beruft. Ihr Zentralorgan ist die Zeitschrift "Sezession", ihre Bücher erscheinen im Antaios-Verlag. Der Verleger ist ein Mann namens Götz Kubitschek, der auf einem Rittergut in Schnellroda in Sachsen-Anhalt lebt. Er ist der interessanteste Denker im Hintergrund der AfD und ein Stichwortgeber zum Beispiel für Björn Höcke, der über die Abschaffung des Deutschtums durch muslimische Flüchtlinge schwadroniert.

Thomas Mann blieb nach dem Ersten Weltkrieg nicht unpolitisch, er häutete sich, aus ihm wurde ein Vernunftrepublikaner. Dazu machten ihn die chaotischen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg mit Revolution und Gegenrevolution, mit Morden und Straßenschlachten. Im Bürgertum gab es damals eine Minderheit, die aus rationalen Überlegungen die Weimarer Republik verteidigte, weil die Alternative Nationalsozialismus oder Kommunismus war. Thomas Mann war einer davon.

Schon im Februar 1933 emigrierten die Manns über die Tschechoslowakei, die Schweiz und Frankreich nach Amerika. Dort war Thomas Mann neben Albert Einstein der berühmteste Exil-Deutsche. Er hielt Vorträge, er wurde im Weißen Haus von Franklin Delano Roosevelt empfangen, der ihm mächtig imponierte. Er sagte, der Präsident sei ein moderner Dompteur der Massen, der das Gute wolle.

In Amerika ist Thomas Mann zum demokratischen Patrioten geworden. Hitler vereinfachte sein Denken. Hitler lehrte ihn das klare Nein, den klaren, tödlichen Hass. Er treibt ihm das Unpolitische aus und das Politische ein. Thomas Manns Leitbild war fortan Amerika.

Italien ist wieder Vorbild für die deutschen Rechten

Heute kann die neue deutsche Rechte mit dem unpolitischen Thomas Mann viel anfangen. Ihre Wurzeln liegen im antidemokratischen Konservatismus der Weimarer Republik. Sie umgehen Hitler, sie nennen die zwölf Jahre pflichtschuldig schrecklich, das wenigstens. Sie finden Mussolini gut, von dem Hitler die heroischen Gesten, die Uniformen und die Massenchoreografie abschaute. Die Rechte regiert heute Italien und ist damit ein Vorbild für die deutschen Brüder.

Mit dem demokratischen Patrioten Thomas Mann schmückte sich die deutsche Nachkriegsdemokratie. Sie überhäufte ihn mit Ehrungen und Lobpreisungen. Thomas Mann aber traute ihr nicht recht, weil so viele Mitläufer und auch Mittäter dabei waren und mitmischen durften.

Als er 1952 nach Europa zurückkehrte, blieb er auf Sicherheitsabstand zur kurz zuvor gegründeten Republik. Er zog auf den Kilchberg oberhalb von Zürich, wo er 1955 starb, 80 Jahre alt.

Dort liegt er auch begraben: Ein deutscher Großschriftsteller des 20. Jahrhunderts, repräsentativ noch in seinen Irrtümern und seiner Selbstbesinnung.

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