Asien Konflikt oder Status quo: Wohin führt die Taiwan-Wahl?
Im Schatten Chinas wählt Taiwan eine neue Regierung. Das Ergebnis könnte beeinflussen, ob die erheblichen Spannungen zunehmen oder die Zeichen auf Linderung stehen. Ein Konflikt hätte globale Auswirkungen.
Taiwan ist etwa so groß wie Baden-Württemberg, doch die Präsidenten- und Parlamentswahl in dem ostasiatischen Inselstaat hat weltweit Bedeutung. Wie die Menschen am Samstag in dem Land mit mehr als 23 Millionen Einwohnern abstimmen, dürfte das schwierige Verhältnis zwischen den USA und China beeinflussen und entscheiden, ob die bereits erheblichen Spannungen in der Region zunehmen.
Fast täglich fliegen jetzt schon chinesische Kampfjets Richtung Taiwan. China demonstriert damit militärische Macht vor der Insel, die es für sich beansprucht.
Warum die Wahl für die Welt wichtig ist
Die Taiwan-Frage hat schon mehrfach für Krisenstimmung zwischen den Atommächten China und USA gesorgt: Staats- und Parteichef Xi Jinping will die Wiedervereinigung mit der Insel. Die USA, die wie andere westliche Länder Taiwan nie anerkannt haben, haben sich der Verteidigungsfähigkeit der Insel verpflichtet, liefern Waffen und lehnen jede gewaltsame Veränderung des Status quo als inakzeptabel ab. Präsident Joe Biden hat sogar zugesichert, Taiwan im Konfliktfall bei der Verteidigung zu helfen. Aus US-Sicht hat die Insel im Indopazifik eine strategisch wichtige Lage. Ein Krieg in der Region könnte die Supermacht USA daher direkt involvieren.
China betont zwar, eine friedliche Wiedervereinigung zu wollen, droht aber, diese auch mit Gewalt zu erzwingen. Das könne eintreten, falls Taiwan offiziell seine Unabhängigkeit erklären würde, sagt Victor Gao vom chinesischen, regierungsnahen Zentrum für China und Globalisierung. "Wenn das Festland eine bewaffnete Wiedervereinigung heute will, kann das heute auch erreicht werden", erklärt er.
Westliche und taiwanische Experten rechnen 2024 nicht mit einem Krieg. Chinas Wirtschaft geht es zurzeit schlecht. Zudem wäre eine Invasion über das Meer höchst anspruchsvoll und enorm teuer. Auch dürfte Pekings Führung die US-Präsidentenwahl im November genau verfolgen. Ob eine mögliche Regierung des Republikaners Donald Trump Taiwan im Angriffsfall unterstützen würde, gilt als fraglich.
Die Kandidaten bei der Wahl
Bei der Wahl in Taiwan haben drei Parteien eine echte Siegeschance. Für die noch regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die für eine Unabhängigkeit Taiwans steht, kandidiert William Lai um das Präsidentenamt. Im Wahlkampf konzentrierte er sich auf die Gefahr durch China. Eine offizielle Unabhängigkeitserklärung hält er jedoch nicht für nötig. Die bisherige Präsidentin Tsai Ing-wen darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Aus der Opposition machen die chinafreundliche konservative Kuomintang (KMT) und die erst 2019 gegründete Taiwanische Volkspartei (TPP) Lai wohl am meisten Konkurrenz. KMT-Kandidat Hou Yu-ih will die Demokratie in Taiwan verteidigen, aber nicht die Unabhängigkeit erklären. Die TPP schickt Ko Wen-je ins Rennen. Er sieht Taiwan als Brücke zwischen China und den USA und hat damit einen diplomatischeren Ansatz für das Verhältnis ins Auge gefasst.
In den zehn Tagen vor der Abstimmung durften keine Umfragen mehr publiziert werden. Kurz zuvor hatte eine Erhebung der Zeitung "United Daily News" den bisherigen Vizepräsidenten Lai noch mit 32 Prozent vor dem Konkurrenten der Kuomintang-Kandidaten gesehen (27 Prozent). Ko Wen-je von der TPP kam demnach auf 21 Prozent. Taiwan wählt auch ein neues Parlament. Bisher hatte die DPP dort die absolute Mehrheit. Wahlberechtigt sind im In- und Ausland 19,5 Millionen Menschen. Ein Ergebnis könnte in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) feststehen.
Warum die Wahl auch wirtschaftlich Gewicht hat
Die Meerenge zwischen China und Taiwan - die Taiwanstraße - ist weltweit eine der wichtigsten Handelsrouten. 48 Prozent aller Containerschiffe fahren dort durch, wie Yen Huai-Shing vom taiwanischen Chung-Hua Institut für Wirtschaftsforschung sagt. Ein Konflikt würde Lieferketten unterbrechen und der Weltwirtschaft enorm schaden. Wer in Deutschland dann zum Beispiel ein Regal zusammenbauen wollte, hätte der Expertin zufolge vielleicht keine Schrauben mehr. Die Insel ist außerdem ein bedeutender Hersteller von Halbleitern für Elektrogeräte. Die wichtigste Firma TSMC hat laut Yen 70 Prozent Anteil am Weltmarkt für Chips in Smartphones. Ein Handelsstopp mit diesen Produkten hätte enorme Auswirkungen, sagt die Expertin.
Der Konflikt
Doch warum greift China nach Taiwan? Die Insel stand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter Japans Kolonialherrschaft. Nach der Kapitulation fiel die Insel an die damalige Republik China. Diese zerbrach jedoch im Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und den Anhängern der Kuomintang (KMT). Denn 1949 verlor die KMT, floh nach Taiwan, das heute immer noch offiziell Republik China heißt, und regierte dort weiter. Die Kommunisten riefen später in Peking die Volksrepublik China aus. Sie zählen Taiwan zu ihrem Gebiet. 1992 vereinbarten die damalige KMT-Regierung und die KP zwar, dass es nur ein China gibt. Jedoch einigten sie sich nicht, was das bedeutet. Peking besteht seither auf der sogenannten Ein-China-Politik.
Die Perspektive
"Egal, ob die DPP oder die KMT gewinnt, China wird Taiwan wirtschaftlich und politisch das Leben schwer machen", sagt der taiwanische Asien-Pazifik-Experte Kuo Yujen. Bei einem KMT-Sieg würde China wohl auf Verhandlungen über eine Wiedervereinigung drängen. Sollte die DPP den Präsidenten und die Parlamentsmehrheit stellen, werde Lais Regierung die Verbindung mit westlichen Staaten wie den USA weiter aufrechterhalten, meint Wu Rwei-ren vom Institut für Taiwan-Geschichte der taiwanischen Academia Sinica.
Das Verhältnis zu China bliebe damit schlecht. Sollten die chinafreundlichere KMT oder die TPP siegen, könnte sich die Stimmung mit Peking aufhellen. Laut Wu wäre das dann aber eine Schwachstelle für die USA. Denn China hätte damit die Möglichkeit, durch eine Annäherung mit Taiwan die Inselkette US-verbündeter Staaten um Japan, die Philippinen und eben Taiwan zu spalten.
- Nachrichtenagentur dpa