Britische Presse "Der Gnade der EU ausgeliefert, der wir glaubten, entkommen zu sein"
Auch beim dritten Anlauf ist Theresa Mays Brexit-Deal im Unterhaus gescheitert. Ein Blick in die Kommentarspalten der britischen Presse zeigt, wie gespalten das Land ist.
Die größte britische Boulevard-Zeitung "The Sun" kommentiert die erneute Ablehnung des EU-Austrittsabkommens im Unterhaus so: "Am Freitag haben die Abgeordneten den Brexit und die 17,4 Millionen Briten verraten, die für den EU-Austritt gestimmt haben. Es war abstoßend das Jauchzen und Frohlocken der Parlamentarier zu sehen, nachdem sie den wichtigsten demokratischen Auftrag unserer Geschichte abgeräumt hatten, um mit diesem erschreckenden und schädlichen Chaos fortzufahren.
Es sollte der erste Tag unserer Unabhängigkeit von der EU seit 1973 werden. Stattdessen ist es gut möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Brexit niemals stattfindet."
Die ebenfalls rechtskonservative "Daily Mail" sieht es ähnlich: "Dieser erste Samstag im Frühjahr sollte Tag eins einer ruhmreichen neuen Ära sein. Nach 46 Jahren in der EU sollte Großbritannien wieder ein souveräner Staat sein, nicht länger unter der Teilherrschaft von Bürokraten in Brüssel, die sich nicht der Unannehmlichkeit aussetzen, gewählt zu werden.
Anstatt uns in diesem freudigen Zustand zu befinden, sinken wir tiefer ein in den Morast. Jetzt sind wir der Gnade der EU ausgeliefert, der wir glaubten, entkommen zu sein."
Die linksliberale Zeitung "Independent" schreibt: "Nach Mays dritter Niederlage im Parlament stehen wir nun mit größerer Wahrscheinlichkeit vor Neuwahlen. (...) Ein weiterer Urnengang wird schmutzig und die Rechtsextremen werden den Wahlkampf – unterstützt von Teilen der Presse – vergiften mit ihrer toxischen Mischung aus Dolchstoß-Legende und Hetze gegen Einwanderer. Doch es ist auch die Chance, die wir so dringend brauchen, um aus diesem Chaos herauszukommen."
In der konservativen "Financial Times" heißt es: "Das Parlament hat der Premierministerin, ihrer Regierung und dem Ansehen der politischen Klasse Großbritanniens einen finalen Schlag versetzt. (...) Großbritannien ist immer noch in der EU, rein rechtlich gesehen. Aber dem Land droht in 13 Tagen ein katastrophaler Austritt ohne Abkommen. Es gibt einen Ausweg aus diesem elenden Schlamassel. Aber das setzt voraus, dass eine parteiübergreifende Mehrheit im Parlament sowie die Premierministerin und ihre Regierung endlich die Interesse der Nation vor jene der Parteien stellen."
Die linksliberale Zeitung "The Guardian" formuliert einen Vorschlag für das weitere Vorgehen im Brexit-Chaos: "Der Euopäische Rat hat sich vorige Woche offen gezeigt für eine ,sinnvolle Verschiebung' des Brexit: eine längere Verhandlungsperiode, um das gespaltene Land zu einen.
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Wir sollten die Zeit nutzen, um öffentliche Regionalkonferenzen abzuhalten. Dort könnten die Menschen Klartext sprechen über die Ängste, die sie für den Brexit haben stimmen lassen. (...) Wenn wir jetzt nicht die überfällige öffentliche Debatte führen, werden künftige Historikerinnen folgern, dass unser Land sich nicht nur von seiner langen Geschichte internationalen Engagements abgewandt hat, sondern auch von seinem einst weltweit gerühmten Pragmatismus."
- Eigene Recherche
- Nachrichtenagentur dpa