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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Honigproduktion in Berlin Bienen auf dem Hausdach: "Manche drehen völlig durch"
Auf den Dächern Berlins wohnen die "Kiezbienen" von Marco Kerber. Mitten in der Hauptstadt pflegt der Hobbyimker die Insekten, ohne die unsere Teller deutlich leerer wären. Seine Mission ist aber noch viel größer.
"Versprich mir, dass du nicht vom Dach springst!", lautet Marco Kerbers Begrüßung. Er und seine Frau Alex sitzen vor dem Eingang eines Altbaus und warten. Sofort fallen seine rosafarbenen Dr.-Martens-Schuhe auf. Sehr hipp, dieser Kiezimker, der eigentlich eine Eventagentur führt.
"Wir haben es schon erlebt, dass Leute auf dem Dach völlig durchdrehen. Es kann sich schon mal eine Kiezbiene ins Haar verirren." Nicht jeder bleibe in der Nähe der Bienen entspannt. Dabei würden sie nur stechen, wenn sie sich akut bedroht fühlten, sagt Kerber. Auf dem Hausdach im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg ist das selten der Fall – hier, mehr als 15 Meter über Autos, Fußgängern und Alltag, ist Platz.
Durch die Dachluke geht es zu den Bienenstöcken. Einst besetzten linke Aktivisten das Haus; auch jetzt verwalten die Mieter es selbst. Die Bienen der Kerbers sind hier willkommen.
Als die beiden auf das Flachdach klettern, erstreckt sich ein weiter Panoramablick auf Berlin. Der Fernsehturm am Alex, Kirchturmspitzen, einige wenige Hochhäuser – über der Skyline schwirren die Bienen. "Kann es einen schöneren Arbeitsplatz geben?", fragt Marco Kerber und breitet die Arme aus.
Im Video oben können Sie selbst einen Eindruck von der Imkerei über den Dächern Berlins bekommen. Oder Sie klicken hier.
Gutes Image, guter Zweck
Kerber ist 47 Jahre alt. Seit rund sechs Jahren ist seine große Leidenschaft auch sein liebstes Hobby: Bienenvölker. Durch sie hat er zahlreiche Freundschaften geknüpft und herausgefunden, wie er die Städter für Naturschutz und Nachhaltigkeit begeistern kann.
"Wir nutzen das Image der kleinen süßen Honigbiene. Es ist erstaunlich, was dieses Tier für Hemmungen abbaut und Türen öffnet." Als Imker gehen er und seine Frau an Schulen, organisieren Nachbarschaftstreffs und Demos und klären so darüber auf, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen.
Heute ist es bewölkt und frisch, ab und zu blitzt die Sonne durch die Wolken. Für die Bienen ist die Kälte zu dieser Jahreszeit ungünstig. Sie sind dann träger und fliegen weniger zu den Blüten, mit deren Pollen sie ihre Königin, die Larven und sich selbst ernähren.
Kerber füttert dann teils zu – mit Honig aus dem vergangenen Jahr. Für solche Notfälle bewahrt er davon immer etwas auf. Das Bienensterben in Deutschland ist zwar zunehmend ein Thema, aber wenigstens seine Völker sollen überleben.
"Bioprodukte kaufen, ist zu wenig"
"Die Biene ist das Sinnbild für Nachhaltigkeit und Naturschutz", sagt Kerber, während er vorsichtig einen von aktuell drei Stöcken öffnet. "Wir versuchen, die Leute aufzuklären. Hört auf, einfach nur Bioprodukte zu kaufen und zu glauben, das reicht. Das ist zu wenig, wenn das Bioprodukt dabei den weiten Weg aus Chile kommt!"
Der Imker will die Menschen dafür sensibilisieren, dass es auch darauf ankommt, woher die Produkte stammen. Regionale und saisonale Lebensmittel seien beispielsweise ein guter Weg, um heimische Landwirte zu unterstützen und so auch den Bienen zu helfen. Je vielfältiger die Äcker, Wiesen und Blühstreifen, desto mehr Futter gebe es. Die Verantwortung fange im Supermarkt an, findet Kerber.
Herr über 400.000 Bienen
In dem offenen Bienenstock ist viel Betrieb: Unaufhörlich fliegen Bienen los, andere kommen gerade zurück, an ihren Hinterbeinen kleben dicke gelbe Säcke voll Pollen – die sogenannten Pollenhöschen. Von innen ist ein leises, stetes Summen zu hören. Auf einem der Gitter, das Kerber jetzt heraushebt, tummeln sich rund 3.000 Bienen.
Jede hat hier ihre Aufgabe: aufräumen, verteidigen, die Königinnenlarven mit Gelée royale füttern. Einige ganz junge Bienen knabbern sich gerade aus ihrer sicheren Brutzelle. In dem Gewusel wandert die Königin über die Waben, um eines ihrer täglich 2.000 Eier abzulegen. Ihr Hofstaat aus Ammenbienen ist immer dabei und kümmert sich um sie.
In der Sommersaison besitzt Kerber rund 400.000 dieser Insekten. Sein Hobby bedeutet allerdings auch viel Arbeit und Verantwortung. Theoretisch kann jeder ein Bienenvolk und das nötige Zubehör kaufen. Imkern als Zeitvertreib ist in Deutschland seit einigen Jahren wieder sehr beliebt und viele Imkerverbänden heißen neue Interessenten gerne willkommen.
Damit die Bienenvölker nicht krank werden, eingehen und sterben, ist allerdings viel Wissen nötig. Auch Kerber lernt nach über sechs Jahren noch immer dazu. Vorsichtig legt er kurz seinen Handrücken auf die Bienenschar. "Ganz sanft. Man fühlt wie weich und warm sie sind."
"Übernehmt endlich Verantwortung"
Für Kiezimker Kerber ist die Botschaft rund um die Bienen genauso wichtig wie das Hobby selbst. Vielleicht sogar noch wichtiger. "Wenn ihr euren Kindern irgendetwas auf dieser Erde überlassen wollt, übernehmt endlich Verantwortung! Oder was ist eure Ausrede?"
Bei günstigen Preisen vergäßen viele die Konsequenzen langer Transportwege und giftiger Pestizide für Natur und Insekten. Dabei sind Bienen und Schmetterlinge mit ihrer Bestäubung von Pflanzen wesentlich dafür, dass es viele Obst- und Gemüsesorten überhaupt gibt. Kerber wünscht sich, dass die Insekten und die gesamte Natur im Gegenzug respektvoll behandelt werden.
Regionale Produkte kaufen, weniger Fleisch essen und vor allem den eigenen Konsum hinterfragen: Das seien drei wichtige Ansatzpunkte. Mit den Kiezbienen in Prenzlauer Berg will Marco Kerber seinen kleinen Teil zur Aufklärung beitragen. Er hofft, dass die Menschen nach und nach bewusster konsumieren. Und es für die Bienen und die Umwelt dann nicht schon zu spät ist.
- Gespräch mit Marco Kerber und Besuch der Kiezbienen