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CDU-Politiker und Urgestein Heiner Geißler ist tot


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Zum Tod von Heiner Geißler
Moralist, der sich Freiheit von der Moral nahm

Gerhard Spörl, t-online.de

Aktualisiert am 12.09.2017Lesedauer: 3 Min.
Heiner Geißler ist im Alter von 87 Jahren gestorben.Vergrößern des Bildes
Heiner Geißler ist im Alter von 87 Jahren gestorben. (Quelle: Uwe Anspach/dpa-bilder)

Heiner Geißler war klug, geistig unabhängig und stets unbequem. t-online.de-Kolumnist Gerhard Spörl erinnert an einen der Großen der Bundespolitik.

Er sah schon lange aus wie ein Indianer, verschmitzt, immer braungebrannt, leicht gebeugt, ein Outdoor-Man, der auf die Berge stieg und Paragliding liebte. Die Welt von oben sehen, Anlauf nehmen und sanft hinunter gleiten: Was gibt es Schöneres? Einmal ist es ihm misslungen, daran ist er fast gestorben.

Heiner Geißler war ein unabhängiger Mensch, auf den man sich verlassen konnte, aber nur zu seinen Bedingungen. Er liebte die Politik, doch war ihm auch bewusst, dass sie nicht in Parteienpolitik aufgeht. Mehr noch faszinierte ihn das Politische, die tastenden Bewegungen in der Gesellschaft, die Veränderungen in der kollektiven Haltung und Mentalität, die Berufspolitiker fast immer verspätet erkennen und dann überhastet aufgreifen oder bekämpfen.

Er war aber auch ein Triebtäter, den man sich nicht zum Feind wünschte, denn er war dazu fähig, in Freund-Feind-Kategorien zu denken, ein Carl Schmitt der Siebzigerjahre. In einer seiner finsteren Stunden nannte er die SPD die fünfte Kolonne Moskaus. Darauf musste man erst einmal kommen, zu Lebzeiten Willy Brandts und Helmut Schmidts. Kein Wunder, dass Willy Brandt ihn postwendend den größten Hetzer seit Goebbels nannte. Geißler stellte auch eine Liste mit Sympathisanten der RAF auf, die an Absurdität nicht zu überbieten war.

Ich habe nie herausbekommen, ob solche Wutattacken reine Kopfgeburten waren oder tiefer Überzeugung entsprachen. Ich habe ihn öfter danach gefragt, weil es mich wirklich interessierte. Er verfiel dann ins Monologisieren, warum er im Recht sei, auch wenn es momentan keiner einsähe. Ich habe ihm zugehört und immer nur gedacht: Meinst du das jetzt ernst? Beim langen Reden hat er verschmitzt gelächelt, denn im Grunde war es ihm egal, was wir Journalisten von ihm hielten. Er hatte sein Ziel erreicht. Alle Welt diskutierte über seine widerwärtigen Sätze. Was wollte er mehr.

Gelübde nicht abgelegt

Heiner Geissler fielen Sätze ein, die keinem anderen eingefallen wären, darauf konnte man sich verlassen. Er war ein Moralist, der sich Freiheiten von der Moral nahm. Seine Verächter wiesen wissend darauf hin, dass er ja eine jesuitische Schul- und Universitätsausbildung genossen hatte. Ich fand nicht, dass sich damit viel erklären ließ. Er war ja auch ein Renegat und hatte das Gelübde als Novize nicht abgelegt. Ihm ging es einzig allein darum, die Regierung Schmidt weidwund zu schießen und Helmut Kohl zum Kanzler zu machen.

Kohl verdankte Geißler viel. Er hat es zugegeben, er hat ihm Raum gelassen, wahrscheinlich dachte er sich: Bändigen kann ich ihn eh nicht und so lange er mir nützlich ist, bringt er mich vielleicht zur Weißglut, aber was soll’s.

Geißler organisierte die Rebellion

Das Maß an Misstrauen nahm jedoch bald zu. Der Generalsekretär versammelte junge, unorthodoxe Leute um sich, die in den aufkommenden Grünen nicht nur die übel riechenden Linksradikalen sahen, sondern erkannten, dass Umweltschutz und der Ausgleich von Ökologie und Ökonomie ernst zu nehmen waren. Es gärte in der Gesellschaft und eigentlich war der Gegensatz zwischen Konservativ und Grün nicht klaftertief. Sollte die CDU da nicht hellhörig sein? Geißler fand: ja. Kohl fand: nein.

1989 kam es zum Zerwürfnis auf einem der spannendsten Parteitage, die es je in Nachkriegsdeutschland gegeben hat. Geißler organisierte die Rebellion. Lothar Späth (erinnert sich noch jemand an den?) sollte Kohl, den glücklosen, affärenaffinen Kanzler ablösen. Da schlug die Geschichte zu und Helmut Kohl half dabei. Gyula Horn war ein Freund. So öffnete Ungarn zu Parteitagsbeginn die Grenzen für die Flüchtlinge aus der DDR. Helmut Kohl unterrichtete seine Parteifreunde von dem Ereignis.

Zurück zur Radikalität

Das Undenkbare war plötzlich denkbar: die Wiedervereinigung. Putsch? Nicht mehr daran zu denken. Kohl blieb Kanzler, blieb Kanzler, blieb Kanzler. Er löste seinen Generalsekretär ab und beendete eine schwierige Freundschaft.

Im Alter kehrte Heiner Geißler zu seinem Ursprung zurück, zur Radikalität. Er schloss sich im Jahr 2007 Attac an und nutzte Talkshows zur wortgewaltigen Kritik an der Globalisierung. Ob ihm klar war, dass sich dagegen auch von rechts polemisieren lassen würde? Für seine Generation ist es ein Albtraum, dass sich jenseits der Union eine eigene Gruppierung mit ökonomischem und ethnischem Nationalismus gebildet hat. Fleisch vom Fleisch der CDU.

Was bleibt? Das Unbequeme, die Unabhängigkeit, ein Leben voller Widersprüche, was denn sonst, aber in entscheidenden Phasen geradlinig. Dass da einer war, der hinhörte, wenn es in der Gesellschaft, wie seit Jahren in unserer, gärte und brodelte und der verstehen wollte, was da vor sich ging. Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen.

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