Streit über Gibraltar EU und Großbritannien wollen Brexit besiegeln
Brüssel/London (dpa) - Vier Monate vor dem Brexit können die Europäische Union und Großbritannien am Sonntag wie geplant den Scheidungsvertrag bei einem Sondergipfel in Brüssel besiegeln.
Spanien ließ eine Vetodrohung wegen eines Streits um Gibraltar fallen und beseitigte damit das letzte große Hindernis. Am Abend beriet sich die britische Premierministerin Theresa May ein letztes Mal mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Alles nach Plan für morgen", twitterte Junckers Sprecher anschließend.
May wirkte in Brüssel entspannt. Doch steht ihr nach der erwarteten Billigung der Verträge beim EU-Gipfel noch eine äußerst schwierige Aufgabe bevor: Sie muss die Zustimmung des britischen Parlaments gewinnen, wo keine Mehrheit in Sicht ist. Die Gefahr eines chaotischen Brexits am 29. März 2019 ist deshalb noch nicht gebannt.
EU-Ratschef Donald Tusk warb in seinem Einladungsschreiben zum Sondergipfel für das Vertragspaket mit Großbritannien. Dieses werde die Unsicherheit und die Brüche des für März 2019 geplanten Brexits für Bürger, Unternehmen und für die EU-Staaten so weit wie möglich reduzieren, schrieb Tusk an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs. "Während dieser Verhandlungen wollte niemand irgendwen besiegen", betonte Tusk. "Und ich glaube, dass wir letztlich den bestmöglichen Kompromiss gefunden haben."
Das Brexit-Paket umfasst einen knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag mit den Bedingungen der Trennung, darunter die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und britische Schlusszahlungen an die EU von schätzungsweise rund 45 Milliarden Euro. Vorgesehen ist zudem eine Übergangsfrist bis Ende 2020, die bis Ende 2022 verlängert werden könnte. Begleitet wird der Vertrag von einer politischen Absichtserklärung über eine sehr enge Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft nach dem Brexit.
Bis Samstagnachmittag hatte die Verabschiedung des Pakets wegen der Veto-Drohung Spaniens auf der Kippe gestanden. Die Regierung in Madrid hatte Änderungen am Vertragsentwurf verlangt, weil sie Festlegungen über den künftigen Status von Gibraltar befürchtete. Das Gebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel steht seit 1713 unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht.
Nach stundenlangen Verhandlungen und diversen schriftlichen Zusicherungen der EU und Großbritanniens nahm der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez die Drohung zurück und sagte vor Journalisten: "Europa und das Vereinigte Königreich haben die Forderungen Spaniens akzeptiert. In Folge dessen hebt Spanien sein Veto auf und wird morgen für den Brexit stimmen." Nach dem Brexit werde "die politische, juristische und sogar auch die geographische Beziehung Gibraltars zur EU von Spanien bestimmt werden", sagte Sánchez.
Spanien werde "die Entkolonialisierung" Gibraltars verfolgen und gemäß der erzielten Einigung direkt mit London über Gibraltar verhandeln. "Wir haben einen entscheidenden und entschlossenen Schritt nach vorne getan, und wir haben absolute Garantien erhalten, um einen Konflikt zu lösen, der seit mehr als 300 Jahren anhält", sagte Sánchez weiter.
Nach Angaben von Diplomaten in Brüssel bekommt Spanien zwei Zusicherungen aller 27 EU-Staaten sowie einen Brief der britischen Regierung und einen von Tusk und Juncker - also ein Garantiepaket mit vier Elementen, dass Spanien künftige Vereinbarungen mit Blick auf Gibraltar vorab prüfen und billigen darf. Änderungen an den Brexit-Verträgen soll es aber nicht geben.
May betonte vor britischen Journalisten in Brüssel, dass sich die Haltung Großbritanniens zur Souveränität Gibraltars nicht geändert habe und sich auch nicht ändern werde. "Ich bin stolz darauf, dass Gibraltar britisch ist und werde immer zu Gibraltar stehen", sagte die Premierministerin.
In Großbritannien verschärfte sich am Samstag für May die innenpolitische Lage. Die nordirische Partei DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, drohte mit einem Stopp der Zusammenarbeit. Sollte sich May mit ihrem Abkommen im Parlament in London durchsetzen, würde die Zusammenarbeit auf den Prüfstand kommen, sagte DUP-Chefin Arlene Foster der BBC. Die DUP lehnt die im Austrittsvertrag angelegte Sonderbehandlung des britischen Landesteils Nordirland ab und wirft der Premierministerin vor, schlecht verhandelt zu haben.
DUP-Vizechef Nigel Dodds sagte am Samstag bei einer Parteikonferenz im nordirischen Belfast: "Es ist für die Premierministerin nicht zu spät, ihren Kurs zu ändern." Ähnlich äußerte sich Mays großer Widersacher Boris Johnson als Gastredner der Konferenz. Großbritannien drohe zu einem "Vasallenstaat der EU" zu werden, sagte Johnson.
Viele Brexit-Hardliner in der Konservativen Partei, aber auch große Teile der Opposition stemmen sich gegen das Abkommen. Der britische Finanzminister Philip Hammond warnte vor einem "wirtschaftlichen Chaos", falls das Parlament im Dezember das Brexit-Abkommen ablehnen sollte. Die Folgen eines "No Deals" - etwa Verluste von Arbeitsplätzen - wären dann "sehr ernst".