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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Artenschutz "Früher gab es ein Kopfgeld für jeden getöteten Hamster"
In den Städten breiten sich die Wildtiere aus. Nur selten führt das zu Konflikten. Auf dem Land kämpfen dafür immer mehr Arten ums Überleben.
Die inoffizielle Waschbärenhauptstadt Europas liegt mitten in Deutschland: Kassel zählt seit einigen Jahren so viele der Kleinbären wie kaum ein anderer Ort. In Berlin tummeln sich derweil die Füchse und so mancher Dachs macht es sich auch in Gärten gemütlich. Soweit, so harmonisch.
Außerhalb der Städte hat die Konkurrenz von Mensch und Tier aber zunehmend dramatische Konsequenzen: Knapp ein Drittel der Säugetiere in Deutschland ist in seinem Bestand gefärdet. Das besagt die aktuelle Rote Liste des Bundesamtes für Naturschutz.
Zum Tag der Artenvielfalt hat t-online darüber mit Dr. Andreas Kinser gesprochen. Er ist der stellvertretender Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung und fordert mehr naturnahe Lebensräume für die heimischen Tiere.
t-online: Herr Kinser, bei all den Wildtieren in den Städten – wird es im Wald langsam ziemlich leer?
Dr. Andreas Kinser: Auch in den Wäldern werden die Arten zum Teil weniger. Aber beispielsweise bei den Waldvögeln haben wir in den letzten 20 bis 30 Jahren sogar einen leichten Anstieg beobachtet. Auch beim Rothirsch erleben wir schon lange ein Populationswachstum. Und im Pfälzer Wald und im Harz waren Aussetzungs-Projekte für Luchse sehr erfolgreich. Die breiten sich dort nach wie vor aus.
Ist das Artensterben in Deutschland also gar kein so großes Thema?
Oh doch, vor allem in den offenen Lebensräumen, also auf Feldern und Wiesen. Dort gilt: je kleiner die Tierart, desto größer das Problem. Das fängt zum Beispiel beim Feldhasen an. Die sind in Deutschland zum Glück nach wie vor nicht vom Aussterben bedroht. Aber es gibt heute sehr viel weniger Feldhasen als noch vor 50 Jahren, weil ihr Lebensraum immer stärker von der Landwirtschaft genutzt wird. Ihre Lebensbedingungen sind dadurch einfach deutlich schlechter als früher.
Gibt es auch Tiere, die weniger robust sind als der Feldhase?
Wenn wir noch kleiner werden, dann sind wir beim Feldhamster – und da ist es schon fünf nach zwölf. In den 50er, 60er und 70er Jahren war der Feldhamster in Deutschland noch eine Plage. Da gab es quasi ein Kopfgeld für jeden getöteten Hamster. Heute ist die Art in den allermeisten Bundesländern ausgestorben. Und in den letzten Refugien in Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Bayern ist der Feldhamster hochgradig bedroht.
Was hat sich auf den Feldern denn in den vergangenen Jahrzehnten am stärksten verändert?
Die Landwirtschaft ist deutlich produktiver geworden: Die Pflanzen stehen dichter zusammen, es gibt sehr wirksame Pestizide, die Ernteverfahren sind genauer. Vor 100 Jahren war die Ernte eines Quadratmeters Weizen vielleicht zwei Handvoll Weizenkörner. Heute könnte man damit eine ganze Milchtüte füllen.
Das klingt doch erstmal gut.
Für uns, die wir Lebensmittel produzieren wollen, ist das auch gut. Aber es ist schlecht für den Feldhamster, der keine Körner mehr findet, und für Schmetterlinge und Bienen, die sich von den Blüten der Unkräuter ernährt haben. Ich nutze auch gerne das Rebhuhn als Beispiel: Das war früher eine Allerwelts-Art, heute gibt es in den meisten Landschaften gar keine Rebhühner mehr.
Die Deutsche Wildtier Stiftung kürt das Tier des Jahres und setzt sich dafür ein, dass Lebensräume wilder Tiere erhalten werden. Dass der Schutz von Arten eng mit dem Schutz ihrer Lebensräume zusammenhängt, gilt besonders auch für den Schreiadler, den Sie auf einer Webcam der Stiftung jetzt live beobachten können.
Die Tiere ziehen in der Konkurrenz mit dem Menschen den Kürzeren. Mit schlimmen Konsequenzen. Muss das so sein?
Auf keinen Fall. Wir als Deutsche Wildtier Stiftung kämpfen für mindestens sieben Prozent naturnaher Lebensräume in Feld und Flur. Wenn wir diese Flächen für die Natur bereitstellen, können wir es schaffen, wieder mehr Artenvielfalt in diesen Landschaften zu bekommen. Wichtig wären Brachen und gezielt angelegte, blühende Felder, aber auch Randstrukturen wie Hecken. Diese drei Landschaftselemente würden den Tierarten sehr, sehr guttun.
Sind wir denn schon auf einem guten Weg dorthin?
Na ja, das hat natürlich sehr viel mit den unterschiedlichen Landschaften zu tun. Beispielsweise in der Magdeburger Börde und der Hildesheimer Börde gibt es extrem gute, produktive landwirtschaftliche Böden – wenn es hoch kommt gibt es da ein oder zwei Prozent naturnaher Lebensräume.
In anderen Landschaften, in denen es sehr schlechte Böden gibt, oder in Hanglagen, wo eine Bewirtschaftung schwieriger ist, gibt es auch schonmal fünf bis sechs Prozent. Aber insgesamt gibt es in Deutschland wahrscheinlich deutlich weniger als drei Prozent naturnaher Lebensräume.
Macht es dann Sinn, sich beim Naturschutz auf wenige sehr prominente Arten zu stürzen?
Feldhamster, Rebhuhn und Co. sind ja immer nur Statthalter für ganze Ökosysteme. Wenn wir mit ihnen Kampagnen machen, stehen diese Tiere für eine Vielzahl von Arten, auch für die kleinsten Insekten und für Pflanzen, die wir versuchen zu schützen. Aber wir erleben immer wieder, dass den Menschen der dramatische Artenschwund nicht bewusst ist. Unser Ziel ist deshalb, diese Botschaften noch stärker in die Gesellschaft zu tragen.