"Regierung kann tun, was sie will" Experte sieht Demokratie in Israel stark gefährdet
In Israel bildet sich eine neue Regierung. Mehrere Ministerposten sollen mit umstrittenen Politikern besetzt werden. Ein Experte warnt vor den Folgen.
Der Vorsitzende der israelischen Rechtsanwaltskammer, Avi Chimi, hat vor einer Gefährdung der Demokratie durch eine neue rechts-religiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu gewarnt. Der Jurist bezog sich in der Zeitung "Haaretz" (Dienstag) auf tiefgreifende Schritte zur Schwächung des Justizsystems, die Mitglieder der sich abzeichnenden neuen Regierung angekündigt haben.
Bei der Wahl am 1. November holte das rechts-religiöse Lager des langjährigen früheren Ministerpräsidenten 64 von 120 Sitzen. Netanjahu – gegen den ein Korruptionsprozess läuft – kehrt damit nach anderthalb Jahren in der Opposition wahrscheinlich an die Macht zurück. Mit mehreren Partnern hat er sich im Grundsatz schon geeinigt. Er hat bis Sonntag Zeit für die Regierungsbildung, kann aber noch zwei Wochen Verlängerung beantragen.
"Regierung kann nicht gezügelt oder kontrolliert werden"
Erwartet wird, dass die neue Regierung eine Überwindungsklausel auf den Weg bringen wird. Damit könnte eine Mehrheit im Parlament Gesetze durchsetzen, auch wenn das Höchste Gericht diese als illegal einstuft. "Dies bedeutet, dass die Regierung nicht gezügelt oder kontrolliert werden kann", warnte Chimi. "Sie kann tun, was sie will." Israel könne in diesem Fall nicht mehr als Demokratie eingestuft werden.
Vor einer Vereidigung der neuen Regierung soll noch eine Gesetzesänderung durchgesetzt werden, die es dem Vorsitzenden der strengreligiösen Schas-Partei, Arie Deri, ermöglichte, trotz einer Verurteilung wegen Steuervergehen Innenminister zu werden.
Auch andere Ministerposten sollen mit umstrittenen Politikern besetzt werden. Die bisherigen Koalitionsvereinbarungen gewähren Bezalel Smotrich von der Religiös-Zionistischen Partei nach Medienberichten weitreichende Befugnisse, die den israelischen Siedlungsausbau im besetzten Westjordanland sowie Ost-Jerusalem erleichtern sollen.
Weitere Eskalationen erwartet
Avi Maoz, der bei der Wahl mit einer homophoben Agenda angetreten war, soll für externe Programme an israelischen Schulen zuständig sein. Zahlreiche Schulleiter und Kommunen haben bereits klargestellt, dass sie sich gegen Beschneidungen liberaler Inhalte stemmen werden.
Itamar Ben-Gvir, der wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt wurde, soll Minister für Nationale Sicherheit werden. Sollte der rechtsextreme Politiker versuchen, den Status quo auf dem Tempelberg in Jerusalem zu ändern und etwa Juden dort das Gebet erlauben, ist mit einer weiteren Eskalation in den Beziehungen mit den Palästinensern und Jordanien zu rechnen.
- Nachrichtenagentur dpa