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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Japan Im Dorf der Hundertjährigen
Es gibt einen Ort in Japan, an dem sehr viele Menschen überdurchschnittlich alt werden. Machen Sie mit uns eine Reise nach Ogimi - auch in unserer Foto-Show.
"Po anspannen, ein Bein nach vorne ausstrecken. Nicht vergessen, die Zehen nach oben halten!" Acht hochbetagte Damen setzen sich gerade auf ihre Stühle und folgen den Instruktionen der Gemeindearbeiterin von Ogimi. "Und jetzt langsam den Kopf nach rechts drehen", lautet die Anweisung. Acht Köpfe drehen sich nach rechts. Auch der graue Lockenkopf von Sumiko schaut in diese Richtung, während ein Bein immer noch geradeaus gestreckt ist. Für Sumiko ein Kinderspiel. Regelmäßig kommt sie in den Gemeindesaal von Ogimi, um mit ihren Altersgenossinnen Gymnastik zu machen. Sumiko ist 97 Jahre alt, die Nachbarinnen zur Linken und Rechten, Nakaima 90 und Taika 93.
Gymnastik ist hier Standard
Mit fast 100 Jahren leichten Sport zu treiben, ist in dem Dorf Ogimi nichts Besonderes. Der Ort liegt ein wenig versteckt landeinwärts im Norden der japanischen Präfektur Okinawa. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu verstehen, warum hier die Uhren so ganz anders ticken als im Rest von Japan: Die rund 100 Kilometer lange und 25 Kilometer breite Insel liegt etwa je 600 Kilometer von Taiwan beziehungsweise China entfernt, am Rand der Südsee und am äußersten Zipfel des Landes. Die Regierungsstadt Tokio im Norden ist mit über 1500 Flugkilometern weit entfernt.
Das Fehlen von hektischen Millionenmetropolen und großen Industriekomplexen erlaubt den 1,4 Millionen Einwohnern, von denen die meisten auf der Hauptinsel Okinawa wohnen, ein offenbar stressfreieres Leben als anderswo in Japan. "Die Insel wurde nie industrialisiert", erklärt Till Weber, deutscher Honorarkonsul und Japankenner. Stattdessen leben Okinawa und die 160 weiteren zur gleichnamigen Präfektur zählenden Inseln von der Landwirtschaft, der Fischerei und immer öfter auch vom Tourismus. Das Festhalten an bäuerlichen Traditionen in einer Tropenlandschaft mit Traumstränden führt offenbar zu tiefenentspannten Inselbewohnern, die besonders alt werden. Sumiko und ihr Dorf Ogimi sind dafür das beste Beispiel. Hier kommen auf 3200 Einwohner 13 hundertjährige Frauen. Das ist die höchste Zahl an Hundertjährigen in ganz Japan.
Sport und Nachrichten als Geheimtipp
Gefragt nach dem Geheimnis eines langen Lebens, erklärt Sumiko: "Ich mache jeden Morgen Gymnastik und höre Nachrichten. Aber das Wichtigste ist, dass man nicht immer zu Hause bleibt, sondern mit den anderen etwas unternimmt." Sumikos Mann ist vor 15 Jahren gestorben, seitdem lebt sie allein und meint: "Frauen müssen stark sein." Sie hat sechs Kinder und 28 Enkel. Etwas analytischer hat die Wissenschaft die Langlebigkeit der Bewohner von Ogimi unter die Lupe genommen. Vor allem die gesunde Ernährung spielt eine Rolle: Auf dem Speiseplan stehen viel Schweinefleisch, viel grünes Gemüse, Tofu und wenig Salz. Aber auch die inseltypische vitaminreiche Shikuwasa-Mandarine und die Bittergurke werden oft aufgetischt. Die Wirtin des örtlichen Gasthauses, die erst 67 Jahre junge Emisan, schwört vor allem auf Zutaten wie Seetang und Fenchel.
Hinzu kommen Bewegung sowie Beschäftigung. Wenn Sumiko nicht im kleinen Gemüsegarten arbeitet, bummelt sie durchs Dorf, ratscht mit den Nachbarn oder geht ihrer Leidenschaft nach und schreibt Tagebuch. "Die stapeln sich schon zu Hause, ich wollte sie wegschmeißen", erzählt sie. Aber die Kinder hätten sie davon abgehalten. Die Gymnastik ist beendet. Die acht Seniorinnen stehen auf und warten gespannt, bis Tanzmusik aus dem Lautsprecher ertönt. Und kaum haben die ersten Takte begonnen, wiegen sie sich rhythmisch zur Musik. Manche suchen sich eine Partnerin, um sich langsam, aber bestimmt über das Parkett zu schieben. Einige summen die Melodie mit. Singen und Tanzen - und das ohne Rollator und ohne Hörgerät. Heitere Gelassenheit strahlen diese Damen aus. Das Altwerden fällt ihnen nicht schwer, weil sie dabei unbewusst einfachen Regeln folgen, die sich jeder leisten kann: Sie haben kein Übergewicht, sind auch im hohen Alter noch aktiv und arbeiten, ernähren sich gesund und vor allem sind sie nicht einsam.
Sumiko bleibt mitten beim Tanzen stehen. Sie muss ein bisschen Luft holen, so viel Bewegung ist doch ganz schön anstrengend für 97 Jahre. Sie tippelt auf ihren Stuhl zu, lacht und sagt: "Heute schreibe ich in mein Tagebuch, dass Journalisten da waren und wissen wollten, wie man so alt wird."
Weitere Informationen:
Japanische Fremdenverkehrszentrale, Kaiserstraße 11, 60311 Frankfurt, Tel. 069/20353, www.jnto.de. Anreise: Frankfurt - Tokio/Haneda - Okinawa und zurück ab 655 Euro ohne Stopover in Tokio, mit Stopover kommen noch 75 Euro für die Übernachtung hinzu. Unterkünfte: Okinawa bietet in jeder Preisklasse Zimmer (Mittelklasse um die 50 Euro), vor allem in der Hauptstadt Naha.