Russland-Wahl Putin feiert Wahlsieg – massive Kritik der EU
Die Wahl der Staatsduma galt als wichtiger Stimmungstest für Präsident Putin. Seine Partei hat sich erneut als Sieger gekürt und spricht von einer fairen Abstimmung. Kritiker widersprechen dem vehement. Auch die EU zeigt sich skeptisch.
Trotz massiver Manipulationsvorwürfe sieht der Kreml keinen Grund für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Parlamentswahl in Russland. Die Abstimmung sei "frei und fair" gewesen, sagte Sprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. "In dieser Hinsicht bewerten wir die Wahl ziemlich positiv."
Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos haben dagegen Tausende Verstöße aufgelistet. Das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny sprach von der "schmutzigsten Wahl" seit Jahren.
Kremlpartei klar vorn
Bei der Parlamentswahl in Russland liegt die Kremlpartei nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmzettel klar in Führung. Geeintes Russland komme bislang auf 49,6 Prozent, teilte die Wahlkommission in Moskau mit. Die Kommunisten landeten demnach bei 19,5 Prozent, die Rechtspopulisten der LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski bei knapp 7,5 Prozent und die Partei Gerechtes Russland bei 7,3 Prozent. Knapp über der Fünf-Prozent-Hürde lag auch die neue Partei Nowyje Ljudi (Deutsch: Neue Leute).
Alle Parteien gelten als kremlnah. Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützte Partei Geeintes Russland hatte bereits am Sonntagabend, als noch wenige Stimmen ausgezählt waren, ihren Sieg gefeiert. Sie machte sich Hoffnung auf eine neue Mehrheit von 300 der 450 Sitze im Parlament dank vieler Direktmandate. 225 Sitze werden über Direktmandate vergeben.
Der Kreml zeigte sich zufrieden mit dem Abschneiden der Regierungspartei. "Die Partei hatte die Aufgabe, ihre führende Position zu verteidigen. Diese Aufgabe wurde sicherlich erfüllt", sagte Sprecher Peskow.
Embed
Im Vergleich zur Duma-Wahl 2016 muss die Kremlpartei aber offenbar Verluste hinnehmen. Damals kam sie auf 54,20 Prozent der Stimmen. Die Kommunisten legten hingegen deutlich zu – sie waren vor fünf Jahren auf 13,35 Prozent gekommen. Umfragen hatten Geeintes Russland angesichts der großen Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Lage vor der Wahl bei weniger als 30 Prozent gesehen.
"Diese Wahlen sind viel schmutziger"
Die Opposition wirft dem Machtapparat Manipulationen der Wahl zugunsten der Kremlpartei vor. Die Anhänger des inhaftierten Regierungskritikers Alexej Nawalny hatten mit der "schlauen Abstimmung" zu einer koordinierten Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen. Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow meinte, diese Methode habe in einzelnen Regionen Erfolge erzielt – konkret lässt sich das allerdings erst nach Vorlage der vorläufigen Endergebnisse sagen.
Wolkow kritisierte im Kurznachrichtendienst Twitter: "Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 – viel schmutziger." Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos haben mehr als 4.000 Verstöße aufgelistet. Besonders verbreitet war demnach das Vollstopfen der Wahlurnen mit packenweise Stimmzetteln, aber auch erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten.
Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski erwartete, dass beim Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis zugunsten der Kremlpartei nachgebessert werde. "Geeintes Russland ist nicht mehr die Partei der Macht", sagte er dem unabhängigen Internet-Fernsehkanal Doschd.
Vizechef der Kommunistischen Partei will Ergebnis nicht akzeptieren
Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Geeintes Russland bei "objektiver Betrachtung" nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte nach Angaben der Agentur Interfax einmal mehr vor Wahlbetrug. Die Kommunisten meinten, dass unter der Kremlpartei und Putin kein Fortschritt zu erwarten sei.
Der Vizechef der Kommunistischen Partei Russlands, Dmitri Nowikow kündigte am Montag derweil an, die Ergebnisse aus Moskau nicht akzeptieren zu wollen. "Wir erkennen die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe in Moskau nicht an". Die Ergebnisse der elektronischen Abstimmung wurden in der russischen Hauptstadt erst am Montagmittag veröffentlicht. In anderen Regionen waren sie bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am Sonntag verfügbar.
Die Wahlbeobachterorganisation Golos sprach von einem klar belegbaren Betrug. Sie forderte die Wahlkommission zur Annullierung der Ergebnisse auf. Es seien 78.000 Stimmzettel für die Online-Abstimmung mehr ausgewiesen worden als an Wahlberechtigte ausgegeben, teilte der Golos-Experte Roman Udot bei Facebook mit.
Es sei an einer Verlaufskurve klar erkennbar, dass gegen Ende der Abstimmung am Sonntag die Zahl der abgegebenen Stimmen die der registrierten deutlich übersteige. "Wenn in einer Urne ein Stimmzettel mehr liegt als rechtmäßig ausgegeben, dann werden alle Wahlzettel für ungültig erklärt. Und wie ist das, wenn es 78.000 sind?", sagte Udot.
Wichtiger Stimmungstest für Putin
Die Wahlbeteiligung hatte die Wahlkommission am Sonntagabend mit 45 Prozent angegeben, am Montag soll es hierzu endgültige Zahlen geben. In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen.
Am Montag wollte Putin mit Wahlleiterin Ella Pamfilowa die Abstimmung auswerten. Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für den Kremlchef und seine Politik. Wegen steigender Preise bei gleichzeitig sinkenden Löhnen war der Unmut zuletzt gewachsen.
Bei einer Wahlfeier in Moskau kündigten Parteifunktionäre bereits an, dass der Kurs Putins fortgesetzt werde. Obwohl der Staatschef wegen mehrerer Coronafälle in seinem Umfeld nicht anwesend war, wurde er von Anhängern mit "Putin, Putin, Putin"-Rufen gefeiert.
Unzufriedenheit mit Kremlpartei in Sibirien besonders groß
In der fernöstlichen Region Jakutien hat Geeintes Russland die Mehrheit eingebüßt. In der Teilrepublik im Osten Sibiriens, in der seit Monaten verheerende Waldbrände wüten, stimmten rund 35 Prozent der Menschen für die Kommunisten. Die Partei verzeichnete damit einen Zuwachs von fast 20 Prozentpunkten im Vergleich zur Dumawahl vor fünf Jahren, wie aus Veröffentlichungen der Wahlkommission hervorgeht. Geeintes Russland landete mit rund 33 Prozent nur noch auf dem zweiten Platz.
Wegen der Schäden durch die Brände ist die Unzufriedenheit der Menschen auch mit den Behörden und der Politik von Geeintes Russland in Jakutien besonders groß. Vertreter der Kremlpartei, die den Kurs von Präsident Putin unterstützen, beantragten Angaben der jakutischen Wahlkommission zufolge eine Überprüfung der Stimmauszählung. Das werde voraussichtlich Mitte der Woche geschehen, sagte der Vorsitzende der Kommission, Jewgeni Fedorow, laut Agentur Interfax.
Bundesregierung fordert Aufklärung
Angesichts der massiven Betrugsvorwürfe bei der Wahl fordert die Bundesregierung Aufklärung von Russland. Es gebe "sehr ernstzunehmende Hinweise von russischen Oppositionspolitikern und auch von Wahlbeobachtern" auf "massive Unregelmäßigkeiten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Das muss man ernst nehmen."
Die Bundesregierung erfülle außerdem mit Sorge, "dass es im Vorfeld der Duma-Wahlen wegen des zunehmenden Drucks auf Opposition und Zivilgesellschaft wirklich zu einem Verlust an gesellschaftlicher Vielfalt und demokratischer Partizipation gekommen ist", sagte Regierungssprecher Seibert weiter.
Zuvor kritisierte bereits die FDP-Politikerin Renata Alt den Wahlverlauf als "schlechte Inszenierung". Die Manipulationsvorwürfe "erlauben massive Zweifel an der Legitimität der Wahlergebnisse", sagte sie. "Tatsache ist: den wahren Willen des russischen Volkes werden wir heute nicht erfahren haben." Der FDP-Außenexperte Michael Link sagte der "Heilbronner Stimme", Putin versuche in "fast schon paranoider Manier, die Stimmung in der russischen Bevölkerung in seinem Sinne zu kontrollieren".
Kritik auch von der EU
Auch die Europäische Union hat scharfe Kritik am Ablauf der Russland-Wahl geübt. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, warf Moskau am Montag in Brüssel eine "Atmosphäre der Einschüchterung aller kritischen unabhängigen Stimmen" vor. "Wir haben eine Reihe von Berichten unabhängiger Beobachter vor Ort, die auf viele Unregelmäßigkeiten während dieser Wahl hinweisen", betonte der Sprecher.
Die EU bemängelte zudem den Ausschluss "internationaler, unabhängiger und glaubwürdiger Beobachter" bei der Wahl, wie sie normalerweise von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gestellt werden.
Borrells Sprecher kündigte an, die EU-Außenminister würden sich am Montagabend am Rande der UN-Generaldebatte in New York mit den Wahlen in Russland befassen. Zudem werde Borrell die EU-Kritik gegenüber dem russischen Außenminister Sergej Lawrow deutlich machen.
- Nachrichtenagentur dpa