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Ukraine-Krieg: "Für menschliche Entscheidungen bleibt keine Zeit"


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Autonome Waffen in der Ukraine
"Das macht Washington und Moskau gleich viel Angst"


23.11.2024Lesedauer: 4 Min.
Russischer Angriff auf die Kiew: Die Ukraine ist zum Test-Feld für autonome Waffensysteme geworden.Vergrößern des Bildes
Russischer Angriff auf Kiew: Die Ukraine ist zum Testfeld für autonome Waffensysteme geworden. (Quelle: IMAGO/Andreas Stroh)
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Der Krieg in der Ukraine wird mit modernen Waffensystemen ausgefochten. Das angegriffene Land wird dadurch zum Testlabor – und muss sich selbst die Frage nach der Ethik stellen.

Seit fast drei Jahren kämpft die Ukraine um ihr Überleben. Russlands brutaler Angriff auf die ehemalige Sowjetrepublik zwischen Schwarzem Meer und Karpaten hat dabei unter anderem zwei Dinge deutlich gemacht: Die Ukraine ist auf westliche Waffenlieferungen angewiesen – und auf die Entwicklung eigener Waffensysteme.

Besonders große Fortschritte soll die ukrainische Rüstungsindustrie auf dem Gebiet der autonomen Kriegsführung machen, erklärte der Militärexperte Greg Melcher kürzlich im Interview mit dem "Tagesspiegel". Melcher entwickelt Verteidigungsstrategien mit verschiedenen demokratischen Staaten, führt den Betrieb beim Centre for the Study of New Generation Warfare in Washington D.C.

Der Experte erklärte, in der Ukraine gebe es bei der Entwicklung autonomer Waffensysteme derzeit keine moralischen Leitplanken, weil das Land ums Überleben kämpft. "In weniger als einem Jahr werden autonome Tötungsmaschinen entwickelt worden sein." Der Krieg gegen Russland werde zum Testlabor für diese neue Technologie. "Mit dieser Technik könnte sich das Blatt wenden", so Melcher.

Video | "Marschflugkörper der Zukunft" getestet
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Quelle: t-online

Doch was ist dran an Melchers Warnungen? Hat der Experte recht mit seinen Warnungen oder ist es vor allem Alarmismus?

Experte Sauer: "Autonome Waffensysteme sind nicht neu"

Der deutsche Militärexperte Frank Sauer hat eine andere Sicht auf die Thematik als Greg Melcher. Seit Jahren forscht er zum Verhältnis zwischen Technologie und Sicherheit, ist außerdem Head of Research beim Metis-Institut für Strategie und Vorausschau der Universität der Bundeswehr in München. "Viele der Äußerungen von Melcher kann ich so nicht unterschreiben", sagt Sauer im Gespräch mit t-online. Ein großer Teil der Technik in der Ukraine sei nicht neu.

Bereits seit Jahrzehnten gebe es Waffensysteme, die den gesamten sogenannten targeting cycle – also die Zielauswahl, -verfolgung und -zerstörung – ohne menschliches Zutun komplettieren könnten, erklärt Sauer. Ein Beispiel dafür sei das Patriot-Flugabwehrsystem, das in der Ukraine bereits zum Einsatz komme. "Diese Technik ist nicht neu – und per se auch nicht schlecht. Denn Patriot rettet ja regelmäßig Leben in der Ukraine."

Frank Sauer
(Quelle: Frank Sauer)

Zur Person

PD Dr. Frank Sauer (*1980) ist Politologe, Sicherheitsexperte sowie Publizist. Er habilitierte sich an der Universität der Bundeswehr München, wo er zu Fragen der internationalen Politik, insbesondere internationaler Sicherheit, forscht und publiziert. Seine Arbeiten umfassen Beiträge zu Nuklearwaffen, Terrorismus, Cyber-Sicherheit sowie zur Nutzung von Robotik und Künstlicher Intelligenz (KI) im Militär. Regelmäßig ist er im Podcast "Sicherheitshalber" zu hören.

Die Funktionalität eines weitgehend autonom agierenden Waffensystems ist also nicht neu. Jedoch erlaubt es der mittlerweile breit gefächerte Einsatz Künstlicher Intelligenz, dass Autonomie in vielen anderen militärischen Kontexten Einzug hält – etwa bei Drohnen.

Sauer: "Terminator"-Vorstellungen sind absurd

Die Vorstellung von autonomen Tötungsmaschinen wie in den "Terminator"-Filmen sei außerdem absurd, so Sauer. Bei vielen Entwicklungen in der Ukraine gehe es um Deep-Learning-Modelle, die vor allem für die Objekterkennung verantwortlich sind. In diesem Fall könnten autonome Waffensysteme insbesondere beim Abfangen von anfliegender Munition, also Raketen oder Marschflugkörpern, helfen. "Da bleibt für menschliche Entscheidungen wenig bis keine Zeit", erklärt Sauer.

Sollte die Ukraine autonome Waffen bei Angriffen einsetzen, sei neben deren Geschwindigkeit ein entscheidender Vorteil, die elektronische Kampfführung des Gegners ignorieren zu können. "Es ist egal, wenn alle Funkfrequenzen gestört sind – man muss das Waffensystem ja nicht mehr ins Ziel fernlenken", führt Sauer weiter aus.

Drei Risikofelder bei autonomen Waffensystemen

Beim Einsatz autonomer Waffensysteme gebe es allerdings auch Risiken, die sich vor allem auf drei voneinander zu unterscheidende Felder verteilen, erklärt Frank Sauer. Aus rechtlicher Sicht entstünden insbesondere dann Probleme, wenn das System Kollateralschäden verursacht, also zivile Infrastruktur oder Zivilisten zu Schaden kommen. Durch den Einsatz autonomer Waffen sei es in diesem Fall schwer, die Kollateralschäden einem Verursacher zuzurechnen.

Das zweite Risikofeld sei die Ethik: "Hier wird eingewandt, dass das Delegieren von Angriffsentscheidungen grundsätzlich inakzeptabel sein könnte, wenn es um Leben und Tod geht", sagt Sauer.

Video | So funktioniert das Luftabwehrsystem Patriot
Quelle: Glomex

Als drittes Risikofeld benennt Sauer schließlich sicherheitspolitische Bedenken. Im Kampf mit autonomen Waffensystemen gebe es die Gefahr des Kontrollverlusts. "Wenn zwei Parteien sich auf autonome Systeme stützen und diese dann maschinell aufgrund eines Fehlers Angriffe und Gegenangriffe fahren, dann kann viel passiert sein, bevor der Mensch es schafft, den sprichwörtlichen Stecker zu ziehen", erklärt der Experte.

Was er beschreibt, nennen Sicherheitsexperten "flash war". Die Definition klingt erst mal kompliziert, dabei ist die grundlegende Entstehung eines flash wars einfach erklärt. Wenn zwei verfeindete Konfliktparteien autonome Waffensysteme nutzen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Systeme aufeinander- und überreagieren.

Ethik verfängt nicht als Argument

In der Ukraine bewerte man diese Risiken und Chancen allerdings mit einer anderen Gewichtung, sagt Frank Sauer. Der Grund dafür sei die existenzielle Gefahr, in der sich das Land befindet. "Und wir wären hier im friedlichen, bequemen Deutschland gut beraten, da nicht vom hohen moralischen Ross aus Kritik zu üben", fügt der Experte hinzu.

International sei das ethische Argument ohnehin nicht so relevant, führt Sauer weiter aus. "Das kann man aus deutscher Sicht bedauerlich finden, aber es ist so." Gesinnungsethische Argumente würden bei Briten, Amerikanern und Australiern auf komplettes Unverständnis stoßen, so der Experte. "Von Russland, China oder ganz anderen Teilen der Welt ganz zu schweigen."

Wolle man den Einsatz autonomer Waffensysteme international kritisieren, greife vor allem das sicherheitspolitische Argument, sagt Sauer. "Flash War, Kontrollverlust, das macht allen gleich viel Angst – egal ob Berlin, Washington, Peking oder Moskau."

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