Besuch in Polen Steinmeier mahnt zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Bundespräsident Steinmeier ist zu Besuch in Warschau. Dabei wirbt er für ein geeintes Europa – und mahnt bei einer Rede, dass dies nur möglich ist, wenn alle nach den gemeinsamen Werten handeln.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu Beginn seines zweitägigen Besuchs in Polen für ein geeintes Europa und für Rechtsstaatlichkeit geworben. "Zerbricht der Zusammenhalt der Europäischen Union, gewinnt dadurch niemand von uns an nationaler Durchsetzungsfähigkeit", sagte er in einer Rede anlässlich des 100. Jahrestags der polnischen Unabhängigkeit am Dienstag in Warschau.
"Ein gemeinsames Europa, das sich seiner gewiss ist und mit einer Stimme spricht, ist die Voraussetzung dafür, dass jede einzelne unserer Nationen in dieser Welt überhaupt noch Einfluss nehmen kann", sagte Steinmeier. "Getrennt voneinander würden wir nicht nur an wirtschaftlicher Stärke verlieren, sondern auch an politischer Handlungsfähigkeit", hob der Bundespräsident in seiner Rede hervor, die er bei der Konferenz "Polen und Deutschland in Europa" im Beisein des polnischen Staatschefs Andrzej Duda hielt.
Dabei betonte Steinmeier, dass Deutschland und Polen als einzelne Nationalstaaten heute "überfordert" wären. Die Mitgliedstaaten der EU hätten einen Teil ihrer Souveränität abgegeben, um zusätzlich gemeinsame, europäische Souveränität zu gewinnen. "Polen und Deutschland sind starke und unabhängige Nationen in Europa (...). Niemand bedroht die Souveränität des anderen, keiner folgt dem Diktat eines anderen."
Steinmeier: Wenn Grundregeln hinterfragt werden, sind alle betroffen
Zugleich unterstrich Steinmeier demnach, dass die Souveränität nach Außen mit "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" auch Voraussetzungen im Inneren habe. Europa sei souverän, "weil wir nach Werten und Regeln handeln, die wir uns selbst gegeben haben".
Innerhalb dieser Grundregeln gestalte jede Nation ihre Demokratie und ihren Rechtsstaat selbst. "Aber wo die Grundregeln in Frage stehen, sind alle anderen betroffen. Das macht keinen von uns stärker - besonders nicht in den Augen derer, die uns Europäer ohnehin lieber gespalten als geschlossen sehen."
Die Äußerung wurde als deutliche Kritik an Warschau gelesen. Die Europäische Union wirft der nationalkonservativen polnischen Regierung vor, mit ihrer Justizreform gegen Prinzipien des Rechtsstaates zu verstoßen. Sie hat deshalb Ende 2017 ein Sanktionsverfahren eingeleitet. Am Rande des Besuchs Steinmeiers forderte eine Gruppe Demonstranten in Warschau von der Europäischen Kommission eine Klage gegen die polnische Regierung, die eine "Demontage des Rechtsstaats" betreibe.
Gemeinsam an den Krieg gedenken
Ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten wollen Polen und Deutschland im nächsten Jahr gemeinsam an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erinnern. Steinmeier habe dies vorgeschlagen, "wofür ich ihm sehr danke", sagte Polens Präsident Andrzej Duda bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Einzelheiten und der Ort des Gedenkens in Polen stehen noch nicht fest. Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall Deutschlands auf Polen.
Duda erinnerte auf der deutsch-polnischen Konferenz an die Verbrechen des Dritten Reiches und der Sowjetunion und das Leid, dass sie über Polen und die Welt gebracht haben. Die Lehren aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts seien, dass wir nicht der "Versuchung des Egoismus und der Dominanz erliegen" sollten. "Es wäre gut, wenn Berlin auf das hören würde, was man in Warschau denkt und sagt, so wie wir auf Stimmen aus Deutschland hören", sagte er.
Mit Blick auf die Geschichte dankte Steinmeier Polen für die Bereitschaft zur Versöhnung. "Es gab wenig Veranlassung für Polen, Vertrauen zu den deutschen Nachbarn zu fassen." Der Bundespräsident erinnerte an das "Menschheitsverbrechen an den europäischen Juden" und an die Zerstörung Polens durch das nationalsozialistische Regime. Deutschland sei dankbar dafür, dass daraus eine Partnerschaft erwachsen sei.
Bilaterale Konflikte lassen sich nicht ausklammern
Streitpunkt zwischen beiden Ländern bleibt der geplante Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Das Projekt gefährde die Sicherheit der ganzen Region, sagte Duda. Polen ist seit Jahren gegen den Bau der Pipeline von Russland nach Deutschland, über die künftig noch mehr russisches Gas nach Europa transportiert werden soll.
Steinmeier erwiderte: "Die deutsche Bundesregierung baut keine Pipeline." Aber sie wisse um die politischen Implikationen und um ihre Verantwortung und bemühe sich darum, dass Nord Stream 2 den Transit durch die Ukraine nicht ersetzen werde.
Flüchtlingspolitik ist ein Konfliktpunkt
Konfliktpotenzial zwischen Deutschland und Polen bietet auch weiterhin die Flüchtlingspolitik. Dazu sagte Duda: "Die Lösung der Migrationskrise kann nur die Beseitigung ihrer Ursachen sein. Nur dann wird es möglich sein, dass die Migranten in ihre Häuser zurückkehren und dass der Migrationsdruck auf die südeuropäischen Staaten abnimmt." Polen verweigert seit Jahren eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU.
Am Mittwoch sind Treffen Steinmeiers mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der deutschen Minderheit in Polen geplant. Auch das Museum der Geschichte der polnischen Juden will Steinmeier besuchen.
- dpa
- afp