Konfliktgebiet Heftige Kritik an Vergabe russischer Pässe für Ostukrainer
Brüssel/Kiew (dpa) - Die EU wirft Russland angesichts der geplanten Ausgabe eigener Pässe im Kriegsgebiet in der Ostukraine ein neuerliches Anheizen des Konflikts vor.
Das von Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnete Dekret sei ein "weiterer Angriff auf die Souveränität der Ukraine", sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel. Putin verteidigte dagegen sein Vorgehen. Nur einen Tag nach der Kreml-Entscheidung beschloss das Parlament in Kiew, die fast überall im Land gesprochene russische Sprache per Gesetz aus dem Alltag zu verdrängen. Die Sprachfrage gilt von jeher als ein zentraler Auslöser der Unkraine-Konflikts.
In anderen Ländern sei es seit langem Praxis, dass sie Ukrainern Pässe ausstellten, sagte Putin. Er nannte Polen, Ungarn und Rumänien. "Wenn andere Länder - Nachbarn der Ukraine - dies seit vielen Jahren tun, warum kann Russland das nicht?" Putin verwies zur Begründung auf die Menschenrechte in den Gebieten. Er habe aber damit nicht die Führung in Kiew provozieren wollen, meinte der Kremlchef.
Das Dekret ermöglicht, dass Menschen mit ständigem Wohnsitz in "einzelnen Kreisen" der Gebiete von Donezk und Luhansk in einem "vereinfachten Verfahren" russische Staatsbürger werden. Damit baut Russland seinen Einfluss in dem Gebiet weiter aus. Putins Ukas folgte nahezu unmittelbar auf die Präsidentenwahl in der Ukraine, bei der sich am Sonntag Wolodymyr Selenskyj deutlich gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko durchgesetzt hatte.
Die EU kritisierte, der Zeitpunkt zeige "Russlands Absicht, die Ukraine weiter zu destabilisieren und den Konflikt zu verschärfen", sagte Mogherinis Sprecherin. Das US-Außenministerium sprach von einem "hochprovokativen Akt", mit dem Russland "seinen Übergriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine" intensiviere. Auch das Auswärtige Amt in Berlin betonte, das Dekret widerspreche den Zielen der Minsker Friedensvereinbarung zum Donbass.
Der Ukraine-Konflikt dauert mittlerweile rund fünf Jahre an. Er war 2014 nach den prowestlichen Protesten und Russlands anschließender Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim ausgelöst worden. Die Spannungen zwischen beiden Ländern und in der Ukraine könnten sich nach einer Entscheidung des Parlaments in Kiew zum Sprachengesetz weiter verschärfen. Es war über Jahre diskutiert worden.
Die Abgeordneten verabschiedeten mit einer deutlichen Mehrheit die Novelle. Die Neuerung schreibt nach einer Übergangszeit eine zwingende ukrainische Version für alle Zeitungen, Zeitschriften sowie Internetseiten von Massenmedien und Unternehmen vor. Bisher sind noch etwa 70 Prozent des Zeitungsmarktes russischsprachig. Wie sich die Regelung auf das Fernsehen auswirkt, war zunächst unklar.
Arbeitssprache in Unternehmen sowie beim ersten Kundenkontakt soll ebenso das Ukrainische sein. Der Buchmarkt soll dem Gesetz zufolge weiter ukrainisiert werden. Öffentliche Veranstaltungen und Theaterstücke sollten auf Ukrainisch oder in Simultan-Übersetzung aufgeführt werden. In Privatgesprächen und in Kirchen bleibt die russische Sprache dagegen erlaubt.
Russisch ist in der Ex-Sowjetrepublik weithin verbreitet, für knapp ein Drittel der Ukrainer ist Russisch die Muttersprache. Der künftige Präsident Selenskyj, der selbst Russisch spricht, versprach, das Gesetz nach seinem Amtsantritt auf Wahrung der Rechte und Interessen aller Ukrainer zu prüfen. Poroschenko sagte, er wolle die Neuerung sofort unterzeichnen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums sagte dagegen, das Gesetz verstoße gegen die ukrainische Verfassung.