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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Johnson scheitert vor Gericht Die nächste Ohrfeige
Boris Johnson wollte das Parlament im Brexit-Streit kaltstellen. Durch das Urteil des obersten britischen Gerichts ist ihm der Plan um die Ohren geflogen. Was passiert nun mit dem EU-Austritt?
Ganz ruhig verlas die vorsitzende Richterin Lady Brenda Hale das Urteil. Die Zwangspause des Parlaments habe einen "extremen Effekt" auf das Parlament gehabt und beeinträchtige dessen verfassungsmäßige Arbeit. Boris Johnson habe unrechtmäßig gehandelt als er die Queen riet, die Abgeordneten in Urlaub zu schicken. Alle elf Richter hatten sich einstimmig dem Urteil angeschlossen. Schon am Mittwoch soll das Parlament in Westminster wieder zurück aus dem Urlaub geholt werden.
Es gibt wohl keinen Premierminister in der Geschichte des Landes, der sich in so kurzer Amtszeit derart viele Ohrfeigen eingefangen hat – erst verlor Boris Johnson sechs Abstimmungen im Parlament, jetzt weist ihn auch noch das oberste Gericht wegen verfassungsrechtlichem Foulspiel in seine Schranken. Er hat das Gesetz gebrochen und die Königin belogen, wie ihm jetzt der Supreme Court bescheinigte. Er wird als Pinocchio-Premierminister in die Geschichtsbücher eingehen, sagte eine britische Journalistin.
Johnson beeindruckt das alles nicht
Aber Boris Johnson wäre nicht Boris Johnson, wenn ihn das beeindrucken würde. So sagte er am Rande der UN-Vollversammlung in New York, dass er mit dem Urteil der Richter überhaupt nicht einverstanden sei. "Ich denke nicht, dass es gerecht ist, aber wir werden weiter machen und natürlich wird das Parlament zurückkommen."
Doch auch wenn das Urteil eine knallende Ohrfeige für die britische Regierung war, es löst die festgefahrene Situation in Bezug auf den Brexit nicht. Denn Johnson hat keine Mehrheit im Parlament, einen No-Deal-Brexit hat das Unterhaus durch ein Gesetz eigentlich ausgeschlossen, aber wenn der Austrittsvertrag mit der Europäischen Union nicht bis Ende Oktober unterzeichnet wird, müsste Boris Johnson die EU um eine weitere Verschiebung des Brexit bitten. Aber das hat er kategorisch ausgeschlossen. Er wurde auch in New York nicht müde zu betonen, das Königreich werde am 31. Oktober die Europäische Union verlassen, komme was wolle und ob mit Deal oder ohne.
Britische Demokratie hat sich wehrhaft gezeigt
Einen Rücktritt, wie von der Opposition gefordert, lehnte er ab. Und so hat das Urteil zwar gezeigt, dass die britische Demokratie und seine Gerichte, wenn es darauf ankommt, wehrhafter sind als man zunächst angenommen hatte. Aber politisch bedeutet es erst einmal nur, dass das Parlament ab sofort wieder mitreden darf.
Fraglich ist jedoch, wie die Parlamentarier mit ihrem wiedergewonnen Recht umgehen werden. Wäre ein solches Urteil normalerweise eine Garantie für ein Misstrauensvotum gegen den Premierminister im Parlament, hält sich die Opposition derzeit noch zurück.
Labour-Führer Jeremy Corbyn forderte Johnson zum Rücktritt auf und will ein neues Referendum, aber für ein Misstrauensvotum gegen den Premierminister konnte er sich nach dem Urteil zunächst nicht erwärmen. Das kann vor allem daran liegen, dass die Zeit vor dem angepeilten Brexit-Tag knapp wird und das Land kurz vor dem Brexit ohne Premierminister dastehen könnte. Die Opposition möchte aber auf alle Fälle verhindern, durch ein derartiges Szenario in einen Brexit-Unfall ohne Abkommen zu schlittern.
Es ist nicht einmal klar, was die Abgeordneten mit der wiedergewonnenen Debattenzeit anfangen werden. Da die Ansprache der Königin durch das Urteil vom Tisch ist, hat der Speaker des Unterhauses, John Bercow, den Parlamentariern mitgeteilt, er nehme Tagesordnungsanträge entgegen.
- Supreme Court: Gericht hebt Zwangspause für Parlament auf
- Brexit-Urteil: So reagieren britische Politiker
- Newsblog: Alle aktuellen Entwicklungen beim Brexit
Mit dem neuen Selbstbewusstsein durch die Entscheidung des obersten Gerichts werden die Debatten in den nächsten Wochen sicher umso lebhafter werden. Ob das allerdings dazu führen wird, einen No-Deal-Brexit aufzuhalten oder den Brexit womöglich abermals zu verschieben oder ein neues Referendum anzusetzen, wird sich zeigen. Britische Parlamentsdebatten könnten aber abermals zum Straßenfeger werden. Der Parlamentskanal der BBC verzeichnete bereits in den letzten Wochen Rekordeinschaltquoten.
- Eigene Recherche