Eskalation in Syrien Grünen-Chefin droht Putin
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Krieg in Syrien eskaliert, die Diplomatie läuft ins Leere. Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert zu tun, was jetzt noch möglich ist – im Zweifel mit harten Mitteln.
Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert angesichts der Eskalation des Krieges in der syrischen Region Idlib sofortige Hilfe für die Menschen und stärkeren Druck auf Russland. "Dass die russische Regierung gestern Nacht im UN-Sicherheitsrat im Lichte dieser humanitären und menschlichen Katastrophe erneut eine Feuerpause blockiert hat, ist eine Schande", sagte Baerbock t-online.de.
Der Konflikt zwischen der syrischen Regierung mit deren Schutzmacht Russland und der Türkei war am Donnerstag eskaliert, als bei einem Luftangriff in Idlib mindestens 33 türkische Soldaten getötet wurden. Eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats in der Nacht auf Samstag hatte zunächst keine Entspannung gebracht. Die Türkei griff in der Region anschließend Lagerhäuser mit Chemiewaffen sowie Luftabwehrsysteme und Landebahnen an, wie Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete.
"In diesem Krieg gibt es keine gute Seite"
"Die Lage in der Region Idlib ist katastrophal, Frauen und Kinder sind eingekesselt, leiden unter Hunger und Kälte, Bomben und Gewalt", sagte Baerbock. Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten würden rücksichtslos und vorsätzlich bombardiert. "In diesem Krieg gibt es keine gute Seite, von Einhaltung des humanitären Völkerrechts ganz zu schweigen."
Nun müssten "kurzfristig wenigstens die Maßnahmen ergriffen werden, die in dieser desaströsen Situation überhaupt noch möglich sind", forderte Baerbock. Die Europäische Union und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron müssten "alles dafür tun", dass es zu einer Vierer-Syrienkonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin komme.
Baerbocks Forderungen
Vier Dinge müssen auf diesem Gipfel aus Sicht der Grünen-Chefin sichergestellt werden. Es müssten, erstens, sofort "humanitäre Zugänge" in die Region Idlib geschaffen werden. Die Menschen bräuchten unmittelbar jetzt Nahrungsmittel, Medizinprodukte, Zelte, Decken und Kraftstoffe zum Heizen. Zudem müsse, zweitens, ein "humanitärer Korridor" geschaffen werden, damit es für die Flüchtlinge "ein Mindestmaß an Schutz" gebe.
Drittens forderte Baerbock, dass sowohl der syrische Machthaber Baschar al-Assad als auch Putin "die Bombardierung und Angriffe auf Zivilisten unverzüglich einstellen" und dass "die türkischen Streitkräfte die Kooperation mit den Dschihadisten beenden und sich zurückziehen".
Die Grünen-Chefin will Putin, viertens, mit Sanktionen drohen. "Wenn Russland weiter bombardiert, das humanitäre Völkerrecht mit Füßen tritt und weiterhin den UN-Sicherheitsrat und eine Waffenruhe blockiert, darf die EU nicht davor zurückschrecken, individuelle Sanktionen wegen der Kriegsverbrechen in Syrien zu verhängen", sagte sie. In einem ersten Schritt denkt Baerbock dabei an das Einfrieren von Konten und Einreiseverbote für russische Staatsbürger, die an Kriegsverbrechen in Syrien beteiligt seien. Solche Sanktionen gebe es bisher nicht. "Ohne die Bereitschaft zu individuellen Sanktionen läuft aber jeder Druck gegen Russland ins Leere."
Sorge vor offenem Krieg wächst
Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in Syrien. Die Türkei unterstützt in dem Konflikt islamistische Rebellen. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie eigentlich ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten. Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen waren Truppen der syrischen Regierung jedoch mit russischer Unterstützung weiter vorgerückt.
Mit den türkischen Vergeltungsangriffen wächst die Sorge vor einem Krieg des Nato-Mitglieds Türkei mit Syrien und dessen Schutzmacht Russland weiter. Die EU hatte ein sofortiges Ende der Eskalation gefordert. Es gebe das Risiko einer "größeren, offenen internationalen militärischen Konfrontation", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa