Reparationszahlungen Deutsche Politiker wollen Nazi-Verbrechen an Griechenland entschädigen
Bisher stellt sich die Bundesregierung stur - doch nun drängen Politiker von SPD und Grünen darauf, Griechenland für die Folgen der Nazi-Besatzung zu entschädigen. Es könnte um Milliarden-Summen gehen.
Sie massakrierten Frauen und Kinder, sie deportierten Zehntausende Juden nach Auschwitz, sie saugten das Land wirtschaftlich aus: 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs rücken die Gräueltaten der Nazis in Griechenland während der Besatzungszeit 1941 bis 1944 plötzlich wieder in den Fokus. Athen ruft nach Reparationen.
Schwan: Sollten "vor unserer eigenen Tür kehren"
Wie geht Deutschland mit der historischen Schuld um? Erstmals sprechen sich jetzt namhafte Vertreter von Sozialdemokraten und Grünen dafür aus, Griechenland für die Folgen der Nazi-Besatzung zu entschädigen. "Politisch ist der Fall aus meiner Sicht eindeutig: Wir sollten auf die Opfer und deren Angehörige finanziell zugehen", sagt Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission und zweimalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten.
"Ich glaube, es wäre von deutscher Seite gut, wenn wir in Sachen Vergangenheit vor unserer eigenen Tür kehren. Es geht darum anzuerkennen, dass wir in Griechenland schlimmes Unrecht begangen haben."
SPD, Grüne und Linkspartei wollen Diskussion
"Wir sollten die Frage der Entschädigungen nicht mit der aktuellen Debatte über die Eurokrise verknüpfen. Aber unabhängig davon bin ich der Meinung, dass wir die Entschädigungs-Diskussion führen müssen", sagt auch der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner: "Das gehört zum Umgang mit unserer eigenen Geschichte. Ich bin gegen Schlussstrichdebatten. Es gibt auch nach Jahrzehnten noch zu lösende völkerrechtliche Fragen."
Auch für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist jenseits der Eurokrisen-Problematik klar: "Deutschland kann die Forderungen aus Griechenland nicht einfach vom Tisch wischen." Er sagt: "Weder moralisch noch juristisch ist dieses Kapitel eindeutig abgeschlossen." Die Bundesregierung wäre aus Hofreiters Sicht "gut beraten, mit Griechenland Gespräche über die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen in Griechenland und eine gütliche Lösung zu suchen". Bislang hatte sich nur die Linkspartei offen für Entschädigungen gezeigt.
Bundesregierung blockt Forderungen Athens ab
Damit erhält eine hochsensible Debatte neue Nahrung. Seit Jahrzehnten schon streiten Deutschland und Griechenland über die Frage der Reparationen, die Syriza-Regierung um Alexis Tsipras hatte das Thema der Entschädigungen zuletzt auf vielen Kanälen in den Vordergrund gerückt und im Schuldenstreit gar mit der Beschlagnahme deutschen Eigentums gedroht.
Die Bundesregierung blockte die Wünsche aus Athen ab. Sie vertritt den Standpunkt, dass Entschädigungs-Forderungen spätestens nach der Wiedervereinigung mit dem sogenannten Zwei-Plus-Vier-Vertrag ihre Berechtigung verloren haben. So sieht es auch der Völkerrechtler Frank Schorkopf, der im Interview mit dem "Spiegel" jedoch einräumt: "Der Verweis auf formale rechtliche Standpunkte befriedet die Diskussion gegenüber Griechenland nicht mehr. Man sollte breiter argumentieren."
Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag haben sogar ihre Zweifel, ob die Bundesregierung ihre Position halten kann. Es könnte um Milliardensummen gehen. Der Streit zwischen Berlin und Athen hat zwei unterschiedliche Ebenen:
- Zum einen geht es um einen Zwangskredit in Höhe von 476 Millionen Reichsmark, den das Hitler-Regime 1942 von der griechischen Nationalbank erhielt und nie zurückzahlte. Gutachten zufolge liegt dessen heutiger Wert zwischen acht und elf Milliarden Euro.
- Entschädigungen verlangt Griechenland zudem für andere Kriegsverbrechen, etwas das Massaker von Distomo. In der Kleinstadt bei Delphi hatten Einheiten der Waffen-SS am 10. Juni 1944 218 Kinder, Frauen und Greise getötet. Bislang wurde Griechenland in den Sechzigerjahren nur im Rahmen globaler Reparationszahlungen mit der Summe von 115 Millionen Mark berücksichtigt.
Verständnis für Griechen
Das Entschädigungs-Thema hatte schon den Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Athen vor einem Jahr dominiert. Mehrfach konfrontierte das damalige Staatsoberhaupt Karolos Papoulias Gauck öffentlich mit entsprechenden Forderungen. Und obwohl dieser durchaus Sympathien für den griechischen Wunsch nach Entschädigungs-Zahlungen erkennen ließ, musste er die harte Linie der Bundesregierung vertreten.
Gesine Schwan sieht Deutschland nun grundsätzlich in der Pflicht. "Das Leid der Griechen unter den Nationalsozialisten ist möglicherweise nicht so sehr im Bewusstsein von uns Deutschen. Aber die Opfer und deren Nachfahren haben das längere Gedächtnis als die Täter und deren Nachfahren", sagt sie. Der Zwangskredit müsse "selbstverständlich zurückgezahlt" werden. "Den Vorschlag, weitere Entschädigungen in eine Stiftung zur Aufarbeitung und Versöhnung fließen zu lassen, halte ich für sinnvoll."
Auch Stegner und Hofreiter plädieren dafür, auf Athen zuzugehen, warnen aber davor, das Thema vor der Schablone der Schuldenkrise zu sehen. Fragen der Entschädigungen verlangten "viel Sorgfalt und einen richtigen Rahmen", sagt Stegner. "Das muss jenseits des Tagesgeschäfts passieren." Kollege Hofreiter nennt es "inakzeptabel, wenn diese hochsensible und schwierige Frage mit den Verhandlungen um finanzielle Hilfe in der Eurokrise vermischt wird".
Schwan sieht das explizit anders. "Psychologisch", sagt sie, "ist aus meiner Sicht sehr gut zu verstehen, dass Griechenland in der aktuellen Situation auch umgekehrt fragt, ob wir Deutschen uns immer so redlich verhalten haben."