US-Präsident Biden warnt vor "echtem Krieg" als Folge von Cyberangriffen
Washington (dpa) - US-Präsident Joe Biden hat vor einem Krieg als Folge eines Cyberangriffs großen Ausmaßes gewarnt.
"Wenn wir in einem Krieg, einem echten Krieg mit einer Großmacht enden, dann als Folge eines Cyberangriffs von großer Tragweite", sagte er am Dienstag (Ortszeit) beim ersten Besuch im Büro der Geheimdienstkoordination (ODNI) seit seinem Amtsantritt. "Und die Fähigkeiten (für einen solchen Cyberangriff) nehmen exponentiell zu", fügte er hinzu. Zuletzt hatten die USA sowohl China als auch Russland für große Cyberattacken verantwortlich gemacht.
Die US-Regierung und mehrere Verbündete hatten zuletzt China "unverantwortliche böswillige Cyberaktivitäten" vorgeworfen. Die Anschuldigungen kamen auch von der EU, Großbritannien, der Nato und weiteren Partnern. Unter anderem sehen die USA China hinter dem Angriff auf die E-Mail-Software Exchange Server vom US-Konzern Microsoft im März.
Mit Blick auf Russland wiederum kritisieren die USA zwei verschiedene Arten von Hackerangriffen: zum einen von Kriminellen, die nach US-Angaben ungestört Ziele im Ausland angreifen können; zum anderen von russischen Geheimdiensten auf Ministerien, Behörden und Firmen in den USA. Sie haben deswegen bereits Sanktionen gegen Russland verhängt. Die russische Regierung bestreitet solche Attacken.
Erst Anfang Juli griffen Hacker über eine Schwachstelle beim amerikanischen IT-Dienstleister Kaseya Hunderte Unternehmen mit Erpressungs-Software an. Die von Experten in Russland verortete Gruppe REvil verlangte 70 Millionen US-Dollar (etwa 59 Millionen Euro) in der Digitalwährung Bitcoin für einen Generalschlüssel zu allen betroffenen Computern. Dieselbe Gruppe steckte vor wenigen Wochen bereits hinter dem Angriff auf den weltgrößten Fleischkonzern JBS. Das Unternehmen musste als Folge für mehrere Tage Werke unter anderem in den USA schließen. JBS zahlte den Angreifern umgerechnet elf Millionen Dollar in Kryptowährungen.
Wenige Wochen vor JBS hatte es den Betreiber einer der wichtigsten Benzinpipelines in den USA getroffen. Der Stopp der Pumpen löste zum Teil Panikkäufe an der US-Ostküste aus. Die Betreiberfirma Colonial zahlte den Hackern 4,4 Millionen Dollar - gut die Hälfte davon wurde allerdings wenig später vom FBI im Netz beschlagnahmt.
"Wir haben gesehen, wie Cyber-Bedrohungen, einschließlich Ransomware-Angriffen (Angriffe zur Erpressung von Lösegeld), zunehmend in der Lage sind, Schäden und Störungen in der realen Welt zu verursachen", sagte Biden. Und wörtlich weiter: "Ich kann das nicht garantieren, und Sie sind so gut informiert wie ich, aber ich denke, dass es wahrscheinlicher ist, (...) wenn wir in einem Krieg, einem echten Krieg mit einer Großmacht enden, dann als Folge eines Cyberangriffs von großer Tragweite."
Angesichts großer Spannungen wegen der jüngsten Hackerattacken hatten Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Gipfeltreffen im Juni in Genf vereinbart, dass ihre Regierungen Gespräche über Cybersicherheit aufnehmen. Dabei soll es etwa darum gehen, konkrete Fälle anzusprechen und Ziele zu definieren, die tabu sein sollten für Attacken. Biden hatte Moskau eine Liste mit 16 Bereichen kritischer US-Infrastruktur übergeben, auf die keine Hackerangriffe verübt werden dürften. Dazu zählen laut US-Regierung unter anderem der Lebensmittel- und Energiesektor, Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Banken oder Gesundheitseinrichtungen.
Die US-Regierung stellte am Mittwoch Pläne vor, wie sie den Schutz solcher kritischer Infrastrukturen verbessern will. Unter anderem soll die US-Behörde für Cyber- und Infrastruktursicherheit (Cisa) gemeinsam mit anderen Stellen Zielvorgaben entwickeln, die private Betreiber zum Schutz ihrer Systeme einhalten sollen. Ein hochrangiger Regierungsbeamter sagte, der Staat könne hier nicht alleine handeln, die Industrie müssen ihren Teil beitragen. Fast 90 Prozent der kritischen Infrastruktur in den USA sei in der Hand des Privatsektors. Zunächst seien freiwillige Schritte geplant, um den Schutz zu verbessern. Die Regierung erwäge aber auch, verpflichtende Vorgaben zu erlassen, um die Cybersicherheit zu stärken. Derzeit gebe es keine systematischen Regularien, sondern nur Flickwerk. Das sei angesichts der wachsenden Bedrohung "unzureichend".
Bei seiner Ansprache im Büro der Geheimdienstkoordination, das 17 US-Nachrichtendienste beaufsichtigt, mühte sich Biden am Dienstag auch, Schäden aus der Vergangenheit zu kitten. Sein republikanischer Amtsvorgänger Donald Trump hatte die Nachrichtendienste teils scharf kritisiert und etwa Erkenntnisse der amerikanischen Geheimdienste zu Einmischungen Russlands in die US-Wahlen von 2016 infrage gestellt. Damit düpierte Trump damals seine eigenen Leute.
Biden sprach den versammelten Geheimdienstmitarbeitern dagegen sein Vertrauen aus und sagte zu, ihre Arbeit niemals zu "politisieren". Mit Blick auf Moskau und Putin sagte Biden: "Er weiß, dass Sie besser sind als sein eigenes Team - und das ärgert ihn extrem."