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Brexit-Debakel: Boris Johnson schlittert Richtung Abgrund


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Johnson in der Krise
Der "Boris-Brexit": Ohne Plan und Mehrheit ins Desaster


Aktualisiert am 11.09.2019Lesedauer: 4 Min.
Boris Johnson gehen langsam die Optionen aus: Es ist weiter vollkommen unklar, wie er Großbritannien bis zum 31. Oktober aus der EU führen will.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson gehen langsam die Optionen aus: Es ist weiter vollkommen unklar, wie er Großbritannien bis zum 31. Oktober aus der EU führen will. (Quelle: Dan Kitwood/getty-images-bilder)
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Unter Tumulten geht das Unterhaus in den Zwangsurlaub. Boris Johnson kassiert zuvor heftige Niederlagen. Er gibt weiter den Brexit-Hardliner – und poltert planlos durch die Verfassung.

Boris Johnson hat seine Mehrheit im Unterhaus verloren. 21 konservative Abgeordnete – darunter Johnsons Bruder – rebellieren offen gegen Johnsons Regierung und werden aus der Fraktion geworfen. Er kann keine Fortschritte in den Verhandlungen mit der EU vorweisen – es wird sogar bezweifelt, dass sein Team überhaupt eine Alternative zur umstrittenen Backstop-Regelung erarbeitet hat. Er scheitert zweimal mit seinem Versuch, Neuwahlen noch vor dem 31. Oktober anzusetzen. Ein Gesetz verbietet ihm einen No-Deal-Brexit.

Und dennoch erklärt Johnson unbeirrt: "Diese Regierung wird keine weitere Verzögerung des Brexits zulassen." Das kann nur drei Dinge bedeuten:

  • Johnson wird zurücktreten
  • er erreicht doch noch einen neuen – oder zumindest scheinbar neuen – Austritts-Deal mit der EU
  • er ignoriert das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit und macht sich damit strafbar

Doch gegen wen kämpft Johnson eigentlich?

Johnsons Hauptfeind scheint derzeit nicht Labour mit seiner Reizfigur Jeremy Corbyn, sondern das britische Parlament und damit die britische Verfassung zu sein. Es gibt im Unterhaus eine klare Mehrheit gegen einen Brexit ohne Ausstiegsvertrag. Das war auch schon zu Theresa Mays Regierungszeit so. Im Gegensatz zu Johnson hat sie allerdings verzweifelt versucht, die Tories trotz der unterschiedlichen Auffassungen über den EU-Ausstieg zusammen zu halten. Johnson dagegen scheint es geradezu auf Konfrontation bis hin zum Parteiausschluss – und damit auf eine Spaltung der Tories – anzulegen; und reagiert dann extrem empört, wenn die Abgeordneten wie beim Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit ihren Willen nicht nur kundtun, sondern mit konstitutionell zulässigen Mitteln auch durchsetzen.

Johnsons Verbündete werden dagegen immer mehr zum Problem. Der ultrakonservative Brexiteer Jacob Rees-Mogg, der sich mitten in einer Debatte auf einer der grünen Bänke hinfläzte, bekam nicht nur im Netz jede Menge Spott und Häme ab. Der kürzlich aus der Tory-Fraktion geworfene Enkel des legendären britischen Kriegspremiers Winston Churchill, Nicholas Soames, erklärte, er habe ihm am liebsten "in den Hintern treten" und sagen wollen: "Was zum Teufel denkst du eigentlich, was du hier für ein Spiel spielst? Setz dich anständig hin!" Soames weiter: "Er ist ein absoluter Betrüger, ein lebendes Beispiel dafür, was ein mäßig sitzender Zweireiheranzug und eine anständige Krawatte (im Zusammenspiel) mit einer ultra vornehmen Stimme bewirken."

"Ich kann diesen politischen Vandalismus nicht mittragen"

Hinter der harten Vorgehensweise Johnsons beim Parteiausschluss seiner Widersacher vermuten viele den Einfluss seines so berüchtigten wie gefürchteten Chefstrategen Dominic Cummings. Der Architekt der Pro-Brexit-Kampagne "Vote Leave" vor dem Referendum im Jahr 2016 gilt als genialer Wahlkampfstratege ohne Skrupel. Er macht keinen Hehl daraus, dass er das politische System umkrempeln will und das Parlament für funktionsgestört hält. Cummings hat inzwischen die Fäden im britischen Regierungssitz 10 Downing Street in der Hand. So fest, dass die inzwischen aus der Partei verbannte Tory-Abgeordnete Margot James Johnson im Parlament mit dem Zitat von Margaret Thatcher warnte: "Berater beraten, Minister entscheiden."


Der Unmut über Johnsons Führungsstil, seine politische Ausrichtung und seine unnachgiebige Brexit-Politik wächst auch in den eigenen Reihen. Arbeitsministerin Amber Rudd erklärte nach ihrem Rücktritt vor einigen Tagen: "Ich kann nicht zusehen, wie gute, loyale, moderate Konservative ausgeschlossen werden. Ich kann diesen politischen Vandalismus nicht mittragen."

Jetzt steht Johnson blank da

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt konnte man annehmen, dass Johnson zwar keinen eindeutigen Plan für einen geregelten Brexit bis Ende Oktober, dafür aber zumindest einen für das weitere Vorgehen in Großbritannien hat. Nach den letzten Tagen sieht das anders aus. Der eigentliche Plan waren wohl schnelle Neuwahlen – noch vor dem 31. Oktober – von denen sich Johnson eine stabilere Mehrheit für seinen Brexit-Kurs versprochen hatte. Auch schien man überzeugt, ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit verhindern zu können. Überrascht vom offenen Widerstand gegen beide Vorhaben und mit diesen Pleiten im Rücken, steht Johnson nun blank da.

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Ein neuer Deal mit der EU bahnt sich nicht an. Neuwahlen vor dem 31. Oktober sind nicht mehr möglich. Wenn Johnsons Team nicht noch einen neuen politischen Überraschungsschachzug parat hat – wie die Zwangspause des Parlaments – bleibt nur noch der Rücktritt.

Rücktritt als Rettung?

Mit einem Rücktritt könnte Johnson sein Versprechen halten, dass er, beziehungsweise seine Regierung, in keinem Fall um eine weitere Brexit-Verschiebung bitten werde. Das würde er dann seinem Nachfolger, der in jedem Fall nur eine Übergangsregierung anführen würde, überlassen.

Bei Neuwahlen könnte Johnson sich dann als der starke Brexit-Mann präsentieren, der vom Parlament, von Verrätern in den eigenen Reihen und der Opposition daran gehindert wurde, sein Versprechen einzulösen, Großbritannien bis Ende Oktober aus der EU zu führen. Er könnte sich als die einzige Kraft präsentieren, mit der Großbritannien aus der EU herauskommt.

Ob das aufgeht, liegt dann nicht mehr in Johnsons Händen, sondern in denen der Wähler. Denen dürfte dann vollkommen klar sein, welche Art von Politik sie bekommen, wenn sie für Johnson stimmen.


Und Johnson sollte gewarnt sein. Seine Vorgängerin May wollte sich 2017 mit einer vorgezogenen Neuwahl eine bessere Ausgangslage für die Brexit-Verhandlungen mit der EU sichern. Dieser Versuch endete in einem Debakel – trotz hervorragender Umfrageergebnisse. Die Konservativen gewannen nicht Sitze dazu, sondern verloren ihre Mehrheit im Unterhaus und waren seitdem auf die Stimmen der nordirischen DUP angewiesen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
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