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Der deutsche Corona-Selbstbetrug: Sind wir erfolgreicher als andere Länder?


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Erfolgreicher als die anderen?
Der deutsche Corona-Selbstbetrug

Von Maximilian Kalkhof

Aktualisiert am 03.11.2020Lesedauer: 4 Min.
Bitte den Mund aufmachen: Wie hier in Liuzhou testet China konsequent auf das Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Bitte den Mund aufmachen: Wie hier in Liuzhou testet China konsequent auf das Coronavirus. (Quelle: imago-images-bilder)

Deutschland glaubt noch immer, besser als andere durch die Pandemie zu kommen. Das stimmt aber nur im Vergleich zu Ländern, die im Kampf gegen Corona versagen. An den erfolgreichsten Staaten gemessen, ist die Bilanz ernüchternd.

Der Wirtschaftsminister wollte zuversichtlich klingen. Schließlich hatte Peter Altmaier (CDU) verhältnismäßig gute Nachrichten zu verkünden, als er am Freitag die Herbstprojektion der Bundesregierung vorstellte.

Im dritten Quartal wuchs die deutsche Wirtschaft überraschend um mehr als acht Prozent gegenüber dem Vorquartal. Vor diesem Hintergrund rechnet die Bundesregierung für 2020 nur noch mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,5 Prozent. Zuvor war sie davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsleistung noch stärker schrumpfen werde.

"Deutschland ist bislang besser durch die Krise gekommen als viele andere Länder", sagte der Wirtschaftsminister, "weil wir während der ersten Welle der Pandemie gemeinsam und entschlossen gehandelt haben".

Es ist ein Satz, der vor Stolz und Selbstlob strotzt. Einer, der nicht falsch ist, wenn man sich mit den Verlierern der Pandemie vergleicht – den westlichen Nationen, die in der Krise ein schwaches Bild abgeben, also etwa den USA, Frankreich und Großbritannien.

Aber es ist ein Satz, dessen Hochmut an Lächerlichkeit grenzt, wenn man sich mit den Siegern der Pandemie vergleicht – also jenen Nationen, die die Pandemie wirklich erfolgreich bekämpft haben, also vor allem Ländern in Ost- und Südostasien.

Das einzig Positive aus deutscher Sicht: Ein Lockdown wirkt

Schaut man sich etwa Statistiken der Webseite "Our World In Data" an, einem Projekt des gemeinnützigen "Global Change Data Lab", sticht es sofort ins Auge. Man kann sich dort die tägliche Zahl der bestätigten Neuinfektionen je einer Million Menschen anzeigen lassen. Wer Deutschland mit den Ländern China, Südkorea, Taiwan und Vietnam vergleicht, sieht: Seit Mitte März, also bereits seit der ersten Welle, macht Deutschland eine schlechtere Figur – und zwar konstant.

Guckt man sich die Zahlen an, fällt die riesige Lücke sofort auf: Seit dem Ausbruch der zweiten Welle Ende September steigen die Zahlen in Deutschland rasant. Zuletzt lag der Wert pro einer Million Einwohner bei mehr als 150. In Südkorea waren es Ende Oktober dagegen nur knapp über zwei, in China, Taiwan und Vietnam sogar unter eins. Mehrere asiatische Länder, in denen das Coronavirus im Frühjahr zuerst ausgebrochen ist, haben es de facto besiegt.

Das einzig Positive aus deutscher Sicht: Ein Lockdown wirkt. Anfang April begann der deutsche Wert zu sinken, im Juni sogar auf unter vier. Doch seitdem steigt er wieder.

Es ist, als gäbe es auf dem Planeten Erde mehrere Welten. Denn auch viele Länder in Afrika haben die Pandemie in den Griff bekommen, Kenia, Ghana und Ruanda zum Beispiel. Als Vorbilder für andere Staaten werden sie allerdings nur selten genannt.

An Deutschland ist das Erstaunliche: Nicht nur Wirtschaftsminister Altmaier glaubt, das Land gut durch die Pandemie zu führen. Auch international bekommt die Bundesrepublik immer wieder gute Noten für ihre Bekämpfung der Pandemie.

Im April lobte ein Artikel des "Wall Street Journal" die Vorzüge der deutschen Pandemiebekämpfung im Vergleich zu den USA, Frankreich, Italien und Spanien – ohne zu erwähnen, dass die Sterblichkeitsrate je Million Menschen in Deutschland mehr als 100 Mal höher lag als in Taiwan und mehr als zehn Mal höher als in Südkorea.

Und als der britische Premier Boris Johnson im Juni behauptete, dass kein Land der Welt eine funktionierende App zur Kontaktverfolgung entwickelt habe, erwiderte der Labour-Politiker Keir Starmer, dass Deutschland über eine solche App verfüge – und verwies auf damals zwölf Millionen Downloads. Was er nicht sagte: Die Zahl der Downloads sagt wenig bis nichts über die Wirksamkeit der App aus.

"Der Erfolg dieser Länder sollte unsere Inspiration sein"

Jemand, der sich mit den Vorzügen der asiatischen Pandemiebekämpfung beschäftigt, ist Jeffrey Sachs. Der Ökonom unterrichtet an der Columbia University in New York. Zudem ist Sachs Sonderberater der "Millenniums-Entwicklungsziele" der Vereinten Nationen. Der Amerikaner denkt von Berufs wegen in globalen Zusammenhängen. Im Juni schrieb er für CNN einen Kommentar mit dem Titel "Was asiatische Nationen über die Bekämpfung von Covid-19 wissen". Uns hat er Fragen per Mail beantwortet.

Weder die USA noch Europa hätten von den Stärken der asiatischen Pandemiebekämpfung gelernt, meint Sachs – also vom großflächigen Testen, von der konsequenten digitalen Kontaktverfolgung sowie von der strikten Quarantäne. Hinzu kämen Mentalitätsunterschiede. In asiatischen Gesellschaften würden Verhaltensweisen als akzeptabel gelten, die die Pandemie eindämmen, etwa das Tragen von Masken, das Abstandhalten und der Verzicht auf Großveranstaltungen. In den USA und Europa hingegen, so Sachs, tue man sich damit schwer.

Bereits im März schrieb der langjährige China-Korrespondent und Pulitzer-Preisträger Ian Johnson in der "New York Times" einen Artikel, in dem er sich fragte, warum der Westen in den zwei Monaten, die die Seuche gebraucht hatte, um sich von China in den Westen zu verbreiten, nichts aus den dortigen Erfahrungen gelernt habe. Seine Antwort: Der Westen nehme China als so "anders" wahr, dass er nicht sehe, dass man von dem Land lernen könne. Ein ähnliches Wahrnehmungsmuster, so kritisieren Beobachter, gelte für ganz Asien.

So weit geht Sachs in seiner Kritik nicht. Er macht die Unbelehrbarkeit der Unterstützer des US-Präsidenten für den Tunnelblick verantwortlich. "Die USA lernen einfach nicht von anderen", schreibt er, "oder zumindest Trumps Teil der USA lernt nicht von anderen". Bei der Präsidentschaftswahl in dieser Woche setzt Sachs deswegen auf den Demokraten Joe Biden. "Es wird einen großen Unterschied machen, wenn Biden gewählt wird", schreibt er.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Webseite Our World in Data
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