Kampf gegen Pandemie Merkel: "Wir wissen nicht, ob der Anstieg gestoppt werden kann"
Nach dem EU-Sondergipfel zur Corona-Krise hat Kanzlerin Angela Merkel vor zu großen Hoffnungen auf weitere Lockerungen gewarnt. Zudem äußerte sie sich zu den Aussichten eines europaweiten Impfpasses.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Hoffnungen auf sehr schnelle und umfassende Lockerungen der strengen Kontaktbeschränkungen mit der Einführung der Corona-Selbsttests gedämpft. Es müsse zunächst gründlich geprüft werden, "ob wir uns durch ein vermehrtes Testen auch mit diesen Selbsttests einen Puffer erarbeiten können, so dass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35", sagte Merkel am Donnerstagabend nach dem Video-EU-Sondergipfel zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie. Man könne trotz der Selbsttests weder auf Inzidenzen generell verzichten noch sofort öffnen.
Merkel sagte, es könne "nicht so sein, dass wir erst die Öffnung definieren und anschließend mal gucken, ob das Testen uns hilft. Das wäre aus meiner Sicht zu gefährlich." Die Selbsttests und die Verfügbarkeit der Antigen-Schnelltests in hoher Stückzahl böten eine neue Option. Dann müsse man schauen, welche Wirkung das habe. "Und dann kann man überlegen, ob wir damit eben auch etwas mehr Freiraum zum Öffnen haben. Aber nicht unter Verzicht auf jegliche Inzidenz."
Handel forderte Öffnungen
Unter anderem der Handel hatte gefordert, dass die Wiedereröffnung der Innenstädte nicht vom Erreichen einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen abhängig gemacht werden dürfe.
Die notwendigen breiten Tests hätten drei Komponenten, sagte Merkel: Schulen und Kindertagesstätten, in Betrieben sowie Angebote für Testen der Bevölkerung in Testzentren. Man brauche genaue Angaben über die Wirksamkeit der Selbsttests im Vergleich zu den Antigen-Schnelltests. Zudem sei Klarheit nötig, ob mit einem vermehrten Testen wirklich der Anstieg der Infektionen gestoppt werden könne.
Es könnten nicht alle Schritte auf einmal gemacht werden, sagte die Kanzlerin. Es müssten Pakete geschnürt werden aus den Bereichen Kontaktbeschränkungen, Schule, Hochschule sowie Geschäfte, Restaurants, Hotels, Kunst und Kultur und Sport. Dabei müssten möglicherweise mehrere Stränge zu Paketen verbunden werden. Zwischen den Öffnungsschritten müsse immer eine Zeit liegen, in der überprüft werde, ob man weiter die Kontrolle über das Infektionsgeschehen behalte. Zudem werde auch das Impfen Woche für Woche mehr Einfluss haben – "aber das ist im Augenblick noch zu wenig".
Drei EU-Länder besonders von Mutation betroffen
In der EU seien derzeit besonders Tschechien, die Slowakei und Ungarn von der britischen Mutation betroffen. "Wir wissen nicht, ob der Anstieg gestoppt werden kann", räumte sie ein. Man müsse nun Erfahrungen mit der Ausbreitung der Virus-Mutation sammeln.
Merkel geht davon aus, dass der EU-Impfpass bis zum Sommer entwickelt werden kann. "Die politische Vorgabe ist, dass man das in den nächsten Monaten erreicht, ich habe ja von drei Monaten gesprochen", sagte die CDU-Politikerin.
Merkel: Man muss vorbereitet sein
Das Zertifikat soll die Möglichkeit schaffen, Geimpften gegebenenfalls Vorteile zu gewähren. "Alle haben heute darauf hingewiesen, dass das zurzeit bei der geringen Durchimpfung der Bevölkerung gar nicht das Thema ist. Aber man muss sich ja vorbereiten", betonte Merkel. Das heiße aber nicht, dass künftig nur reisen dürfe, wer einen Impfpass habe. "Darüber sind überhaupt noch keine politischen Entscheidungen getroffen." Dennoch werde es auch danach so sein, dass der Impfpass alleine nicht darüber bestimme, wer reisen könne. Merkel verwies auf Kinder, die sich derzeit noch gar nicht impfen lassen könnten.
Auf Reiseerleichterungen für Geimpfte dringen Länder wie Griechenland, Zypern, Bulgarien und Österreich. Griechenland und Zypern haben schon jetzt Vereinbarungen mit Israel über die künftige Einreise von Geimpften geschlossen. Manche EU-Staaten wie Polen und Rumänien gewähren Geimpften bereits Vorteile, etwa bei der Einreise.
"Grenzkontrollen sind nicht auf der Tagesordnung"
Dabei ist die Absprache auf EU-Ebene noch lange nicht so weit. Bislang haben sich die 27 EU-Staaten nur darauf geeinigt, dass es einen gegenseitig anerkannten Impf-Nachweis geben soll. Angedacht sind eine Datenbank zur Registrierung der Impfungen und ein personalisierter QR-Code für Geimpfte. Deutschland, Frankreich und andere haben jedoch Bedenken, Vorteile an das Dokument zu knüpfen – unter anderem weil unklar ist, ob Geimpfte das Virus weitergeben können.
Weiter erklärte sie, dass Grenzkontrollen zu Frankreich gegenwärtig ausgeschlossen seien. "Grenzkontrollen stehen zurzeit nicht auf der Tagesordnung", betonte sie. "Wir setzen alles daran, den freien Warenverkehr möglich zu machen und auch die Pendler arbeiten zu lassen." Das setze aber ein negatives Testergebnis voraus.
- Nachrichtenagentur dpa