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Unicef: 30 Jahre Kinderrechte – "seltener Moment globaler Einigkeit"


30 Jahre Kinderrechte
Klimawandel ist ein tödlicher Krieg gegen die junge Generation

Meinung
Aktualisiert am 20.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Streik fürs Klima: Jugendliche protestieren vor dem UN-Hauptquartier in New York für den Klimaschutz.Vergrößern des Bildes
Streik fürs Klima: Jugendliche protestieren vor dem UN-Hauptquartier in New York für den Klimaschutz. (Quelle: UNICEF/UN0340764/Nesbitt)
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Kinder haben Rechte – eine 30 Jahre alte Erkenntnis, die noch immer nicht selbstverständlich ist. Ein Gastbeitrag von Christian Schneider, Unicef-Geschäftsführer in Deutschland.

Einer der wenigen Vorteile, wenn wir älter werden, ist wohl, dass wir weit zurückschauen können. Zum Beispiel 30 Jahre. Um dabei ganz ehrlich zu sein, auch wenn es mir nach langem Unicef-Einsatz etwas unangenehm ist: Im Herbst 1989 hatte ich die Geburtsstunde der UN-Konvention über die Rechte des Kindes gar nicht im Blick. Die Mauer fiel, das Apartheidsystem kollabierte – und mein erstes Semester als Student hatte begonnen. Viele Veränderungen also, politisch wie persönlich. So viele, dass ich auch die zeitgleich stattfindende Entstehung des World Wide Web, ohne das ich diesen Beitrag gar nicht veröffentlichen könnte, kaum bemerkte. Und die Kinderrechte, nun ja, sie machten keine großen Schlagzeilen.

30 Jahre später, im Herbst 2019, ist klar: Was Diplomaten aus aller Welt damals in trockene Zeilen gossen und die Mitgliedsstaaten der UN als Konvention verabschiedeten, war, im Windschatten der enormen politischen Umwälzungen, eine stille Revolution. Eine Revolution, die sich auf das Leben von Millionen Kindern auswirken sollte. Dieser Text hat unsere Wahrnehmung von Kindern und Kindheit verändert und unsere, meine eigene Arbeit bei Unicef geprägt, trotz meiner anfänglichen Ignoranz.

Heute frage ich mich: Würde ein solches Dokument, in dem Kinder über alle Staatsgrenzen hinweg als Träger eigener Rechte anerkannt werden, als Menschen, denen die Regierungen verpflichtet sind, um ihre Entwicklung, ihren Schutz und ihre Beteiligung an Entscheidungen zu sichern, würde ein solcher Vorschlag in unseren aufgeheizten, erratischen, kompromisslosen politischen Zeiten eine Mehrheit finden?

Es war ein seltener Moment globaler Einigkeit, der dieses große Versprechen an die Kinder der Welt ermöglichte. Das macht mir bis heute Mut: Offenbar traut sich kaum eine Regierung, sich den Rechten der Kinder in den Weg zu stellen. Kaum ein anderes völkerrechtliches Dokument der Vereinten Nationen fand so viele Unterzeichner. Darauf kann man aufbauen.

Christian Schneider ist Geschäftsführer von Unicef Deutschland. Die Aufgabe übernahm er 2010. Zuvor hatte Schneider, der seit 1998 bei Unicef ist, von 2002 bis 2010 den Bereich Kommunikation und Kinderrechte geleitet. Schneider studierte Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik und war als Redakteur für die "Westfälischen Nachrichten" in Münster sowie als freier Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.

Müssen wir auch, denn den starken Artikeln von 1989 steht 2019 eine Realität gegenüber, die für Millionen Kinder himmelschreiend ungerecht bis lebensgefährlich ist und Kindern in jeder Region der Erde Rechte vorenthält. 30 Jahre Kinderrechte, das ist eine Geschichte unglaublicher Erfolge, die uns optimistisch stimmen und weiter antreiben sollten. Zugleich erinnert der Geburtstag daran, dass eine Kindheit 2019 neben alten Gefahren neue, große Herausforderungen mit sich bringt. Deshalb möchte ich von drei Aspekten berichten, die uns keine Ruhe lassen dürfen.

Drei Fakten, die uns nicht ruhen lassen dürfen

Erstens: Zwischen 1989 und dem Jahr 2017 haben wir einen Rückgang der Zahl der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren um 58 Prozent erreicht – das ist ein fantastischer Fortschritt. Es darf uns aber nicht ruhen lassen, dass Tag für Tag weiter rund 15.000 Kleinkinder umkommen, von denen wir die meisten mit sehr einfachen Mitteln und Methoden retten könnten. So fehlen 20 Millionen Kindern die wichtigsten Impfungen. Kinder sterben, weil sie kein Moskitonetz für ein paar Euro zum Schutz gegen Malaria haben oder weil der Weg zur Gesundheitsstation zu weit ist, um ihre Lungenentzündung zu behandeln. Der frühe Tod trifft vor allem Kleinkinder aus den ärmsten Familien.

All das ist nicht nötig, denn wir haben das Wissen. Wir hätten die Mittel. Und müssen uns zugleich darauf einstellen, dass immer mehr Kinder, nicht nur in den reichsten Ländern, übergewichtig sind oder an Depressionen leiden – Kindheit 2019.

Zweitens: Nach vielen, viel zu vielen Besuchen bei Familien in Krisengebieten ist für mich der Schutz von Kindern vor Gewalt das wichtigste Versprechen der Kinderrechtskonvention. Und ein besonders eklatant gebrochenes Versprechen: Wie in den Gründungszeiten von Unicef nach dem Zweiten Weltkrieg leiden Kinder unter Krieg, Terror, Vertreibung, Flucht. Die Zahl der betroffenen Länder ist die höchste seit 1989. 28 Millionen Jungen und Mädchen – gut doppelt so viele wie alle bei uns in Deutschland lebenden Kinder – haben durch Konflikte ihr Zuhause verloren.

Kinder werden angegriffen, gefoltert, getötet. Schwere Menschenrechtsverletzungen durchziehen eine lange Liste von Ländern von A wie Afghanistan bis Z wie Zentralafrikanische Republik. Meine Unicef-Kolleginnen und -Kollegen dort haben nicht nur die Aufgabe, Jungen und Mädchen aus Truppen zu befreien und traumatisierte Kinder zu versorgen. Sie dokumentieren auch die Gräueltaten, damit den Opfern – hoffentlich, irgendwann – Gerechtigkeit widerfahren kann. Mit ihnen gemeinsam möchte ich hier ein großes Ausrufezeichen setzen: Es ist genug! Die unerträgliche Gewalt gegenüber Kindern in Kriegs- und Krisengebieten muss endlich aufhören. Stopp!

Drittens: Der Klimawandel wirkt sich wie ein weiterer, langfristig ebenfalls tödlicher Krieg gegen die junge Generation aus. Ach was, langfristig: Die Auswirkungen der sich verändernden Klimabedingungen, das Wechselspiel aus zunehmenden Dürresituationen und verheerenden Fluten bedrohen schon heute die Gesundheit, den Ernährungszustand, die Bildung und das Aufwachsen von vielen Millionen Kindern. Mehr als eine halbe Milliarde Kinder leben in Gegenden mit hoher Überschwemmungsgefahr, 160 Millionen in extrem von Dürre und Trockenheit geplagten Zonen. 300 Millionen Kinder sind in ihrer Heimat Tag für Tag toxisch hoher Luftverschmutzung ausgesetzt. Apokalyptisch wirkende Zahlen, aber im Jahr 2019 Realität und längst kein Zukunftsszenario mehr.

Es ist erst ein Vorgeschmack auf das, was vielen Kindern in ihrem weiteren Leben und dann schon bald ihren eigenen Kindern bevorsteht. Schon 2040 müssen wir damit rechnen, dass eines von vier Kindern in einer Gegend lebt, in der die Wasserversorgung extrem unsicher ist. Das ist die Kindheit von morgen, wenn wir nicht schnell handeln.

Am 20. September ist Weltkindertag

Das sind drei von vielen Fakten, die mich in meiner Arbeit für Unicef kurz vor dem Weltkindertag am Freitag, den 20. September, beschäftigen. Es sind nur drei der vielen Nachrichten, die uns alle nicht ruhen lassen sollten. In Deutschland und weltweit werden an diesem Freitag Hunderttausende Kinder und Jugendliche auf den Straßen sein, um für die Zukunft unseres Planeten, für ihre eigene Zukunft zu demonstrieren.


Kindheit, das ist heute nicht mehr dasselbe wie bei der Verabschiedung der Kinderrechte vor 30 Jahren. Wir haben viel mehr, auch technologische Möglichkeiten, um die Welt zu einem besseren Ort für Kinder zu machen. Wir müssen Kindern und Jugendlichen endlich mehr Raum geben, selbst zu Akteuren zu werden. Weil sie ein (Kinder-)Recht darauf haben. Weil sie es können. Und weil die Welt für alle, auch die Erwachsenen, dadurch besser wird. Die Kinderrechte und ihre Konvention sind geltendes Recht, das wir gemeinsam mit den Kindern einfordern können und müssen. Sie sind ein Versprechen, das wir dringend erneuern und halten müssen.

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