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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wer rettet Bagamoyo? Deutschlands vergessene Hauptstadt
Wie ein vergessenes Stück Heimat schlummert Bagamoyo südlich des Äquators. Ende des 19. Jahrhunderts war der Ort die erste Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas. Vorher waren schon Araber, Sultane, Entdecker, Karawanen und Sklaven da. Nun droht die einstige Pracht zu verfallen. Sehen Sie Bagamoyo auch in unserer Foto-Show.
Still und von Welt und Heimat vergessen liegen 20 Gräber unter Palmen und Akazien auf einer Anhöhe. Der Friedhof überblickt den tiefblauen Indischen Ozean. Ein schöner Ort, um die letzte Ruhe zu finden. "Unterlieutnant z. See Max Schelle - 24 Jahre alt fiel er am 19. Mai 1889 beim Sturm auf die befestigte Stellung bei Bagamoyo, Allen voran, der erste im feindlichen Lager" steht auf einem schwarzen Granitstein. Die Inschriften gleichen sich, hier wurden fast nur junge deutsche Männer beerdigt, die in Tansania ihr Leben ließen. Damals hieß die Region Deutsch-Ostafrika, und Bagamoyo war die erste Hauptstadt der neuen Kolonie.
Gebiet in Tansania unter "kaiserlichem Schutz"
Ein Jahr vor dem Tod des jungen Matrosen wurde hier die deutsche Flagge gehisst, nachdem die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft in der Region immer mehr Land erworben hatte und Kaiser Wilhelm I. das Gebiet 1885 unter "kaiserlichen Schutz" gestellt hatte. Die Ausbreitung der Deutschen führte zu einem Aufstand der damals vorherrschenden Araber. Um ihn niederzuschlagen, wurde der Afrikaforscher Hermann Wissmann zum Reichskommissar für Ostafrika ernannt. Er stellte eine 800-köpfige Truppe aus Sudanesen und Zulus sowie 200 deutschen Matrosen und Offizieren zusammen. Der Konflikt endete, als die Deutschen Bagamoyo erstürmten.
"Die Stadt ist ein Muss für alle geschichts- und kulturinteressierten Besucher", sagt Rudolf Blauth, Vorsitzender des deutschen Vereins "Freundeskreis Bagamoyo", der seit 1989 den Kulturaustausch zwischen Deutschland und Tansania unterstützt. Die heute 35.000 Einwohner zählende Kleinstadt zeugt noch vom vergangenen Glanz, ist aber in einen tiefen Dornröschen-Schlaf gefallen. Eile ist geboten, denn mit jedem neuen Tag verfällt Bagamoyo etwas mehr.
An Bagamoyo nagt der Zahn der Zeit
"Es ist erschreckend, bei manchen Gebäuden steht kaum noch ein Stein auf dem anderen", sagt die deutsche Architektin Annika Seifert, die in der 70 Kilometer entfernten Metropole Daressalam arbeitet. "Aber die Stadt ist auch äußerst charmant, gerade weil sie so verfallen ist." Wer für den Erhalt und die Renovierung der vielen Sehenswürdigkeiten bezahlen soll, ist derweil unklar. Sicher scheint: Bagamoyo teilnahmslos dem nagenden Zahn der Zeit zu überlassen, brächte einen nicht wiedergutzumachenden Verlust.
Denn der Ort steht für Schicksale und Legenden, ist ein Freilichtmuseum voller Melancholie und Nostalgie. "Es ist ein Knotenpunkt, in dem die Fäden der Eroberungsgeschichte zusammenlaufen. Hier landeten die Schiffe der Inder und Perser, hier herrschten Araber, Portugiesen und die Sultane von Sansibar, hier begannen die europäischen Entdeckungsreisen, hier endeten die Karawanen der orientalischen Menschenjäger", schwärmte der Afrika-Experte Bartholomäus Grill nach einem Besuch.
Wichtiger Handelspunkt
Britische Entdeckungsreisende wie John Hanning Speke und Henry Morton Stanley nutzten die Stadt am Meer als Ausgangspunkt für ihre Erkundungen im Hinterland. Für ihren Landsmann David Livingstone war Bagamoyo hingegen der Endpunkt seines afrikanischen Abenteuers: Am 15. Februar 1874 wurde der Leichnam des Forschers und Missionars von Dienern in die Stadt gebracht. Sie hatten ihn neun Monate lang aus Sambia in die Hafenstadt getragen. Livingstones Herz wurde übrigens auf eigenen Wunsch herausgeschnitten und unter einem Baum in Sambia begraben. Nach einer Trauerfeier mit Hunderten freigelassener Sklaven wurde die Leiche von Bagamoyo nach England überführt und in der Westminster Abbey beigesetzt. Heute zeugen die Livingstone Church und das Livingstone Memorial von diesem denkwürdigen Tag.
Vor allem begann und endete in Bagamoyo aber die berühmte Handels- und Karawanenroute in das Innere Ostafrikas. Vorangetrieben vom Sultan von Sansibar wurde mit Gütern wie Salz, Kopra, Stoffen und Elfenbein gehandelt. Die Stadt entwickelte sich rasant zu einem wohlhabenden und strategischen Zentrum und einem Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Gleichzeitig besiegelte Bagamoyo das Schicksal unzähliger Sklaven, die nach einem 1200 Kilometer langen Fußmarsch von Kigoma am Lake Tanganjika am Ozean ankamen und auf traditionellen Dhaus nach Sansibar und Arabien verschifft wurden.
Für Deutsche gibt es kaum einen interessanteren Ort in Ostafrika
An sie erinnert auch der Name Bagamoyo: Das suahelische Wort bedeutet soviel wie "Leg Dein Herz nieder". Einmal auf den Booten, gab es für die Sklaven keine Hoffnung mehr, jemals die Ketten zu sprengen und wieder frei zu werden. Ihr Herz ließen sie auf dem afrikanischen Festland zurück. Bereits seit 2009 läuft ein Antrag der tansanischen Denkmalschutzbehörde bei der Unesco, um für die ehemalige Sklavenroute "Kigoma-Bagamoyo" den Status des Weltkulturerbes zu bekommen. Bisher erfolglos. "Was sollen die jahrelangen Bemühungen um das Weltkulturerbe, solange die tansanische Regierung zu keinerlei Eigeninitiative bereit ist - sie es also eigentlich nicht für besonders wichtig hält?", kritisiert Rudolf Blauth.
Dabei hätte der Ort die Werbung dringend nötig. Die meisten Tansania-Urlauber gehen auf Safari im Norden und fliegen dann weiter zum Strandurlaub nach Sansibar. Sowohl die Serengeti als auch der Ngorongoro-Krater und die historische Altstadt Sansibars - Stone Town - gehören zum Weltkulturerbe. Bagamoyo ist hingegen kaum bekannt und wird nur von den wenigsten als Ausflugsziel eingeplant. Gerade für Deutsche gibt es indes kaum einen interessanteren Ort in dem ostafrikanischen Land, um auf Spurensuche zu gehen. Ob das alte Zollhaus direkt am Strand, die eindrucksvolle "Boma" (die ehemalige Bezirksamtsverwaltung), das frühere deutsche Krankenhaus, das dreistöckige Fort, die Alte Deutsche Schule (heutige Mwambao-Schule) oder der Friedhof - wer sich auf die verfallene Pracht Bagamoyos einlässt, atmet wahrhaft Geschichte.
Das Fort könnte jederzeit einstürzen
Aber beim Rundgang mit einem der zahlreichen Stadtführer wird auch deutlich, wie wenig sich die Tansanier um den Erhalt scheren. Beispiel: Das alte Fort. Das mächtige Steingebäude wurde ab 1894 von den Deutschen als Garnison benutzt und ausgebaut. Später - nachdem britische Truppen 1916 nach Bagamoyo einmarschiert waren und der deutschen Zeit in der Region ein Ende setzten - wurde es als Gefängnis und Polizeistation genutzt.
Obwohl die Denkmalschutzbehörde das 140 Jahre alte Gebäude verwaltet, ist es vor allem innen völlig verkommen. Manche Räume liegen in Schutt, andere werden nur noch von Stützbalken gehalten. "No entrance - Room at risk!", steht auf einen Zettel gekritzelt. Paul, der für das Tourismusministerium als Führer arbeitet, deutet auf eine Mauer im zweiten Stock. "Siehst Du den riesigen Riss?", fragt er und lacht dabei. "Dieser Teil des Forts könnte jederzeit einstürzen." Besorgnis ist in seiner Stimme nicht zu hören.
Das Land an der Armutsgrenze
"Tansania ist für den Erhalt von Bagamoyo verantwortlich", sagt die Architektin Annika Seifert. "Aber für ein Land, das an der Armutsgrenze lebt, ist das ein Luxusproblem." Außer am politischen Willen fehle es auch am nötigen Know-how, fügt sie hinzu. Nach der Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien im Jahr 1961 hatte die Regierung zunächst viele Kolonialgebäude verstaatlicht - auch in Bagamoyo. "Es gab aber kein Geld, um die Gebäude zu renovieren", erklärt Blauth. "Außerdem entspricht eine nachhaltige Wartung historischer Häuser nicht unbedingt der vorherrschenden Mentalität der Tansanier." Denn in Entwicklungsländern sei Denkmalschutz "ja kein Selbstzweck wie bei uns, und man wird - wie beim Tierschutz - nur dann die Tansanier dafür begeistern können, wenn es dazu beiträgt, das Land aus der Armut zu führen".
Für die Restaurierungen, die im Laufe der Jahre durchgeführt wurden, waren fast ausschließlich Entwicklungshilfeorganisationen, NGOs oder Kirchen verantwortlich. Neben dem "Freundeskreis Bagamoyo" ist etwa auch die schwedische SIDA sehr aktiv. "Die Skandinavier haben einen Narren gefressen an Bagamoyo und viele Millionen in die Stadt gesteckt", betont Blauth. "'Kultur' ist schon lange ein Schwerpunkt skandinavischer Entwicklungszusammenarbeit - ganz im Gegensatz zu Deutschland", fügt er hinzu.
Chinesen planen Mega-Hafen in Bagamoyo
Dennoch verwundert die Tatenlosigkeit der Tansanier, wenn man bedenkt, dass Präsident Jakaya Kikwete, der seit 2005 an der Spitze des ostafrikanischen Landes steht, selbst im Bezirk Bagamoyo geboren wurde und hier seine politische Karriere begann. Würde der Ort fachgerecht wieder aufgebaut, könnte er sich als enorme Tourismus-Einnahmequelle erweisen. Lange diente die Stadt übrigens nicht als Mittelpunkt Deutsch-Ostafrikas. Die immer größer werdenden Schiffe hatten Probleme, in die flache Sandbucht einzulaufen. Daressalam mit seiner Tiefseebucht wurde zur neuen deutschen Hauptstadt in Ostafrika auserkoren, in Bagamoyo blieben ab 1892 die Bezirksverwaltung und eine Zolleinheit zurück.
Nun haben sich Investoren angesagt, die Bagamoyo wieder wirtschaftlich interessant machen wollen - jedoch nicht in Form von Gebäuderenovierungen, sondern mit einem Mega-Hafen. China will zehn Milliarden Dollar (7,5 Milliarden Euro) in den Bau stecken. Den Plänen zufolge soll es dann unter anderem eine direkte Fährverbindung nach Sansibar geben. Das könnte Touristen anlocken. Aber wird es noch etwas zu bestaunen geben in Bagamoyo? "Man sollte den Ort besuchen, bevor voraussichtlich 2015 mit dem Bau des Hafens begonnen wird", rät Blauth. "Niemand weiß, wie Bagamoyo anschließend aussehen wird."
Weitere Informationen:
Freundeskreis Bagamoyo: www.bagamoyo.com
Tansanisches Tourismusministerium: www.mnrt.go.tz
Weltkulturerbestätten in Tansania: http://whc.unesco.org
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