SPD ringt mit sich und ihrem Chef Die tollen Tage von Berlin
Auf die SPD soll es jetzt ankommen, aber was will sie? Neuwahlen oder Tolerierung einer Minderheitsregierung oder noch eine Große Koalition? Darüber entscheidet der interne Machtkampf, der schon ausgebrochen ist.
Eine Analyse von Gerhard Spörl
Mit ein bisschen Sinn für Dialektik lassen sich die tollen Tage in Berlin ertragen. Heute Nachmittag sitzen sich zwei Sozialdemokraten mit diametral entgegen gesetzten Interessen gegenüber. Der eine ist Bundespräsident mit einer Vorliebe fürs Gouvernementale. Der andere ist ein Parteichef, eigentlich auch aufs Regieren gepolt, der sich aber inbrünstig auf Neuwahlen festgelegt hat.
Plötzlich soll alles Weitere von der SPD abhängen, die am Scheitern der Jamaika-Sondierungen nun wahrlich unschuldig ist. Lindner-Bashing war gestern und ist rasant vorbei gerauscht. Gut so, denn auch anderen ist wieder eingefallen, zum Beispiel Robert Habeck, dass die Verhandlungen ständig vor dem Scheitern standen, während Jürgen Trittin, ein geübter Verschwörungstheoretiker, noch von einem Ausstieg von langer Hand munkelt – fehlt nur noch: die FDP als Vaterlandsverräter.
SPD: Drei Parteien mit gleichem Namen
Nun also alle Augen auf die SPD. Auf welche SPD aber? Es gibt drei gleichen Namens. Die eine SPD will es auf sich nehmen, wieder eine Große Koalition einzugehen, aus Staatsraison, sehr ehrenwert. Die zu billigende Folge wäre, dass Martin Schulz nicht nur überlebt, sondern ins Kabinett eintritt, so dass Andrea Nahles die schöne Rolle als Chefin der größten Oppositionspartei genommen würde.
Die andere SPD möchte lieber eine Minderheitsregierung aus CDU und CSU tolerieren, was die unschöne Funktion als Mehrheitsbeschafferin für die Kanzlerin einschließt, denn darauf liefe es ja hinaus. Dann könnte Andrea Nahles den Vorsatz, es gebe was auf die Fresse, nicht verwirklichen, sondern wäre die Organisatorin der Machterhaltung für die Bundeskanzlerin.
Die dritte SPD hält es mit Martin Schulz: Neuwahlen! Aber mit welchem Spitzenkandidaten/-in tritt sie dann an? Mit dem Wahlverlierer vom letzten Mal? Vorher sollte sie noch mal Markus Feldenkirchens Reportage im „Spiegel“ lesen und sich die Frage stellen: Können wir ihm das antun oder müssen wir ihm was antun? Und wäre Andrea Nahles wirklich die Alternative, die ihre Partei zum Lichte führt: zu 25 + X-Prozent?
Kompromisse sind der Königsweg der Demokratie
Kompromisse sind nun gefragt, da hat der Bundespräsident Recht. Kompromisse sind der Königsweg der Demokratie. Von Kompromissen war in bewegten Worten die Rede beim Rückblick auf die Jamaika-Sondierungen: zwischen Grünen und CDU, aber auch CSU, die sich sogar menschlich bis zum Umarmen näher kamen. Das ist weiß Gott nicht zu verachten, aber zu welchem Zweck wäre ein Abkommen geschlossen worden und welche Überschrift hätte eine Regierung für die zahllosen Kompromisse gefunden?
Kompromisse können auch lau ausfallen, wenn es an Ehrgeiz oder der Möglichkeit fehlt, dass sie klüger sind als die ursprünglich gegensätzlichen Positionen. Vermeiden lässt sich das Laue, wenn die Verhandler vorneweg ein paar entscheidende Fragen stellen: Was wäre das Beste für das Land? Was hat Vorrang, was ist auch wichtig, wie nennen wir das Unternehmen? Ich weiß, das klingt arg nach Volkshochschule, aber richtig und wichtig bleibt es doch. Christian Lindner hätte sich Verdienste erwerben können, wenn er seinen Verhandlungsausstieg gleich mit dem Mangel an übergeordneter Klarheit begründet hätte. Hat er nicht und deshalb war er für zwei Tage Freiwild, aber das ist jetzt vorbei, und jetzt geht es genauso weiter wie zuvor.
Wahrscheinlich sind wir alle Merkel-Geschädigte: Nicht das Wichtigste zuerst, sondern mit dem Prozess anfangen, der sich dann schon von selber seinen Weg bahnt und zu einem Ziel führt, das nachträglich notdürftig definiert wird. Aber diese Methode hat uns das Wahlergebnis im September eingebracht, mit dem wir uns auf unabsehbare Zeit herumschlagen müssen.
Und wer zieht jetzt die Konsequenzen daraus?