Rund 78 Prozent für "ja" Bruch mit Pinochet: Chilenen stimmen für neue Verfassung
Santiago de Chile (dpa) - 30 Jahre nach Chiles Rückkehr zur Demokratie soll das Land eine neue Verfassung bekommen. Bei einem Referendum stimmten mehr als 78 Prozent der Wähler für die Ausarbeitung eines neues Grundgesetzes, wie die Wahlbehörde nach Auszählung fast aller Stimmen mitteilte.
"Dieses Plebiszit ist nicht das Ende, sondern der Beginn des Weges, den wir gehen müssen, um uns auf eine neue Verfassung zu einigen", sagte Präsident Sebastián Piñera. "Bisher hat uns die Verfassung gespalten. Ab jetzt arbeiten wir gemeinsam an einer neue Verfassung, die den Rahmen für Einigkeit, Stabilität und Zukunft setzen wird."
Eine neue Verfassung gehörte zu den Kernforderungen der Demonstranten, wie vor einem Jahr zu Tausenden gegen die Regierung auf die Straße gingen. Der aktuelle Text von 1980 stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990). Kritiker bemängelten, dass die Verfassung das neoliberale Wirtschaftssystem festschreibt, durch hohe Quoren weitreichende Gesetzesänderungen erschwert und kaum soziale Grundrechte garantiert.
Die Befürworter einer neuen Verfassung feierten in der Nacht auf Montag an der Plaza Italia in Santiago de Chile den Wahlsieg. Am Rande der Feier lieferten sich Demonstranten allerdings auch Auseinandersetzungen mit der Polizei, wie der Radiosender Cooperativa berichtete. Demnach kam es vereinzelt zu Plünderungen und Angriffen auf Polizeiwachen, im ganzen Land wurden am Wahltag 146 Menschen festgenommen.
Bei dem Referendum wurde auch darüber entschieden, welches Gremium die neue Verfassung ausarbeiten soll. Die große Mehrheit stimmte für eine Verfassungsgebende Versammlung statt einer gemischten Kommission aus Bürgern und Parlamentariern. Die Delegierten werden nun im kommenden April gewählt. Nach spätestens einem Jahr sollen sie eine neue Verfassung vorlegen, über die die Chilenen wiederum in einem Referendum abstimmen.
An der aktuellen Verfassung gab es wegen ihres autoritären Ursprungs, der starken Bündelung von Machtbefugnissen bei der Zentralregierung und begrenzter Einflussmöglichkeiten der Bürger stets Kritik. Die Befürworter einer Reformwollen die soziale Rolle des Staates stärken, Grundrechte auf Arbeit, Gesundheitsversorgung, Bildung und Trinkwasser aufnehmen sowie die Anerkennung der indigenen Völker festschreiben. Das Referendum war wegen der Coronavirus-Pandemie verschoben worden, ursprünglich war es für April geplant.