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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Skurrile Kalksteinformationen Hier sieht die Landschaft aus wie auf dem Mond
Ein Wald aus Kalkstein: Die Tsingys de Bemaraha auf Madagaskar wirken wie Landschaften aus frühen Science-Fiction-Filmen. Doch auf der Insel gibt es noch mehr zu entdecken.
Ein Fehltritt in sengender Hitze könnte tödliche Folgen haben. Messerscharfe Felskanten zeichnen sich vor dem blauen Himmel ab. Braun und abgegriffen da, wo sich schon Tausende schweißnasse, sonnencremeschmierige Hände festklammerten. In kühlen Felsspalten verstecken sich Schlangen und Skorpione. Die Tsingys de Bemaraha sind ein lebensfeindlicher Ort – und einer der meistbesuchten in Madagaskar.
Landschaft wurde nach Absinken des Meeresspiegels sichtbar
"Wir müssen überleben", sagt Njara Andriamasina. "Das ist das Einzige, was zählt." Zur Saison ist NJ – das können sich die Touristen besser merken – jeden Tag in der surrealen Wüstenlandschaft des Nationalparks unterwegs. Das Labyrinth aus grauen Kalksteinen ist durch Ablagerungen von Riffen entstanden, die nach dem Sinken des Meeresspiegels freigelegt und im Laufe von Jahrtausenden zu teils stecknadelspitzen Felsauswaschungen wurden.
Wer es gemeinsam mit NJ erklimmen will, muss über steile Leitern und schmale Trittsteine klettern, sich durch Felsspalten zwängen, unter Überhängen kriechen und über eine wacklige Hängebrücke in 70 Metern Höhe balancieren. Aber NJ sorgt sich nicht um die Abenteuerlust der Touristen. Das Überleben, das er meint, ist ein ständiger Kampf. Allgegenwärtig wie der feine Staub in der trockenen Luft.
Madagaskar ist kein typisches Touristenziel
Madagaskar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Analphabetenrate liegt bei 35 Prozent, der Durchschnittslohn von Lehrern oder Bürokräften bei etwa 100 Euro monatlich. Statt Bausparvertrag und Autokredit gibt es die Möglichkeit, über die Zebu-Bank für die Feldarbeit ein Rindvieh im Wert von 50 bis 300 Euro zu finanzieren.
Ein Vazaha, ein Weißer, fällt hier überall auf. Die Kinder schmettern das Wort gegen die Fenster des vorbeifahrenden Reisebusses, Erwachsene tuscheln es mal mehr und mal weniger offensichtlich hinter vorgehaltener Hand. Madagaskar, etwa anderthalb mal so groß wie Deutschland, ist keine Touristeninsel. Auf den holprigen Straßen sind statt Mietwagen hauptsächlich Fußgänger zwischen völlig überladenen Busch-Taxis und klapprigen Fahrrädern unterwegs. Anstelle von Haltebuchten für Reisebusse gibt es an den Dorfrändern große Zebu-Parkplätze und vor den sonnenbleichen Kolonialgebäuden der Innenstädte verkaufen alte Frauen lieber Hühner und BHs als teure Souvenirs.
Geschichten von Vanille, Piraten – und der Pest
Der All-inclusive-Traum aus dem Hochglanzprospekt wartet anderswo. Madagaskar ist eher wie die kleine Pension, an der man beinahe vorbeigelaufen wäre: schäbig hier und da, irgendwie aus der Zeit gefallen und doch mit einem wilden Mix reizvoller Details ausgestattet. Es scheint fast, als hätte jemand einen Sepia-Filter gelegt über die windschiefen Holzhäuschen vor dampfenden Regenwäldern, in denen einzigartige Lemuren und Chamäleons leben. Über die rote Prärie und die terrassenförmig angelegten Reisfelder im Hochland, zwischen denen Gebäude aus selbst gebrannten Backsteinen aufragen. Über die Strände im Westen, wo die Straße von Mosambik ihre Wellen direkt vor die Hütten aus Palmwedeln wirft.
Und Zeit ist ohnehin relativ auf einer Insel, deren Geschichten sich um 18 Ethnien ranken, die – ohne klares Wann und Warum – einst aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten kamen, um Piraten und Ahnenverehrung, um Vanille und die Pest.
Die Tsingys liegen sieben Stunden von der Küstenstadt Morondava entfernt
200 Kilometer Staub und Schlaglöcher liegen zwischen Kokosnüssen, Wellen, Meeresbrise und dem höllenheißen Wald aus spitzen Kalksteinnadeln. Dicke Affenbrotbäume stehen militärisch gerade Spalier und trotzen der Trockenheit seit Hunderten von Jahren – ohne Blätterdach scheinbar kopfüber, als würden die Baobabs mit den Wurzeln gen Himmel wachsen.
Sieben Stunden dauert die abenteuerliche Fahrt von der Küstenstadt Morondava zu den Tsingys, inklusive der Fähre aus zusammengezimmerten Brettern, auf die die alten Jeeps verladen werden.
Unterwegs muss der Touristenkonvoi in einem Dorf haltmachen: Solange Viehdiebe in der Gegend ihr Unwesen treiben, bolzen die Ausländer mit den Kindern um einen zusammengebundenen Stoffball. Doch gerade deswegen, wegen der Unwägbarkeiten, weil inzwischen fast jeder, den man kennt, schon einmal auf Safari, aber noch niemand in Madagaskar war, kommen die meisten Touristen auf die Insel im Indischen Ozean.
200 Touristen täglich – in der Hauptsaison
Selbst der Strand von Morondava, gleich neben den Hotels, gesäumt von einem Wirrwarr aus Palmhütten, gehört noch ganz und gar den Einheimischen. Kinder surfen mit Palmbrettern auf den kleinen Wellen, Fischer ordnen neben bunten Holzbooten ihre Netze. Frauen, die mit dem Fang des Tages im Schatten eines aufgespannten Tuchs sitzen, werfen sich noch stolz in Pose, wenn sie als Fotomotiv herhalten dürfen – obwohl die Besucherzahlen im Weltnaturerbe vor ihrer Haustür langsam steigen.
In der Hauptsaison, zwischen Juli und Oktober, besuchen tagtäglich etwa 200 Touristen den Tsingy-Nationalpark. Nicht nur die Hotels, die Reggae-Bars und Jeep-Verleiher in Morondava profitieren davon, in NJs Dorf lebt heute sogar fast ein Viertel der Bewohner vom Tourismus. „Als der Nationalpark eröffnet wurde, dachten die Leute, die Regierung stiehlt ihr Land“, erinnert sich der 46-Jährige. „Aber mittlerweile gehen 50 Prozent der Eintrittsgelder an die lokale Bevölkerung.“
Einnahmen aus Sommermonaten müssen für das ganze Jahr reichen
NJ bekommt pro Vierergruppe, die er durch die Natur führt, 100.000 Ariary, etwa 27 Euro. Damit kann er es sich sogar leisten, seine vier Kinder auf eine vernünftige Schule, weit weg von ihrem Heimatdorf, zu schicken. „Bei uns“, sagt er, „kommt der Lehrer nur, wenn er Lust hat.“
Das Geld aus den Sommermonaten muss für das ganze Jahr reichen, denn in der Regenzeit, wenn die Straße unpassierbar ist, kommen überhaupt keine Touristen mehr ins Dorf. So leben die Menschen in schlichten Hütten, vor denen zerschlissene T-Shirts auf Zäunen und Büschen trocknen. Frauen, die Fische auf dem Kopf und Hühner in der Hand tragen, laufen kilometerweit durch den Staub, um ihre Waren zu verkaufen. Gängigstes Verkehrsmittel sind Einbaum-Kanus, die – wurde das Holz sorgfältig ausgewählt – fast länger ihren Dienst tun als ein VW Golf. Und der Fluss, den sie Manamulu, Segen, nennen, liefert gleichzeitig das Trink- und das Waschwasser, Fische und ausreichend Flüssigkeit für die Reis-, Maniok- und Süßkartoffelfelder.
150.000 Hektar Kalksteinformationen
Hoch oben auf der Aussichtsplattform ist von all dem nichts zu sehen. Die stille graue Mondlandschaft der Tsingys erstreckt sich, 150.000 Hektar groß, bis zum Horizont. Mal geht es vorbei an Drachenköpfen mit scharfen Zähnen, mal schießen spitze Wolkenkratzer hoch in den Himmel, mal türmen sich die Kalksandsteinformationen über den Köpfen so zusammen, dass nur noch ein gezacktes Kreuz den Blick ins Blaue freigibt.
Genauso schnell, wie sich die Wasserflaschen leeren, färben sich die T-Shirts unter steten Rinnsalen langsam eine Nuance dunkler. Dann endlich mündet die schroffe Welt des Klettersteigs in einen lichten Trockenwald. Braune Lemuren und weiße Sifakas glotzen von ihren Schattenplätzen in den Bäumen neugierig auf die Wanderer herab. Ein Vazaha fällt in Madagaskar eben überall auf.
Weitere Informationen:
Anreise: Ab Berlin, Hamburg oder Frankfurt zum Beispiel mit Turkish Airlines über Istanbul nach Antananarivo.
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Einreise: Deutsche Staatsangehörige benötigen für die Einreise nach Madagaskar ein Visum, das bei Ankunft am internationalen Flughafen von Antananarivo-Ivato für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen ausgestellt wird.
Gesundheit: Im Hochland besteht ein geringes, an der Küste ein hohes Malariarisiko. Je nach Reiseprofil empfiehlt das Auswärtige Amt eine Chemoprophylaxe.
- Reiseredaktion SRT